Vor jener Bundestagswahl 2025: Welche Ämter Linnemann, Frei, Spahn, Klöckner oder Bär übernehmen könnten
Noch hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht einmal die Vertrauensfrage gestellt – das geschieht am 16. Dezember –, und trotzdem wird in Berlin schon über die Zusammensetzung der künftigen Regierung spekuliert. Die meisten Beobachter und Demoskopen erwarten, dass in den Wahlen am 23. Februar kommenden Jahres die Schwesterparteien CDU und CSU eine relative Mehrheit erhalten werden. Dann wäre ihr Spitzenkandidat Friedrich Merz (CDU) Anwärter auf das Amt des Kanzlers. Um vom Bundestag gewählt zu werden, müsste er eine Koalition bilden, in der es gleich am Anfang ein heftiges Gerangel um die Ministerposten geben dürfte.
Aus der Union ist dieser Tage zu hören, es gebe zwar kein „Schattenkabinett“ mit ihren Anwärtern auf die Ämter; mit solchen Kabinettslisten hatte man vor der letzten Wahl 2021, die verloren ging, schlechte Erfahrungen gemacht. Aber natürlich kursieren schon Namen. Für die Wirtschafts-, Finanz-, Sozial-, Energie-, Digitalpolitik und für andere zentrale Ämter sind ein Dutzend Unionsmitglieder im Gespräch. In der aktuellen Legislaturperiode gibt es 15 Bundesministerien. Es waren in den Sechzigerjahren schon einmal 20, unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) existierten zwischen 2002 und 2005 nur 13.
Linnemann für Wirtschaft?
Als möglicher Anwärter für das Bundeswirtschaftsministerium gilt der CDU-Generalsekretär und promovierte Volkswirt Carsten Linnemann, ein enger Vertrauter von Merz. Seit seiner Zeit in der Mittelstands- und Wirtschaftsunion beschäftigt sich Linnemann mit der Wirtschafts-, aber auch mit der Arbeitsmarktpolitik. Als Merz kürzlich andeutete, möglicherweise Wirtschaft und Arbeit in einem Ministerium zu bündeln wie einst unter Wolfgang Clement (SPD), wurde das in Berlin als Zeichen für ein Superministerium für Linnemann interpretiert. Allerdings würde in einer Koalition mit der SPD sicher Letztere auf das Arbeits- und Sozialministerium bestehen.
Linnemann will in der Wirtschaftspolitik weniger auf Vorgaben, sondern mehr auf Eigenverantwortung setzen. Zentrale Forderung ist, anstelle des Bürgergelds wieder zu einer finanziell weniger attraktiven „Neuen Grundsicherung“ zurückzukehren. Was konkret in Linnemanns „Agenda 2030“ stehen soll, die für Anfang Januar angekündigt ist, wird derzeit noch erarbeitet. „Vor allem werden wir wieder auf die Kräfte der Sozialen Marktwirtschaft setzen“, versprach er kürzlich im F.A.Z.-Interview.
Linnemanns wichtigste wirtschaftspolitische Punkte werden in einem Sofortprogramm stehen, das er ebenfalls noch vor der Wahl vorlegen will. Neben der Grundsicherung wird sich darin die „Aktivrente“ finden, die es Ruheständlern ermöglichen soll, bis zu 2000 Euro monatlich steuerfrei hinzuzuverdienen. Ob die Ressorts Energie und Klimaschutz in einem von Linnemann geführten Wirtschaftsministerium verbleiben, ist unklar. Falls doch, hat er auch dafür neue Ideen: Die Kernenergie soll weiter eine Option bleiben, außerdem müsse auch die Herstellung von „rotem“ Wasserstoff aus Atomkraft zulässig sein.
Frei als Innenminister?
Wird Linnemann nicht Fachminister, könnte er Fraktions- oder Kanzleramtschef werden – je nachdem was Thorsten Frei will, der ebenfalls für diese Ämter gehandelt wird. Frei ist derzeit erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion und die rechte Hand von Fraktionschef Merz. Etwas Ähnliches ist Linnemann für Merz in dessen Eigenschaft als Parteivorsitzender. Beide, Frei und Linnemann, schreiben maßgeblich das Wahlprogramm.
Unionskenner halten es auch für möglich, dass der Innenpolitiker Frei das Amt des Innenministers übernehmen könnte. Das wäre ein migrationspolitisches Zeichen, denn der Jurist hatte sich 2023 in der F.A.Z. für eine Abkehr vom Individualrecht auf Asyl ausgesprochen. Allerdings liebäugelt auch die CSU mit dem Innenministerium, um ihre „harte Hand“ in der inneren Sicherheit zu zeigen.
Um die wirtschaftspolitische Deutungshoheit in der Unionsfraktion rangeln sich in dieser Legislaturperiode vor allem zwei Politiker: der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und frühere Gesundheitsminister Jens Spahn und die wirtschaftspolitische Sprecherin und ehemalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Spahn hat erkennen lassen, dass er gern ins Finanzministerium einzöge. Zwischen 2015 und 2018 war er dort Parlamentarischer Staatssekretär unter Wolfgang Schäuble (CDU). Falls es die FDP in die nächste Koalition schafft, dürfte jedoch sie das Finanzministerium beanspruchen. Das spricht eher für Spahn als Wirtschaftsminister.
