Wachstum trotz Wassernot im US-Bundesstaat Arizona: Die Wüste lebt

Die Vorhersage auf dem iPhone kündigt für die letzte Maiwoche Temperaturen oberhalb von 32 Grad Celsius für Arizona an. Der freundliche Professor schreibt dem Besucher, er solle seinen Hut, Sonnenmilch und eine Wasserflasche nicht vergessen.

In dem Bundesstaat kann es heiß werden. Sehr heiß. In Phoenix erreichte die Temperatur voriges Jahr 31 Tage in Folge 43 Grad Celsius und mehr. Insgesamt war es sogar an 54 Tagen mindestens so heiß. Auf Tiktok verbreiteten sich Videos, in denen Leute Spiegeleier auf Auto-Karosserien brutzelten. Arizona dient als mahnendes Beispiel für die Folgen des Klimawandels. Und das nicht nur wegen der Hitze. Von 2000 bis 2022 herrschte eine Jahrhundertdürre. So trocken war es seit 800 Jahren nicht, erzählen die Jahresringe alter Bäume.

Die Hitze und die Dürre verblassen allerdings noch hinter der größten Bedrohung: Arizona könnte das Wasser ausgehen. Der Colorado-Fluss, eine der Lebensadern Arizonas, führt immer weniger Wasser. Gleichzeitig droht das Grundwasser zur Neige zu gehen. Die jüngsten Trends besagen, dass es noch wärmer wird und der Wasserverbrauch steigt.

Der Klimawandel sei für manche nicht die „größte Sorge“

Nichts wie weg, wäre der naheliegende Impuls. Doch Arizona boomt. Seit Jahren zieht der Bundesstaat Bürger und Unternehmen in Scharen an. Zuletzt machten die milliardenschweren Investitions- und Expansionspläne der Halbleiter-Spezialisten Intel und TSMC Schlagzeilen. Deren Fabrikprojekte setzen gewaltige Wassermengen ein. Phoenix und Tucson sind Wüstenstädte, die beständig wachsen. Phoenix allein gewann von 2010 bis 2020 mehr als 160.000 Einwohner hinzu.

Die pessimistische Deutung lautet, dass Leute, die hierher ziehen, schlicht zu ignorant sind, um das drohende Unheil zu ermessen. „Die meisten Amerikaner denken nicht zu weit in die Zukunft“, sagt Kevin Dahl. Er ist stellvertretender Bürgermeister von Tucson. Viele Menschen lebten von Monatslohn zu Monatslohn, im Überlebensmodus. „Sie finden einen besser bezahlten Job und ziehen hierher.“

Dann gibt es nach Darstellung von Dahl die Alten, die am Ende ihres Lebens nach Arizona kommen: Sie spielten Golf, badeten in ihren Pools und verbrächten den Rest der Zeit in klimatisierten Räumen. „Klimawandel ist nicht ihre größte Sorge.“

Hoher Besuch: Im März kam der amerikanische Präsident Joe Biden nach Arizona, um eine Milliardeninvestition des Chipherstellers Intel zu feiern.
Hoher Besuch: Im März kam der amerikanische Präsident Joe Biden nach Arizona, um eine Milliardeninvestition des Chipherstellers Intel zu feiern.AFP

Eine weniger düstere Interpretation geht so: Arizona versteht es, mit knappen Ressourcen umzugehen, und zeigt damit, dass die durch die Klimaerwärmung provozierten Bedingungen in dem Bundesstaat beherrschbar sind. Kathryn Sorenson zählt zur Fraktion der Optimisten. Die Forscherin an der Arizona State University war über lange Jahre Direktorin der Wasserwerke in Phoenix und zuständig für die Wasserversorgung von Millionen Menschen. „Es war hier immer heiß und trocken, und es wird immer heiß und trocken bleiben. Wir sind es gewohnt, den Mangel zu verwalten.“

Mehr Wasser verteilt als bereitsteht

Phoenix ist nach ihren Worten auf Jahrzehnte abgesichert, weil das Wasser nicht nur vom bedrohten Colorado-Fluss kommt, sondern auch von anderen Flüssen und die Stadt zudem große Reserven angelegt hat. Sie hat sich schwer geärgert, als ein „New York Times“-Journalist suggerierte, die Bürger müssten sich darauf einstellen, nicht genügend Wasser für die Essenszubereitung, für die Waschmaschine oder ein Bad zu haben. Sie bestreitet aber nicht, dass die Herausforderungen groß sind.

Quellen der Sorgen sind der Colorado-Fluss und Amerikas größter Stausee Lake Mead, der den Fluss staut. Sieben Bundesstaaten entnehmen dem Fluss Wasser nach einem 1922 vereinbarten Plan, der voller Geburtsfehler steckt, wie Karl Flessa, Geologie-Professor an der Universität von Arizona, sagt.

