Wahlkampf in den USA: Hupen zum Besten von Trump vor welcher Autofabrik

Wenn Brian Pannebecker vor einer Fabrik auftaucht, wird der Schichtwechsel etwas lauter als sonst. Einmal in der Woche postiert er sich am frühen Nachmittag vor einem der vielen Autowerke in Detroit und Umgebung, um für Donald Trump zu werben. An diesem sonnigen Oktobertag ist er zusammen mit einer Handvoll anderer Mitglieder seiner Gruppe „Auto Workers for Trump“ in Sterling Heights, einem Vorort von Detroit, wo Ford Hinterachsen für seine Autos herstellt. Er ist ganz in der Nähe aufgewachsen und hat selbst lange für Ford und auch für Chrysler gearbeitet, seit Kurzem ist er pensioniert. Er hat Schilder und Fahnen mit Aufschriften wie „Trump 2024“ mitgebracht, und wenn Autos an ihm vorbeifahren, brüllt er Dinge wie „Yeah, Baby, Trump!“

Obwohl seine Gruppe überschaubar ist, sorgt sie hier an der 17 Mile Road für einigen Rummel. Sie bekommt reichlich zustimmendes Hupen, oft verbunden mit einem erhobenen Daumen, sowohl von Ford-Mitarbeitern, die nach dem Ende ihrer Schicht das Werksgelände verlassen, als auch aus dem Verkehr vor der Fabrik. Nicht jedem gefällt die Aktion, manche Autofahrer schütteln mit dem Kopf oder zeigen einen ausgestreckten Mittelfinger, ein paarmal ist „Fuck Trump“ zu hören. Einer droht, er werde dafür sorgen, dass Pannebecker und seine Gruppe entfernt werden. Aber die positiven Reaktionen überwiegen klar, sogar einige Schulbusfahrer hupen. Ohne Zweifel hat Trump in diesem Teil des Bundesstaates Michigan viele leidenschaftliche Anhänger.

Einige Kilometer südlich des Ford-Werks versucht auch Heathie Jenkins Wähler zu mobilisieren, allerdings für Kamala Harris und nicht so öffentlichkeitswirksam wie Pannebecker. Die 80 Jahre alte Rentnerin sitzt in einem schmucklosen Raum in der regionalen Zentrale der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW). Zusammen mit gut einem Dutzend anderer ehrenamtlicher Helfer macht sie „Phone Banking“, ruft also Mitglieder der UAW an, um für Harris zu werben. Gerade hat sie einen Mann am Telefon, der nicht verraten will, wen er wählt, und sie rattert Argumente für Harris und gegen Trump herunter. „Kamala ist die Kandidatin für die Mittelschicht.“ „Sie wird das Land zusammenhalten und nicht spalten.“ „Vielleicht haben Sie gehört, wie schlecht Trump gestern über Detroit gesprochen hat?“ „Trump setzt Frauen herab, und bestimmt haben Sie doch eine Mutter oder eine Schwester in Ihrem Leben?“

Jenkins bringt auch das Geschlecht von Harris zur Sprache, für den Fall, dass ihr Gesprächspartner das als Schwäche sieht: „Wir wissen, es gibt viele Leute, die meinen, sie ist nicht stark, weil sie eine Frau ist, aber in Wahrheit ist sie sogar sehr stark.“ Vor vier Wochen hat die Gewerkschaft mit der Anrufaktion begonnen, kürzlich hat sie die Schlagzahl noch einmal erhöht, weil es in die heiße Phase vor der Wahl geht. Jetzt wird acht statt vorher sechs Stunden am Tag telefoniert und nicht nur von Montag bis Freitag, sondern auch samstags.

Heathie Jenkins auf Wählerfang am Telefon.
Heathie Jenkins auf Wählerfang am Telefon.Roland Lindner

Michigan ist einer der umkämpften „Swing States“, in denen sich die Präsidentenwahlen im November entscheiden werden. In Umfragen liegen Trump und Harris im Rennen um die Nachfolge von Joe Biden eng beieinander. Trump hat hier 2016 gewonnen, 2020 aber verloren, genauso wie in Wisconsin und Pennsylvania. Alle drei Bundesstaaten zählen zum amerikanischen Rostgürtel, den traditionellen Industrieregionen des Landes, die in den vergangenen Jahrzehnten einen Niedergang des verarbeitenden Gewerbes erlebt haben.

Michigan ist das Herz der Autoindustrie, hier sitzen die „Großen Drei“, also General Motors, Ford und die US-Niederlassung des europäischen Stellantis-Konzerns, zu dem Marken wie Chrysler und Jeep gehören. Auch sie beschäftigen heute in der Region weniger Menschen als früher, bleiben aber wichtige Arbeitgeber. Und gerade im Landkreis Macomb County, zu dem Detroiter Vororte wie Sterling Heights gehören, prägen Autowerke noch immer das Bild.

