Warum ich aus PEN Berlin austrete: Wer richtet hoch Schuld und Unschuld dieser Opfer in Gaza

Ich gestehe: Ich habe die letzte Zoom-Mitgliederversammlung des PEN Berlin auf dem Split-Screen verfolgt. Das war am Sonntag. Auf der einen Seite Syrien und die Weltgeschichte; auf der anderen Deutschland und der PEN Berlin. Ich war hin- und hergerissen. Hier die Jubelnden auf dem Omajjadenplatz in Damaskus, wo ich vor dreißig Jahren als Student jeden Tag vorbeilief. Dort die Kachelbilder einer zerrissenen Autorenvereinigung, die vom Lauf der Welt überrollt wird. Und nebenbei das Fenster mit einem eigenen Text über die syrischen Ereignisse, den ich während laufender Sitzung fertig schreiben musste. Nachmittag eines Schriftstellers, nannte das vor vielen Jahren Peter Handke. Das war die Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat und der PEN ein Club für Poets, Essayists, Novelists war.

Klare Sache für den PEN?

Ja, ich habe am Sonntag manches verpasst; manches wollte ich mir gar nicht erst anhören. Am Ende war mir und anderen klar, dass es sinnlos ist, sich weiter im PEN Berlin zu engagieren. Hintergrund: Es sollte eine Resolution verabschiedet werden, welche die Tötung von Journalisten und Autoren im arabisch-israelischen Krieg verurteilt. Klare Sache für einen PEN-Club, könnte man meinen.

Die Resolution wurde auf der Tagung Anfang November eingebracht, die Abstimmung aber verschoben. Diejenigen, die gegen die Resolution waren, wollten Zeit gewinnen, um eine Gegenresolution einzubringen oder einen Kompromisstext zu formulieren. Vergangenen Sonntag wurde daher über drei Resolutionstexte abgestimmt. Der Kompromiss gewann mit einer Stimme Vorsprung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf.

Ironie der Geschichte: Ohne den Sturz von Baschar al-Assad hätte das Ergebnis anders ausgesehen. Denn viele arabische und syrische PEN-Berlin-Mitglieder, die für den ursprünglichen Entwurf gestimmt hätten, hatten Wichtigeres zu tun, als sich Streitereien nach den Regeln des deutschen Vereinsrechts anzuhören. Zum Beispiel ihre Familien und Freunde anzurufen, ohne fürchten zu müssen, vom Geheimdienst dabei abgehört zu werden. Zum ersten Mal seit über zehn Jahren.

Die Querelen im PEN Berlin müssten niemanden interessieren, wenn sie nicht symptomatisch wären. Symptomatisch für den Zustand der Demokratie, der Menschenrechte, der Zivilcourage in Deutschland und anderswo. Was am Sonntag im PEN passiert ist, betrifft uns alle.

Die Taktiken der Rechten

Eine leider erfolgreiche, die Demokratie unterwandernde Taktik rechter Parteien und Aktivisten besteht darin, kommunikative Kanäle zu verstopfen. Sei es in den sozialen oder normalen Medien, sei es in Behörden, Parteien oder eben – im PEN-Club! Das geht auf vielen Wegen, besonders leicht aber dort, wo Verfahren (etwa das Vereinsrecht) die Verantwortlichen dazu zwingen, sich mit Anträgen, Wortmeldungen, Verfahrensänderungswünschen, Auskunftsanfragen und so weiter zu beschäftigen.

Genau das ist im PEN Berlin passiert. Dass es passieren konnte, liegt auch am unkontrollierten Wachstum der Mitgliederzahl. Eine Statistik gibt der PEN auf Anfrage gern heraus. Gefühlt ist nie jemand, dessen Name auf der Zuwahlliste stand, abgelehnt worden. Im Ergebnis sind Leute in den PEN Berlin aufgenommen worden, die auch bei wohlwollender Auslegung nicht hineingehören.

