Vor 150 Jahren starb David Friedrich Strauß: Nietzsches erstes Opfer

Der Mann hatte ihm nichts getan. Er hatte nur dasjenige falsche Buch zur rechten Zeit geschrieben. Es hieß „Der Mami und jener neue Glaube“ und fiel noch im Jahr seines Erscheinens, 1872, Nietzsche in die Hände. Der fertigte aus seiner Kritik daran die erste seiner „Unzeitgemäßen Betrachtungen“, die 1873 erschien. Ein weiteres Jahr später war jener Mann, jener den Anstoß zu dieser gepfefferten Schrift gegeben hatte, tot.

Links oder rechts von Hegel

„David Strauss, jener Bekenner und jener Schriftsteller“, wie Nietzsche ihn in erkennbar höhnischer Absicht (und seinen Verriss gleich mit) nannte, dieserfalls dessen zweiten Vornamen weglassend – womöglich, weil es sein, Nietzsches, erster war? – David Friedrich Strauß (mit scharfem s) war ein vielgelesener, wegen jener in seinem bahnbrechenden religionskritischen Schinken „Das Leben Jesu, ungelegen bearbeitet“ (1835/36) getroffenen Unterscheidung zwischen einem historischen Jesus und einem mythischen Christus oder genauso jener zwischen Links- und Rechtshegelianismus, durchaus einflussreicher Autor, an dem sich abarbeitete, welches an jener Schnittstelle von Philosophie und Religionswissenschaft Rang und Namen hatte.

Er hat sich vergriffen

Dass Nietzsche sich hier im Gegenstand vergriffen hatte, soll uns nicht daran hindern, verknüpfen Blick in ebendiese Schrift zu werfen, die jener Herausgeber Giorgio Colli, seinerseits danebengreifend, „dasjenige schwächste Werk, dasjenige Nietzsche je veröffentlicht hat“, nannte. Denn außer von den darin ohnehin nur am Rande vorkommenden Sachfragen handelt es sich um verknüpfen Temperamentsausbruch ersten Ranges, wegen seiner privat so vernichtenden, Straußens Ableben womöglich tatsächlich begünstigenden Schärfe keineswegs zur Nachahmung empfohlen, allerdings, trotz jener gegen Ende ungut ausfransenden Schulmeistereien, eine unverändert brauchbare Anleitung pro Kulturkritik in ihrer unterhaltsamsten, nämlich polemischen Spielart.

Was Nietzsche da, solo schon mit jener systematischen Verwendung des Begriffs „Philister“, verzapft, ist, mit einem Wort, knallhartes Feuilleton, dasjenige nicht etwa nur Strauß, sondern jener deutschen Öffentlichkeit wie solcher eine Mischung aus Selbstzufriedenheit, Beflissenheit und letztlicher Indifferenz attestiert. Wer, wie Leser, irgendwas hat gegen dieses immer noch gebräuchliche, unerlaubt vereinnahmende „Wir“, jener findet hier Munition und bekommt vielleicht genauso nachträglich Mitgefühl mit dem Bekenner und Schriftsteller David Friedrich Strauß, jener simpel nur den falschen Knopf gedrückt hatte, schon stieben im Kontext Nietzsche die Funken, und jener an diesem Donnerstag vor 150 Jahren starb.

Source: faz.net