Warum der Volkswagen-Chef Rivian braucht: Die Not ist groß in Wolfsburg

Es sind zwei sehr unterschiedliche Partner, die da in der Not zueinandergefunden haben: Der Volkswagenkonzern ist der zweitgrößte Autobauer der Welt, hat vergangenes Jahr mehr als neun Millionen Fahrzeuge abgesetzt und blickt auf eine Firmenhistorie von mehr als sieben Jahrzehnten zurück. Partner von VW ist seit dieser Woche der US-Autowinzling Rivian, ein Start-up, das sein erstes Serienmodell vor drei Jahren auf den Markt gebracht hat. 2023 hat Rivian nur rund 50.000 Autos verkauft, eine fast homöopathische Stückzahl in der Autoindustrie.

Jetzt haben VW und Rivian eine milliardenschwere Allianz geschlossen. Sie gründen ein Gemeinschaftsunternehmen, das Software für künftige Autogenerationen entwickeln soll. Rivian bringt das digitale Know-how mit in die Ehe, VW sehr viel Geld – bis zu 5 Milliarden Euro investieren die Wolfsburger in das Joint Venture und eine Beteiligung an Rivian. Für das hochdefizitäre Kleinunternehmen aus Kalifornien ist das Geld aus Deutschland ein Rettungsring.

Eingeständnis von Blume

Schwieriger ist dagegen die Frage zu beantworten, ob sich dieser Deal auch für VW auszahlen wird. Dass Konzernchef Oliver Blume für das Projekt eine siebenstellige Summe mobilisiert, zeigt, wie groß die Not ist. Die 2020 von Blumes Amtsvorgänger Herbert Diess gegründete hauseigene Software-Sparte Cariad ist eines der größten Handicaps des Herstellers. Die Konzernmarken Audi und Porsche mussten den Marktstart neuer Modelle um Jahre verschieben, weil die Software nicht fertig wurde. Diess wurde im Sommer 2022 nicht zuletzt deshalb entlassen, weil er die Probleme bei Cariad nicht in den Griff bekam.

Das Milliardeninvestment in Rivian ist nun das endgültige Eingeständnis von Blume, dass die bisherige Software-Strategie von VW gescheitert ist. Diess wollte, dass der Konzern mit Cariad seine Auto­software möglichst komplett eigenständig entwickelt. Denn die zen­trale digitale Steuerung und Vernetzung vom Infotainment über die Navigation bis zu computergestützten Fahrassistenz-Systemen ist eine Schlüsselkompetenz im Automobilbau geworden – und sie wird in den nächsten Jahren noch sehr viel wichtiger werden.

Mit hohem Einsatz ins Risiko

Das disruptive Potential ist enorm. Fachleute sagen voraus, dass die Digitalisierung des Autos die Branche noch tiefgreifender verändern wird als der Wechsel vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb. Wer keine wettbewerbsfähige Software hat, wird zu den Verlierern zählen.

Blume ist schon seit einiger Zeit vom Diess-Mantra der digitalen Autarkie abgerückt und Kooperationen mit Apple und Google eingegangen. In China hat sich VW mit dem Start-up Xpeng zusammengetan, um seinen Digitalrückstand aufzuholen. Dieses Bündnis ähnelt stark dem jetzt mit Rivian vereinbarten, VW muss dafür allerdings sehr viel weniger Geld einsetzen.

Natürlich ist es ein bitteres Eingeständnis, dass ein Weltkonzern wie VW mit 680.000 Mitarbeitern nicht in der Lage ist, Software auf der Höhe der Zeit zu entwickeln. Andererseits haben sich auch andere große Autobauer auf verschiedenen Ebenen mit kleineren Partnern zusammengetan, um wettbewerbsfähiger zu werden: Stellantis kooperiert mit Leap Motor aus China beim Bau von preisgünstigen Elek­troautos in Europa, BMW hat sich bei der Elektroversion des Mini mit dem chinesischen Hersteller Great Wall zusammengetan.

Es ist keineswegs sicher, dass der Rivian-Deal nun für VW zum Befreiungsschlag in der Digitaltechnik wird. In der Vergangenheit hatte der Konzern nicht immer eine glückliche Hand bei der Partnerwahl bewiesen: Die Beteiligung am gehypten Start-up Argo AI, einem Spezialisten für autonomes Fahren, ist für VW zum Flop geworden, der Milliarden kostete.

Blumes Allianz mit Rivian ist also ein mutiger Schritt, der VW-Chef geht mit hohem Einsatz ins Risiko. Aber was wäre die Alternative? Allein kommt VW in der Software-Entwicklung offensichtlich nicht schnell genug voran, und die Digitalisierung des Autos ist zu wichtig, um das länger hinnehmen zu können. VW muss aufholen, sonst hat der Konzern in wenigen Jahren ein noch sehr viel größeres Problem.