Hitzköpfige Kritiker, mit denen ich mich nicht gemein machen möchte, würden diese neuen Mitglieder Trolle, Schnüffler oder Denunzianten nennen; sachlichere Naturen würden sie vielleicht als rechtskonservative Ideologen bezeichnen, Propagandisten der militärisch überlegenen, moralisch unterlegenen Seite. Ich selbst möchte sie nicht näher bezeichnen. Ich weiß nicht, was sie sind. Denn ich bin altmodisch. Schriftsteller im herkömmlichen, ehrenwerten Sinn sind diese Leute für mich nicht.

Die große Orientierungslosigkeit

Mir ist klar, auch diese Beschreibung des Konflikts bleibt oberflächlich, macht es sich zu einfach, tendiert zur Polemik. Die Krise des PEN Berlin ist Teil der großen Orientierungslosigkeit unserer Zeit. Und die Schwierigkeit, diese Krise vernünftig zu beschreiben, ist ihrerseits Teil und Zeichen dieser Krise.

Die moralische Kompassnadel kommt nicht zur Ruhe. Es gibt keinen Norden mehr. Einzelne mögen einen haben und danach leben. Ich versuche das auch. Aber gesamtgesellschaftlich wird kein Schuh mehr daraus. Wer das nicht begreifen will und so tut, als funktionierte der moralische Kompass wie eh und je, an und für sich, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Damit destabilisieren diese Leute den gesellschaftlichen Zusammenhalt nur noch mehr. Es ist ein Teufelskreis.

Trauer mit Bedingung

Am letzten Satz der am Sonntag verabschiedeten Kompromiss-Resolution kann man es ablesen. Er lautet: „Wir trauern um alle unschuldigen Opfer dieses Konflikts.“ Das klingt unverfänglich. Aber jeder, der professionell mit Sprache umgeht, sollte wissen, was sich dahinter verbirgt. Der PEN Berlin, so lautet die eiskalte, unverfrorene Botschaft, macht seine Trauer von einer Bedingung abhängig.

Es reicht nicht, dass jemand Opfer des Konflikts ist. Er oder sie muss auch unschuldig sein. Was für ein Wahnsinn! Wer, vor welchem Herrn, mit welchem Gesetzbuch, will hier den Richter spielen? Wer glaubt ernsthaft, sein moralischer Norden müsse auch der aller anderen sein? Tatsächlich spricht die rechte Fraktion des PEN Berlin den Journalisten, die für arabische Medien gearbeitet haben und dabei getötet worden sind, diese Unschuld ab; und damit den Schutz und die Solidarität aller. Das zeigt die von ihnen eingebrachte Resolution und diverse Verlautbarungen ihrer Befürworter.

Letztlich erklären sie ihre arabischen Kollegen für vogelfrei, bloß weil sie ihren Vorstellungen von Unschuld nicht entsprechen. Hat man, wie diese Leute von sich glauben, die Stahlgewitter der deutschen Schuld überlebt, müsse man ja wissen, wer unter den Menschenkindern in Zukunft zu überleben verdient und wer nicht.

Mea culpa

Dass deutsche Autorinnen und Autoren meine Sicht auf den Nahostkonflikt teilen, erwarte ich nicht. Eher erwarte ich das Gegenteil. Ich würde deswegen nicht aus dem PEN-Club austreten. Ich muss aber aus einem PEN-Club austreten, der von Leuten unterwandert ist, die über Opfer als solche nicht mehr trauern. Die sich anmaßen, über Schuld und Unschuld in der Welt aus der deutschen Wohnzimmerperspektive urteilen zu können. Darüber, ob jemand, der schreibt und berichtet, einen Aufruf zum Schutz verdient oder lieber doch nicht.

Ich kann nicht mit Leuten in einem Club sein, von denen ich sicher weiß, dass sie sich nie für mich und meinesgleichen einsetzen würden.