Warum „Emissäre“ einem politischen Gefangenen raten, sich verdongeln nicht-jüdischen Anwalt zu nehmen

Seit dem 16. November wird der Schriftsteller Boualem Sansal vom algerischen Staat festgehalten. Er soll die „Existenzberechtigung der Nation“ und ihre Grenzen infrage gestellt haben. Jetzt widerfuhr dem Häftling, der an Krebs erkrankt ist, eine Ungeheuerlichkeit.
Seinen Rechtsanwalt François Zimeray hat der franko-algerische Schriftsteller Boualem Sansal bislang nicht treffen dürfen. Dafür erhielt er an seinem Gefängnisbett unangekündigten Besuch von ihm unbekannten Männern. Sie empfahlen Sansal mit Nachdruck, seinem Anwalt das Mandat zu entziehen und sich einen anderen zu suchen, einen „der nicht jüdisch ist“. Ein französischer Anwalt, der nicht Jude sei, habe bessere Chancen, in das Land gelassen zu werden. So hat das französische Nachrichtenmagazin „Marianne“ die Warnung mit Berufung auf Informationen aus dem algerischen Justizministeriums wiedergegeben.
Sansal war 16. November vergangenen Jahres bei seiner Ankunft am Flughafen von Algier verhaftet worden war. Sein französischer Anwalt Zimeray versucht seither vergeblich, ein Visum zu bekommen. Sansal ist an Krebs erkrankt und wird nach Auskunft seines französischen Verlegers Antoine Gallimard im Gefängnistrakt des Mustapha-Krankenhauses in Algier mit Radiotherapie behandelt. Sein Gesundheitszustand sei besorgniserregend, so Gallimard.
Laut „Marianne“ hätten die „Emissäre“ Druck auf den 80-Jährigen ausgeübt. Dieser soll außer sich gewesen sein, was jeder, der den aufrechten Sansal kennengelernt hat, nachvollziehen kann. „Wir werden niemals wissen, wer diese Männer waren, weil wir es mit einem Polizeiregime zu tun haben“, bedauert ein vom „Figaro“ zitierter Freund Sansals.
Sein Anwalt wird als „Zionist“ beschimpft
Auch dessen Anwalt ist fassungslos. „Ich vermag es nicht zu glauben und habe die Absicht, Boualem Sansal weiter zu vertreten und den Rahmen des algerischen Strafverfahrens zu respektieren“, sagte Zimeray, als „Marianne“ ihn mit den Informationen konfrontiert hat. Seit der Franzose Sansals Verteidigung übernommen hat, wird er in algerischen Staatsmedien beschimpft und als „Zionist“ bezeichnet. Angesichts des Hasses, der Zimeray in Algerien entgegenschlage, so hätten die Männer durchklingen lassen, wäre ein Verzicht auf das Mandat auch besser für seine eigene Sicherheit.
Zimeray ist ein bekannter Menschenrechtsanwalt in Frankreich, der auch Europaabgeordneter und Botschafter war. Er verteidigt israelische Familien, die am 7. Oktober 2023 von Hamas-Terroristen überfallen worden waren. Auch hat er den kanadisch-amerikanischen Tierschutzaktivisten Paul Watson und die birmanische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi vertreten. Kurz nach der Attacke auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ im Februar 2015 ist Zimeray bei einer Diskussionsveranstaltung in Kopenhagen einem Attentat entkommen. Er hatte damals als französischer Botschafter an der Debatte zu Islamismus und Meinungsfreiheit teilgenommen, als zwei bewaffnete Attentäter das Kulturzentrum zu stürmen versuchten und einen Polizisten töteten.
Sansal wird vom Regime in Algier vorgeworfen, die „Existenzberechtigung der algerischen Nation“ und ihrer Grenzen infrage gestellt zu haben. In Frankreich und in Deutschland verurteilen Unterstützerkomitees seine Verhaftung als Verstoß gegen die Menschenrechte und fordern seine Freilassung.
Im Pariser Institut du Monde Arabe waren am Dienstagabend zahlreiche Schriftsteller zusammengekommen, um ihre Solidarität mit Sansal zu bekunden. Darunter waren Goncourt-Preisträger Kamel Daoud und Bestsellerautorin Amélie Nothomb. Nobelpreisträger Patrick Modiano und Kollegen aus aller Welt wie Arundhati Roy und Roberto Saviano schickten Videos oder ließen Grußbotschaften verlesen. „Der algerischen Präsident Tebboune hat nicht nur die Schlüssel zum Kerker, er ist im Besitz der ganzen Macht“, konstatierte der französische Beststellerautor Sylvain Tesson und warnte: „In der Menschheitsgeschichte wird niemand auch nur einen Satz von ihm zitieren, während das Werk von Boualem lebendig bleiben wird.“
Source: welt.de