In dieser Hinsicht hat sich Spahn zuletzt als Kritiker des Gebäudeenergiegesetzes profiliert. „Wir beenden die habeckschen Subventionsprogramme“, sagte Spahn im F.A.Z. Podcast für Deutschland. Das Heizungsgesetz werde die Union „zurücknehmen“. Dann brauche es auch nicht 20 Milliarden Euro Förderung, wetterte Spahn; tatsächlich geht es 2024 allerdings nur um 16,7 Milliarden.
Spahn gegen Habeck
Um deutliche Worte ist Spahn auch im Bundestag selten verlegen. „Wir haben Ihnen ein Land im Wachstum übergeben, und Sie haben daraus ein Land der Rezession und der Stagnation gemacht“, warf er Mitte September Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der Aussprache zum – inzwischen hinfälligen – Haushalt 2025 vor. In Anspielung auf die hohen Zustimmungswerte für die AfD fügte Spahn hinzu: „Aus Ihrem grünen Wirtschaftswunder ist ein blaues Wunder von Abstiegsängsten und Rezessionen geworden.“
Die Schuld für die aktuelle Misere allein der Ampel anzulasten ist heikel: Die Lage der Industrie verschlechtert sich bereits seit 2018. Auch die Migrationspolitik, der Kohle- und Atomausstieg und die frühere Abhängigkeit von russischem Gas gehen auf das Konto von Regierungen unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Doch die Wucht, mit der jetzt die Stellenstreichungen bei VW, Thyssenkrupp, Bosch, ZF und anderen Unternehmen einschlagen, kommt der Union entgegen.
Dass Spahn schon vor der US-Wahl Kontakte in die Republikanische Partei vertiefte, gar von „gemeinsamen Interessen“ sprach, wurde auch als Signal gewertet, dass er sich für das Amt des Wirtschaftsministers warmläuft. Gegen ein Ministeramt spricht allerdings, dass Spahn wie Merz und Linnemann aus Nordrhein-Westfalen stammt. Das könnte aus parteilichen Proporzgründen schwierig durchzusetzen sein. Möglicherweise wird Spahn daher Fraktionsvorsitzender der Union.
Söder will den Agrarminister stellen
Den Agrarministerposten im Bund hat der CSU-Chef, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, für seine Partei reklamiert. Er möchte, dass der Präsident des Bayerischen Bauernverbands, Günther Felßner, die Nachfolge von Cem Özdemir (Grüne) antritt. Auch der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, solle in Berlin „ein großes Ministerium“ erhalten, sagte Söder, ohne konkreter zu werden. Auf Listenplatz eins der CSU in Bayern geführt, ist Dobrindt sozusagen der Spitzenkandidat der Christsozialen für die Bundestagswahl. Er war von 2013 bis 2017 Verkehrsminister.
Der dritte CSU-Posten könnte an Dorothee Bär gehen, derzeit noch stellvertretende Fraktionsvorsitzende. In der letzten Merkel-Regierung war sie Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung. Deshalb wird spekuliert, dass sie Digitalministerin werden könnte. Ob mit dem Verkehrsressort wie bisher oder ohne, stehe noch dahin. Bär war unter Dobrindt Staatssekretärin im Verkehrsministerium, das könnte also passen.
Andererseits war zuletzt zu hören, dass die Union das Digitalministerium gern aufwerten und als Solitär aufstellen wolle. Denkbar ist überdies auch, dass Bär das Forschungs- und Bildungsministerium erhielte. Hierfür wird des Weiteren Karin Prien von der CDU gehandelt, die heutige Bildungsministerin aus Schleswig-Holstein. Für das Umweltministerium, in das die Klimapolitik aus dem Wirtschaftsministerium und die Klimaaußenpolitik aus dem Auswärtigen Amt zurückkehren könnten, ist der stellvertretende Parteivorsitzende der CDU und energiepolitische Fraktionssprecher Andreas Jung vorstellbar. Er ist Chef der mächtigen Landesgruppe aus Baden-Württemberg. Um den wichtigen Landesverband Hessen zu repräsentieren, könnte auch noch ein Job für Ines Claus gesucht werden. Sie ist die einzige Chefin einer Landtagsfraktion der Union.
Es wird wichtig sein, dass Merz im neuen Kabinett genügend Unionsfrauen versammelt, das spricht für alle genannten Politikerinnen. Auch ein ostdeutscher Vertreter dürfte gesetzt sein. Das könnte Tino Sorge aus Magdeburg sein, der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion. Er sagte kürzlich, die Union beanspruche den Posten des Gesundheitsministers. Falls es zu einer Koalition mit der SPD kommt, dürfte Amtsinhaber Karl Lauterbach das Amt aber nicht kampflos aufgeben. Überhaupt sollte man das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er nicht erlegt ist. Ob und wie viele Ministerämter ein Bundeskanzler Merz an seine eigenen Leute zu vergeben hätte, entscheidet sich erst nach der Wahl im Februar und nach der Koalitionsbildung – mit wem auch immer.