Es wurde über Jahrzehnte mehr Wasser verteilt, als zur Verfügung steht. Im Jahr 2008 sagten Klimamodelle voraus, dass der Lake Mead bis 2021 austrocknen könnte, wenn sich Verbrauch, Dürre und Erwärmung des Klimas weiter fortsetzten. Tatsächlich war der Wasserstand des Stausees 2022 so niedrig, dass eine männliche Leiche gefunden wurde, die in einem freigelegten Fass steckte. Kopfschuss, meldete die Polizei. Mafiamord, spekulierte der Boulevard.

Für die Bauern ist die Kreiselpumpe überlebenswichtig

Ein nasser Winter füllte den Lake ­Mead wieder auf 35 Prozent des Fassungsvermögens. Gleichzeitig beschlossen drei Bundesstaaten, bis 2026 deutlich weniger Wasser zu entnehmen. In jenem Jahr müssen die Anrainerstaaten neu festlegen, wie sie das Fluss-Stausee-System als Lebensquelle für rund 25 Millionen Menschen bewahren.

Dass Arizona ohne Klimaanlagen nicht denkbar wäre, ist trivial. Für die Bauern des Bundesstaates aber war die Kreiselpumpe mindestens genauso wichtig. Sie breitete sich Mitte des vergangenen Jahrhunderts aus und half den Farmern, ihre Felder zu bewässern, indem sie Grundwasser aus scheinbar unerschöpflichen Quellen nach oben pumpten.

Scheinbar ist hier das wichtige Wort. Die Bauern schöpften so viel Wasser, dass der Grundwasserspiegel in einigen Regionen dramatisch sank. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung im Bundesstaat fünfmal so schnell wie im Rest Amerikas. Ende der Siebzigerjahre war klar, dass Arizonas Wachstum nicht so weitergehen konnte: Es basierte auf Grundwasser, das kaum ersetzt wurde.

Hilft bald Meerwasserentsalzung?

Die Regierung zog 1980 mit mehreren Gesetzen und einem gewaltigen Infrastrukturprojekt die Reißleine. Ein System aus Kanälen, Aquädukten, Pumpstationen und Wasserreservoirs hilft seit den Achtzigerjahren, Wasser aus dem Colorado-Fluss in die bedrohten Regionen zu bringen: nach Tucson, nach Phoenix und zu vielen Landwirten.

In den bevölkerungsreichen Teilen des Bundesstaates gilt nun, dass das abgeschöpfte Grundwasser ersetzt werden muss. Heute sieht die Wasserversorgung des Bundesstaates so aus, dass 36 Prozent vom Colorado kommen, 18 Prozent von anderen Flüssen, 41 Prozent vom Grundwasser, und fünf Prozent sind wiederaufbereitetes Abwasser.

Im schlimmsten Fall bekommt Arizona in Zukunft weniger Colorado-Wasser, die Dürre kehrt zurück, in der Hitze verdunstet mehr Wasser, und Arizona wächst, als ob es kein Morgen gebe. Für dieses Szenario ist Vorsorge zu treffen. Wasser von woanders Herholen oder Sparen sind die Alternativen. Eine Meerwasser-Entsalzungsanlage an der mexikanischen Küste könnte über eine 330 Kilometer lange Pipeline Wasser nach Phoenix liefern, schlagen israelische Spezialisten vor. Die Pipeline würde rare Naturschutzgebiete durchschneiden, um Wasser zu liefern, das vier- oder fünfmal so teuer wäre.

Wasserexperten sind skeptisch. Man könnte auch Grundwasserreserven aus spärlich bewohnten Gegenden anzapfen. Eine Private-Equity-Gesellschaft geriet in die Schlagzeilen, weil sie im 300-Seelen-Nest Cibola Land zusammenkaufte, um das damit verbundene Grundwasser zu einem Vorort von Phoenix zu transferieren. Klagen dagegen sind anhängig.

Bier wird mit recyceltem Abwasser gebraut

Sparen ist die große Alternative. Es wird schon überall praktiziert. Entwickler von Bauprojekten müssen nachweisen, dass ihre Wasserversorgung auf 100 Jahre gesichert ist. An der Auflage sind jüngst Siedlungsprojekte im Großraum Phoenix gescheitert.

Die gewaltigen Chipfabrik-Projekte von Intel und TSMC beanspruchen extrem viel Wasser. Doch Intel verspricht, jede entnommene Gallone Wasser wieder zurückzugeben. „Wir haben vor zehn Jahren beschlossen, dass wir mit unseren Werken keinen negativen Beitrag zum lokalen Wasserhaushalt leisten wollen“, sagt Todd Brady, Chef für Nachhaltigkeit bei Intel.

In einer Hinsicht könne man ganz sicher sein. Wenn Intel damit rechnen würde, dass Arizona das Wasser ausgeht, hätte der Konzern hier nicht Milliarden investiert. Intel recycelt nicht nur, das Unternehmen finanziert auch Wassersparprojekte in anderen Teilen des Bundesstaates. So konnten Bauern dafür gewonnen werden, statt der Tierfutterpflanze Luzerne Braugerste anzubauen, die deutlich weniger Wasser verbraucht.

