Von Brückentag solange bis Zugbrücke: Zehn Fakten mehr als Brücken

A

wie Aktionskunst

Ein Mann schaukelt, an verschiedenen Orten in Berlin, zum Beispiel nachts an der Oberbaumbrücke. Anschließend zieht er mit seiner mobilen Schaukel weiter, an andere Plätze der Stadt. Im Projekt Die neonorangene Kuh des Künstlerduos Wermke/Leinkauf sollen Freiräume, die in der Stadt verschwinden, zurückerobert werden. Im Sommer 2014 saß ich dann in einem kleinen Dorf in der Toskana und wartete auf Nachricht aus New York. Von meinem Bruder. Ich wusste ja, was er vorhatte. In der Nacht zum 22. Juli stieg er mit seinem Kollegen Wermke auf die Brooklyn Bridge, um die dort wehenden US-Flaggen durch weiße zu ersetzen, selbst genähte, einfarbige „star-spangled banner“. Hatte es geklappt? Hockte er längst im Gefängnis? Er gab Entwarnung, sie waren schnell nach Berlin zurückgeflogen. Wir hissten auf dem Kirchdach und über dem Eingang der Bar weiße Miniflaggen. Symbolic Threats, der Kurzfilm über die politische Aktion und die heftigen Reaktionen in den USA, lief 2015 auf der Berlinale. Maxi Leinkauf

B

wie Brückentag

Brückentage sind etwas besonders Feines. Wenn zwischen einem Feiertag und einem Wochenende nur ein oder zwei Tage liegen, dann kriegen Kinder (und Lehrkräfte) in der Schule häufig frei. Dieses Jahr fallen zum Beispiel noch der 3. Oktober und der 2. Weihnachtsfeiertag auf Donnerstage – Beschäftigte müssen dann nur einen Urlaubstag nehmen, um länger am Stück frei zu haben. Sie können sich so eine Brücke zum nächsten Kurzurlaub bauen und deutlich mehr davon im Jahr unterbringen. „Faire le pont“, heißt es auf Französisch. Gönnen Sie sich bei der nächsten Urlaubsplanung also ruhig mal einen Brückentag. Aber Vorsicht: Innerhalb von Teams sollte Fairness walten. Nichts ist uncooler als der Kollege, der am ersten Tag der Urlaubsplanung bereits alle Brückentage für sich beanspruchen will. Buh, Horst! Brücken sind für alle da! Ben Mendelson

C

wie Carolabrücke

Auf den Luftaufnahmen der 1970er-Jahre sieht sie gar nicht wie eine Brücke aus. Eher wie eine doppelt geschwungene Fortführung der Straße über den Fluss hinweg. Man überquerte hier die Elbe in der Tram, in Autos, mit dem Rad oder auch zu Fuß. Man konnte dabei von der Brücke auf die Stadt, den Fluss schauen. Von den Ufern blickte man unter ihr hindurch oder über sie hinweg. Sie selbst aber sollte kein Eyecatcher sein. Das war der Geist der Moderne, auch bei den Planern der Technischen Universität. Benutzt es, genießt es, aber beglotzt es nicht so romantisch. Als ich eine Weile jeden Morgen am Altstädter Brückenkopf in eine Tram zum TU-Campus stieg, fielen mir die beiden Großplastiken von Triton und der Nereïde mit ihren fabelhaften Reittieren auf (Friedrich Offermann, 1907), deplatziert erscheinende Überbleibsel der ersten Carolabrücke, geschwärzt vom Schmutz in der Luft. Jeder Platz in der Stadt hat eine Geschichte. Wie wird es nach dem Einsturz nun wohl weitergehen? Michael Suckow

