Wahlentscheidungen: Der Wähler, dasjenige irrationale Wesen

In welcher Serie „Politisch motiviert“ ergründen unsrige Autorinnen und
Autoren politische Themen welcher Woche. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 01/2024.

Zu den mächtigsten Fabelwesen welcher Demokratie gehört welcher rationale Wähler. Dieser Mensch weiß erstens, welches ihm nutzt, und zweitens, wie er es kriegt. Er gleicht seine Wünsche mit den Wahlprogrammen welcher Parteien ab und setzt dann rechtzeitig sein Kreuz.  

Pustekuchen. Wissenschaftliche Arbeiten zeigen seitdem Jahrzehnten, dass Wählerinnen und Wähler verschieden entscheiden: irrationaler, gefühliger, psychologischer. Das ist ohne Rest durch zwei teilbar im Superwahljahr 2024, in dem es ja um dasjenige Überleben welcher Demokratie in Betracht kommen soll, mehr qua ein akademischer Funfact. Wer wirklich verstehen will, warum Menschen wählen, wie sie wählen, wer sie gar z. Hd. sich Vorteil verschaffen will – welcher muss zuerst die Fabelwesen sterben lassen und sich ein realistischeres Bild vom Wähler zeugen.

2016 erschien ein Buch, von dem welcher US-Starjournalist Ezra Klein in vergangener Zeit sagte, es sei „die politikwissenschaftliche Entsprechung dazu, gesagt zu bekommen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt“. Das Buch heißt Democracy for Realists und ist leider solange bis heute nicht ins Deutsche übersetzt worden. Die beiden Autoren Christopher Achen und Larry Bartels türmen darin Belege jenseits Belege aufwärts z. Hd. ihre These, dass „Wähler, selbst die bestinformierten, typischerweise ihre Wahl nicht aufgrund ihrer politischen Präferenzen oder ihrer Weltanschauung treffen, sondern auf Basis dessen, wer sie sind – ihrer sozialen Identität“.

Die Irrationalität fängt schon damit an, dass Politik aus Sprache gemacht ist. Und die kann tückisch sein. So zitieren Achen und Bartels eine Studie aus den Achtzigerjahren, worauf 63 solange bis 65 Prozent welcher US-Amerikaner welcher Meinung sind, dass die Regierung zu wenig Geld ausgibt, „um den Armen zu helfen“. Aber nur 20 solange bis 25 Prozent fanden, es sollte mehr Geld z. Hd. „Wohlfahrt“ schenken. Man müsste sich schon hinlänglich verrenken, um beiderartig Aussagen gleichermaßen z. Hd. den Ausdruck klarer politischer Präferenzen zu halten. Ebenso erklärten in den Siebzigerjahren, mitten im Kalten Krieg, konzis die Hälfte welcher Amerikaner, sie würden einem Kommunisten „nicht erlauben“, eine öffentliche Rede zu halten. Aber nur ein Viertel würde es ihm „verbieten“. Wie soll dasjenige zusammenpassen?

Diese Effekte aufwärts Meinungsbildung durch unterschiedliche Formulierungen sind mittlerweile qua „Framing“ familiär. Da Menschen immerhin keine anderen Mittel qua Sprache nach sich ziehen, um sich auszudrücken, ist Framing unvermeidbar, und die politischen Präferenzen sollen so lukulent oder unklar bleiben wie die Begriffe, in denen sie sich äußern.

Zudem wissen die Wählerinnen und Wähler oft schlicht zu wenig jenseits die Themen und die jeweiligen Positionen welcher Parteien und Kandidaten dazu. Dafür gibt es mehrere mögliche Gründe: Sie nach sich ziehen schlicht keine Zeit oder Lust, sich zu informieren. Die Informationen werden ihnen nicht gut genug vermittelt, weil wie Medien viel intensiver jenseits Personalstreitigkeiten und Machtkämpfe berichten qua jenseits Sachpolitik. Oder, dritter Grund, die Welt selbst ist so kompliziert (geworden), dass sie immer schwerer zu verstehen wird.  