Phoenix verteuert im Sommer das Wasser, sodass sich weniger Leute Rasen leisten, der auf Beregnung angewiesen ist. Tucson verbietet neue Grünstreifen an Straßen, wenn sie keine spezielle Funktion haben. Das boomende Scottsdale verbietet Naturrasen vor neuen Häusern. Und die Desert-Monk- Brauerei in Gilbert nimmt recyceltes Abwasser für ihr Bier, weil es besser schmeckt, sagt Besitzer John Decker. „Wir leben in der Wüste. Wir müssen uns entsprechend verhalten“, sagt Sharon Megdal, Direktorin des Water Resources Research Center der Universität von Arizona.

Die Bauern sind nervös

Alles bleibt aber Stückwerk, solange die Großverbraucher nicht mitziehen. Rund 72 Prozent des Wasserangebots beanspruchen die Landwirte. Deren Rolle zeigt sich an einer verblüffenden Statistik. Arizona verbraucht heute so viel Wasser wie in den Fünfzigerjahren, obwohl sich die Bevölkerung seitdem versiebenfacht hat und die Wirtschaft 15 Mal so groß ist wie damals. Speziell die wuchernde Großstadt Phoenix sparte Wasser, indem sie Bauern verdrängte. Denn Ackerland verbraucht auf gleicher Fläche sechsmal so viel Wasser wie Siedlungen.

Hauptschuldige ist die Luzerne. Nirgendwo auf der Welt wächst diese Viehfutterpflanze, die auch als Alfalfa bekannt ist, besser. Neun- bis zehnmal im Jahr kann sie geerntet und zu Heuballen verpresst werden. Die Luzerne beansprucht in Arizona rund 60 Prozent des landwirtschaftlichen Wasserbudgets.

Bauern können sich bisher darauf ausruhen, dass außerhalb der großen Bevölkerungszentren und einiger ausgewählter Bezirke der Wasserverbrauch nicht reguliert ist. „In ländlichen Gegenden gelten keine Regeln mehr“, sagt Geologie-Professor Karl Flessa. Das Grundwasser kostet nichts, der Farmer kann, wenn er sich Bohrung und Pumpen leisten kann, so lange Wasser aus dem Boden holen, bis nichts mehr da ist. Er hat keinen Anreiz zum Sparen. Die Bauern sind trotzdem nervös.

Ein Vorfall hatte in Arizona die Gemüter erregt. Das saudi-arabische Agrarunternehmen Fondomente baute Luzerne in Arizona an und lieferte das Futter nach Saudi-Arabien. Im dürregeplagten Landstrich provozierte das Kritik, die einen Höhepunkt erreichte, als bekannt wurde, dass Saudi-Arabien selbst den ­Anbau von Luzerne untersagt hat, weil sie zu viel Wasser verschlingt. Arizonas Gouverneurin Katie Hobbs entzog Fondomente Pachtverträge fürs Ackerland.

Zweifel an den offiziellen Wasserstatistiken

Fondomente hatte praktiziert, was viele machen: Grundwasser nach oben pumpen und die Äcker damit bewässern. Das Agrarunternehmen hatte dafür sogar eine Bewässerungstechnik, die sparsamer und teurer ist als die Beregnungsanlagen auf den meisten Farmen.

Farmer Terry Hales sagt, er sei besorgt. „Was ist, wenn die Regierung als Nächstes sagt, uns passt nicht, wie Hales seine Farm managt, wir entziehen die Wasserrechte.“ Hales führt eine Alfalfa-Farm am Rande des Großraums Phoenix, die seit 1891 in Familienhand ist. Seine Felder werden überwiegend mit recyceltem Wasser bewässert. Die offiziellen Wasserstatistiken bezweifelt er.

Er sieht in der Enteignung von Fondamente einen Versuch, Wasser für Industrieansiedlungen frei zu machen. Dass Wasser wirklich knapp wird, glaubt er nicht. „Würden sonst so viele Unternehmen nach Arizona kommen?“ Könnte er auf weniger durstige Ackerfrüchte umstellen? „Ich sag ja Apple auch nicht, dass sie von nun an Schreibblöcke herstellen sollen.“ Er habe die Verantwortung für 30 Beschäftigte und wolle nicht riskieren, einen Markt aufzugeben, den er gut kenne.

Hales ist keine Einzelstimme. Bauernfunktionäre haben im Oktober die überparteiliche Wasserpolitik-Kommission unter Protest verlassen. Gouverneurin Hobbs hatte den Rat ins Leben gerufen, um eine neue Wasserpolitik zu entwerfen. „Die Farmer verweigern sich der Arithmetik“, sagt ein Wasserexperte. Auf Dauer funktioniert das nicht. Man möchte sagen, die Bauern müssen sich warm anziehen. Aber das wäre das falsche Bild in Arizona.