Ein großer Teil seiner Bevölkerung zählt zur Arbeiterklasse, deshalb gilt er ein Stück weit als Gradmesser, wie gut die Kandidaten generell in dieser Gruppe dastehen. Er genießt auch deshalb unter Wahlstrategen viel Aufmerksamkeit, weil er oft die politischen Seiten gewechselt hat. Die Menschen hier haben zweimal mehrheitlich für Barack Obama von der Demokratischen Partei gestimmt, dann aber zweimal für den Republikaner Trump. Seinen knappen Sieg in Michigan 2016 hatte Trump maßgeblich Macomb County zu verdanken, wo er mit recht deutlichem Vorsprung gewann.

Begehrt die Basis gegen die Gewerkschaftsführung auf?

Harris kann in dem Landkreis für sich verbuchen, dass sie die offizielle Unterstützung der UAW hat. Shawn Fain, der Präsident der Gewerkschaft, ist schon auf einigen ihrer Kundgebungen aufgetreten. Doch das heißt nicht zwangsläufig, dass sie auch von den meisten UAW-Mitgliedern gewählt wird. Brian Pannebecker sagt, er gewinne bei seinen Aktionen vor den Autowerken einen ganz anderen Eindruck. Von den dortigen Beschäftigten höre er oft, 65 bis 70 Prozent der Kollegen in ihrem Arbeitsumfeld seien für Trump. Zwischen der Gewerkschaftsführung und den Mitgliedern in den Fabriken gebe es in der politischen Haltung einen Unterschied „wie Tag und Nacht“.

Harris-Unterstützer halten Pannebeckers Schätzung für überzogen, aber auch nicht für völlig aus der Luft gegriffen. James Jewell, der die UAW in Fords Achsenwerk in Sterling Heights repräsentiert, meint zwar, ein großer Teil der Gewerkschaftsmitglieder würde der offiziellen Empfehlung folgen und Harris wählen. Er kann sich aber vorstellen, dass sie gerade in Macomb County in größerer Zahl für Trump stimmen als anderswo. Alysa Diebolt, die Vorsitzende der Demokratischen Partei in dem Landkreis, hält das Rennen hier für sehr knapp: „Shit’s really tight“, sagt sie.

„Shit’s tight“, sagt Demokratin Alysa Diebolt über den Wahlkampf in ihrem Landkreis Macomb County.
„Shit’s tight“, sagt Demokratin Alysa Diebolt über den Wahlkampf in ihrem Landkreis Macomb County.Roland Lindner

Joe Biden beschreibt sich gerne als „gewerkschaftsfreundlichster Präsident in der amerikanischen Geschichte“, im vergangenen Jahr hat er in einer ungewöhnlichen Solidaritätsgeste sogar UAW-Mitglieder besucht, als sie die „Großen Drei“ bestreikten. Gewerkschaftsmann Jewell sieht auch Harris als Verbündete. „Sie hat immer wieder gezeigt, dass sie auf unserer Seite steht. Und das ist bei ihrem Gegenkandidaten einfach nicht der Fall.“ Trump habe unlängst sein wahres Gesicht gezeigt, als er mit dem Multimilliardär Elon Musk darüber gescherzt habe, streikende Mitarbeiter zu entlassen: „Das ist ausdrücklich gewerkschaftsfeindlich.“ Trump-Anhänger Pannebecker hält dagegen: Biden habe die streikenden Arbeiter nur besucht, um sich mit ihnen fotografieren zu lassen. Harris sei eine „Lügnerin“, die keine Ahnung von der Autoindustrie habe. Sie sei „strohdumm“ und ein „totales Desaster“. Trump hingegen sage zwar manchmal „dumme Sachen“, sei aber keineswegs dumm.

Trump-Wähler in Michigan führen viele Argumente an, die auch anderswo im Land zu hören sind. Inflation steht dabei weit oben. „Die letzten vier Jahre meines Lebens waren finanziell einfach ziemlich hart,“ sagt Nelson Westrick, ein Ford-Mitarbeiter, der zu Pannebeckers Gruppe gehört. Daneben gibt es aber auch Wahlkampfthemen, die speziell in dieser Region enormes Gewicht haben, und einer der größten Streitpunkte ist Elektromobilität.