E

wie Expressionisten

Es war ausgerechnet in Dresden, wo vier Architekturstudenten, darunter Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff, 1905 eine Künstlergruppe namens Brücke gründeten. Später stieß unter anderem Emil Nolde zur expressionistischen Clique. Auf den Namen kam Schmidt-Rottluff. Unklar bleibt, ob er sich auf eine der vielen Dresdner Brücken (→ Carolabrücke) bezog, die die Künstler abmalten. Möglich ist auch eine metaphorische Bedeutung, es könnte ein Aufbruchswillen und das Überwinden von Tradition zum Ausdruck gekommen sein. Heckel hielt in seinem Tagebuch fest: „Wir haben natürlich überlegt, wie wir an die Öffentlichkeit treten könnten. Schmidt-Rottluff sagte, wir könnten das Brücke nennen – das sei ein vielschichtiges Wort, würde kein Programm bedeuten, aber gewissermaßen von einem Ufer zum anderen führen.“ Tobias Prüwer

H

wie Hymnen

Es gibt starke Popsongs über Brücken, Under the Bridge von den Red Hot Chili Peppers, The Bridge von Elton John oder auch Brooklyn Bridge to Chorus von den Strokes. Doch aus all den Liedern, die sich mit ebenjenen Bauwerken befassen, ragen zwei als echte Hymnen-Klassiker heraus: Bridge over Troubled Water von Simon & Garfunkel und Über sieben Brücken musst du gehn von Karat (auch Peter Maffays Version war sehr erfolgreich). Beide Stücke sind Straßenmusik ebenso wie großes Orchester, so unterschiedlich sie auch sind. Sie haben, was Pop-Jahrhunderthymnen ausmacht: Sie sind getragen, empfindsam und feierlich, ganz im Sinne Friedrich Gottlieb Klopstocks. Denn der Dichter der Empfindsamkeit (→ Expressionisten) war es, der den altgriechischen, religiös verstandenen Begriff des „Hymnus“ in seiner Dichtung erstmals profanisierte. Wer kann die Refrains der Brückenlieder nicht am Lagerfeuer mitsingen, die von Generation zu Generation getragen werden. Marc Peschke

M

wie Morandibrücke

Die richtige Ausfahrt auf dem Weg zu unserem ligurischen Ferienhaus hatten wir plaudernd verpasst. Wir nahmen die nächste. Die Route führte uns dabei über das Polcevera-Viadukt, das auch als Morandi-Brücke bekannt war. Während wir die Brücke passierten, kam die Abendsonne zwischen den Wolken hervor und erleuchtete sie gleißend. Das beeindruckte mich so, dass ich mein Handy zückte und zu fotografieren begann. Unwissentlich lichtete ich auch die Sollbruchstelle ab, an der die Brücke zwei Tage später entzweibrach (→ Carolabrücke). 43 Menschen starben. Bis heute kann ich die Aufnahmen von damals nicht ohne eine Mischung aus Grauen und Dankbarkeit betrachten, umso mehr, als wir am Morgen des 14. August 2018 aufgrund extremer Schwüle unseren geplanten Genua-Ausflug spontan auf den nächsten Tag verschoben hatten. Beate Tröger

R

wie Rheinhausen

Ende der 1980er war die deutsche Stahlindustrie schon mal in einer Krise. In Duisburg-Rheinhausen stand fast 100 Jahre das Krupp-Stahlwerk. Es war der soziale und wirtschaftliche Mittelpunkt im Stadtteil westlich des Rheins. Nun wollte der Konzern das Werk 1987 dichtmachen. Das ließen sich die Kruppianer nicht gefallen und traten in den Arbeitskampf. Zu der Zeit waren schon von einst 16.000 Stahlarbeitern nur noch 6.300 übrig. Dieser Arbeitskampf ging als längster in der Nachkriegsgeschichte ein. Am 20. Januar 1988 kam es zur Besetzung einer Rheinbrücke von Duisburg-Hochfeld nach Rheinhausen. Sie trägt bis heute den Namen „Brücke der Solidarität“. An den Tagen der Besetzung kamen Menschen aus dem ganzen Ruhrgebiet und unterstützten die Kruppianer, ob es der Bäcker war, der Stullen verteilt hat, Vertreter sämtlicher Parteien oder auch Arbeiter anderer Betriebe. Die Versammelten bewarfen den Vorstandsvorsitzenden der Krupp Stahl AG, Gerhard Cromme, mit Eiern, Lehm und anderen Gegenständen. Es ging – und geht – um eine gesamte Region. Jens Siebers