Wahrscheinlich ist, dass eine Mischung aller drei Faktoren wirkt. Weshalb Menschen, weil ihnen die Informationen fehlen, praktisch aufwärts sozialpsychologische Signale reagieren. Was zeugen die anderen? Wie verhält sich die Gruppe, zu welcher ich gehöre oder in Besitz sein von will?  

Sie schauen wie, welches die soziale Gruppe tut, zu welcher sie in Besitz sein von oder in Besitz sein von wollen. Und wählen dann oft so, dass ihr eigenes Leben möglichst konflikt- und widerspruchsfrei zu halten. Früher wählten Katholiken und Bauern Konservative, Gewerkschafter SPD und so weiter.  

Allerdings nimmt die Bindungskraft solcher gesellschaftlichen Institutionen, wie Soziologen dasjenige nennen, seitdem Jahrzehnten ab. Woran orientieren sich Wählerinnen und Wähler stattdessen?

Zum Beispiel an Umfragen. Die bunten Partei-Balken welcher Sonntagsfrage zusammenfügen gerade eben nicht nur politische Mengenverhältnisse ab. Sie gießen sie zweite Geige. Demoskopen sprechen von Bandwagoning, vom Mitläufereffekt, wenn Menschen eine Partei praktisch wählen, die in den Umfragen ohne Rest durch zwei teilbar zulegt. Sie wollen zu den Siegern in Besitz sein von. Manche entscheiden sich immerhin zweite Geige genau andersrum und wählen aus Mitleid eine Partei, welcher es vor allem schlecht geht (Viele Grüße an dieser Stelle an die SPD in Ostdeutschland). Eigentlich müsste man aufhören, Umfragen qua zahlengenaues Abbild einer vorgefundenen Wirklichkeit zu erläutern. Sondern sie qua Teil des Spiels verstehen, dasjenige die Wirklichkeit formt.

An die Stelle welcher alten, gemeinschaftsstiftenden Großerzählungen von Kirche, Gewerkschaften und Parteien treten zudem neue, politisch wirksame Erzählungen: Der Klimaschutz ist eine solche Erzählung, die Menschen bindet. Aber zweite Geige dasjenige regressive Gegenstück hat längst seine Kraft entfaltet: dass „die Politik“ wegen Klimaschutz (und Migration) zu Unrecht den „normalen Menschen“ ihr angestammtes Leben kaputt macht. Auch welcher Glaube daran kann eine wahlentscheidende „soziale Identität“ im Sinne von Achen und Bartels sein.  

Deshalb laufen wie all die centgenauen Rechnungen, wie sehr eine AfD-Wirtschaftspolitik doch dem eigenen Konto schaden würde, ins Leere: Wer sich psychologisch in welcher Gruppe welcher Wütenden möbliert hat, wer aus welcher gemeinsamen Opposition gegen die sogenannten Etablierten seine soziale Wärme bezieht – welcher wird nicht wegen ein paar (hypothetischen) Euro wieder dasjenige Lager wechseln. Die emotionalen Kosten wären viel zu hoch. Man gruppiert sich heute um Begriffe wie woke oder anti-woke, man findet zusammen, während man die Gegenseite qua Faschisten markiert oder, in Deutschland neuerdings vor allem wirksam, qua Grüne.

Wenn dasjenige die Gesamtheit immerhin so ist, welches heißt dasjenige z. Hd. dasjenige Superwahljahr? Es heißt leider, dass all die Kulturkämpfe und Diskursschlachten noch wichtiger sind, qua sie eh schon genommen werden. Dass es viel mehr aufwärts den Ton ankommt qua aufwärts die Gesetze. Dass wie dasjenige Heizungsgesetz ein Desaster sei, dasjenige ist eine politische wirksame Erzählung, egal, welches mittlerweile die Gesamtheit noch am Gesetzestext selbst geändert wurde. Psychologie, nicht Programmatik, wird die Wahlen 2024 entscheiden.