Nelson Westrick (rechts) wählt auch wegen der finanziellen Härten der vergangenen vier Jahre Trump.
Nelson Westrick (rechts) wählt auch wegen der finanziellen Härten der vergangenen vier Jahre Trump.Roland Lindner

Trump wirft Harris und ihrer Partei vor, Amerika einen Umstieg auf Elektroautos aufzwingen zu wollen, was Arbeitsplätze vernichten und China in die Hände spielen würde. Er spricht oft von einem „Elektroauto-Mandat“, das Biden und Harris eingeführt hätten, in einem seiner Werbespots heißt es: „Achtung, Autoarbeiter: Kamala Harris will alle Autos mit Benzinmotor stoppen. Verrückt, aber wahr.“ Diese Botschaft stößt auf Resonanz und bringt Harris in die Defensive. Kürzlich sah sie sich auf einer Kundgebung in Michigan gezwungen, zu kontern: „Anders als mein Gegner das suggeriert, werde ich euch nie sagen, was für ein Auto ihr fahren müsst.“

Ungewisse E-Zukunft

Trumps Behauptung ist in der Tat irreführend. Es gibt in Amerika kein Mandat im eigentlichen Sinne, das den Bau von Elektroautos statt Benzinern diktiert. Allerdings hat die US-Regierung in diesem Jahr Regeln eingeführt, wonach die CO2-Emissionen von Autos bis 2032 um die Hälfte gesenkt werden sollen, und um dieses Ziel zu erreichen, müssten nach Schätzungen der Umweltbehörde EPA bis dahin mehr als die Hälfte aller verkauften Neuwagen Elektrofahrzeuge sein. Harris ist in diesem Punkt auch insofern angreifbar, weil sie 2019, als sie sich schon einmal um die Kandidatur der Demokraten für das Präsidentenamt bewarb, propagierte, dass bis 2035 alle Neuwagen in den USA emissionsfrei sein sollen. Davon spricht sie heute nicht mehr, aber Trump-Anhänger wie Pannebecker mutmaßen, das sei ihre wahre Position, die sie als Präsidentin umsetzen würde. Er hält solche verpflichtenden Vorgaben für „Irrsinn“ und „Sozialismus“, zumal sich Elektroautos im Moment schlechter verkaufen als von vielen Herstellern erhofft.

Eine oft und nun auch im Wahlkampf geäußerte Sorge ist, dass für die Produktion von Elektroautos weniger Arbeitskräfte gebraucht werden. Ob das wirklich stimmt, ist umstritten. Elektrofahrzeuge haben zwar üblicherweise weniger Bauteile als Benziner, aber es gibt auch Studien, wonach sich das nicht negativ auf die Beschäftigtenzahlen auswirken muss.

Nicht alle zeigen ihre Präferenz an

In jedem Fall gibt es viel Skepsis gegenüber Elektroautos. Bei einer Umfrage der Marktforschungsgruppe Epic MRA in Michigan im August gaben 51 Prozent der Teilnehmer an, sie seien gegen Initiativen der Biden-Harris-Regierung zur Förderung der Elektromobilität. 41 Prozent waren dafür. Epic-Präsident Bernie Porn findet, Harris kommuniziere bei diesem Thema bisher nicht überzeugend genug. Sie müsse viel aggressiver argumentieren, dass sie mit ihrer Politik zur Elektromobilität der amerikanischen Autoindustrie und ihren Mitarbeitern nicht schaden, sondern nutzen werde.

Fährt man durch Wohngebiete von Sterling Heights, scheinen in den Vorgärten Schilder für Trump zu überwiegen. Aber auch die Unterstützer von Harris sehen ermutigende Signale. Alysa Diebolt, die lokale Parteivorsitzende der Demokraten, erzählt von Erfolgserlebnissen, wenn Mitarbeiter der Kampagne in diesen Tagen von Haustür zu Haustür gehen. Sie hätten dabei viele zusätzliche Freiwillige rekrutieren können, die mithelfen wollen. James Jewell von der UAW sagt, wenn man es schaffe, mit einem der wenigen unentschlossenen Wähler ins Gespräch zu kommen, dann seien auch die Chancen recht hoch, diese Person von Harris zu überzeugen. Die Schilder in den Vorgärten sieht er nicht als zuverlässigen Indikator dafür, wie die Sympathien wirklich verteilt sind. Viele Harris-Anhänger scheuten sich, Schilder vor ihr Haus zu stellen, weil sie fürchteten, von Trump-Fans belästigt zu werden. „Verallgemeinert gesagt, sind Trump-Wähler laut und unausstehlich. Und Harris-Wähler sind das tendenziell nicht.“

Dabei sieht Jewell Ansatzpunkte für Konsens, was die inhaltlichen Debatten rund um die Autoindustrie betrifft. Er sagt, er sei selbst kein „riesiger Fan“ von Elektroautos. Aber sie seien letztlich nicht aufzuhalten, und deshalb sollten sich die Anstrengungen darauf konzen­trieren, dass sie in Amerika und von UAW-Mitgliedern hergestellt werden. „Wenn wir Politik und Emotionen einmal ausklammern, haben wir doch alle das gleiche Ziel. Aber es ist schwer geworden, eine vernünftige Unterhaltung darüber zu führen.“