S

wie Stahlbeton

Stahlkonstruktionen wie das Dresdner Blaue Wunder (das offiziell Loschwitzer Brücke heißt) sehen spektakulär aus, sind aber aufwendig in Bau und Wartung. Stahlbeton versprach da Abhilfe, erlebte einen Boom seit den 1950ern. Bautechnisch hat man sich vom recht günstigen Werkstoff abhängig gemacht. Die Konstruktionsweise führt zum zügigen Verschleiß, der ins eigentlich kluge Konzept eingebaut ist. Es verbindet die hohe Druckfestigkeit von Beton mit der Zugfestigkeit von Stahl. Jedoch funktioniert das nur, solange der Stahl komplett vor äußeren Einflüssen geschützt ist. Dafür muss ein bestimmter ph-Wert-Bereich im Beton herrschen. Ändert sich dieser, etwa durch Eindringen von Chemikalien, rostet der Stahl. Schon nach etwa 30 Jahren beginnt der Verfall der Stahlbeton-Gebäude (→ Warnschilder), der Aufwand zu ihrer Sicherungist (zu) hoch. TP

W

wie Warnschilder

Wer von Astoria im US-Bundesstaat Oregon zum Cape Disappointment (Kap der Enttäuschung) in Washington State will, muss über die Megler Bridge, eine 1960-er Hangbrücke aus → Stahlbeton. Der Columbia River ist an dieser Stelle sechs Kilometer breit, der Pazifik nicht weit. Man muss über eine Rampe und passiert Warnschildermit der nationalen Nummer zur Suizid-Prävention. Damit nicht die Brücke schuld ist, wenn sich jemand mit ihrer Hilfe umbringt. So wie auf US-Kaffeewegwerfbechern steht, dass man sich an heißer Flüssigkeit den Mund verbrühen – und nicht, dass Kapitalismus tödlich enden kann. Safety first. Sicherheit zuerst. Betreten zu Fuß verboten, vom Radfahren wird dringend abgeraten. Auch die Golden Gate in San Francisco gehört zu den Suicide Bridges. Auf der Suche nach einem besseren Leben ziehen Deprimierte von der Ostküste an die Westküste. Und wenn es dort auch nicht weitergeht, sind sie enttäuscht und stürzen sich von der Brücke in die Tiefe. Die Megler vibriert wie verrückt und sieht wahnsinnig schön aus (→ Aktionskunst). Katharina Körting

Z

wie Zugbrücke

Zugbrücken kennt man aus Geschichten von Ritterburgen mit ihren tiefen Gräben und aufklappbaren Brücken, die den Zugang zum Burghof regeln. Im Hochmittelalter diente die Zugbrücke als flexible Verteidigungslinie: Sie schützte das Burgtor, den schwächsten Punkt der Festung, vor Feinden oder ließ Besucher und Untertanen passieren. Das Prinzip der Zugbrücke hat die Jahrhunderte überdauert. Wie bei der Tower Bridge in London, einer der bekanntesten Zugbrücken der Welt, die jetzt 130 Jahre alt wird. Die Brücke wurde so konstruiert, dass ihre beiden Klappteile hochgezogen werden können, um großen Schiffen die Durchfahrt auf der Themse zu ermöglichen. Jährlich öffnet sich die Brücke inzwischen 800-mal, eine verschwindend geringe Zahl im Vergleich zum ersten Jahr, 1894. Symbol für Schutz und Kontrolle über die eigene Welt ist sie noch heute. JS