Volkswagen: Seltsamer neuer Nachhaltigkeits-Beirat – VW holt sich Autokritiker denn Berater – WELT

Nach seinem Amtsantritt als Volkswagen-Chef hatte Oliver Blume den Nachhaltigkeitsbeirat des Konzerns abgeschafft. Jetzt wird das Gremium in einer neuen Form wiederbelebt – mit überraschenden Mitgliedern.

Nach zwei Jahren Pause beruft der Volkswagen-Konzern einen neuen Nachhaltigkeitsbeirat. Das Gremium besteht aus zwölf externen Experten und ebenso vielen internen Vertretern aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens. In vier Arbeitsgruppen sollen sie künftig wesentliche Fragen zur Zukunft von VW diskutieren und konkrete Vorschläge zur Umsetzung machen.

Der Ansatz der neuen Gruppe unterscheidet sich deutlich vom früheren Nachhaltigkeitsbeirat, den VW 2016 gegründet hatte, kurz nachdem der Diesel-Betrug aufgeflogen war. Damals hatte sich der Konzern vor allem mit prominenten Namen geschmückt. Sprecher war der Gründungsdirektor des United Nations Global Compact, Georg Kell, daneben zählten unter anderem die frühere EU-Klimaschutzkommissarin Connie Hedegaard, der Klimaforscher Ottmar Edenhofer und Ex-DGB-Chef Michael Sommer zu dem Gremium.

Als der heutige Konzernchef Oliver Blume vor zwei Jahren seinen Posten antrat, ließ er das Mandat des Beirats auslaufen. Seit 2022 gab es keinen solchen Beraterkreis bei VW. Der frühere Nachhaltigkeitsbeirat habe dem Unternehmen geholfen, sagt der Nachhaltigkeitschef des Konzerns, Dirk Voeste, im Gespräch mit WELT. „Er trug dazu bei, im Vorstand ein Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit zu schaffen.“

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Heute sei VW aber einen Schritt weiter. „Für Oliver Blume ist Nachhaltigkeit sehr wichtig“, sagt Voeste. Sie sei ein essenzielles Element der Unternehmensstrategie. „Der neue Beirat soll daher noch mehr in die Organisation wirken, er ist deswegen mit externen und internen Experten für konkrete Themenfelder besetzt.“

Interne Beratung statt Krawall scheint das Motto zu sein. Unter den Experten im Rat finden sich zwar einige Namen, deren Organisationen auf den ersten Blick Gegner der Autoindustrie sind. Beispielsweise William Todts, der Chef der Brüsseler Klimaschutz-Lobby Transport & Environment (T&E), oder die Kreislaufwirtschafts-Expertin Rebecca Tauer von der Umweltschutzorganisation WWF. Bisher sind sie aber nicht durch harsche Kritik am Kurs des Unternehmens aufgefallen. Das gilt auch für den Chef der Berliner Initiative German Zero, Julian Zuber, den Europachef der Alliance for Responsible Mining, Marcin Piersiak, und Aron Cramer, Chef des Netzwerks Business for Social Responsibility.

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Neben diesen Vertretern von Lobbyorganisationen sitzen noch eine Reihe von Wissenschaftlern mit in den vier Gesprächskreisen. Darunter sind die Biologin Frauke Fischer von der Uni Würzburg, der Geograf Joel Hartter von der University of Colorado Boulder und Christina Schildmann von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

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Die Besetzungsliste spiegelt den Versuch, ein möglichst internationales und diverses Gremium zusammenzusetzen. Dennoch sind die deutschen Experten in der Überzahl und es fehlen Vertreter aus China – ein Land, das für VW eine überragende Bedeutung hat. Debatten über den Umgang mit der Volksrepublik könnten in der Arbeitsgruppe „Gesellschaft“ eine Rolle spielen. Daneben gibt es Kreise zu den Themen „Natur“, „Unsere Belegschaft“ und „Business“. Über die internen Mitglieder, die unter anderem bei Audi, Porsche, VW und im Konzern arbeiten, sollen die Empfehlungen ins Unternehmen getragen werden. Nicht nur über den Vorstand.

Voeste sieht darin eine neue Form der Zusammenarbeit mit sogenannten Stakeholdern, also interessierten Gruppen außerhalb des Konzerns. „Der neue Beirat soll eine ständige, agile Beratungsinstanz für das Unternehmen sein. Den Mitgliedern werden wir auch interne Daten zur Verfügung stellen. Der Arbeitsaufwand für sie wird vergleichsweise hoch sein“, sagt er. „Wir wollen von ihnen konstruktives, kritisches Feedback und Impulse für unsere Arbeit.“

Indikatoren für Biodiversität und Dekarbonisieren von Lieferketten

Die Themen sollen die Gruppen teilweise selbst finden, oder aus der Organisation bekommen. Auf dem Plan stehen bereits die Erarbeitung eines Biodiversitätsindikators, Ideen zur Dekarbonisierung der Lieferkette, zur Kreislaufwirtschaft und zur Modernisierung des Dialogs mit Stakeholdern.

So wie der frühere Beirat sollen auch die neuen Experten gelegentlich mit dem Vorstand sprechen. Zum ersten gemeinsamen Treffen in Berlin kommt auch Blume. Das Umfeld und die Zielsetzung sind aber deutlich anders als vor acht Jahren. Damals hatte Martin Winterkorn gerade seinen Posten als Vorstandschef räumen müssen und VW steckte in der tiefsten Krise seiner Geschichte.

Sein Nachfolger Matthias Müller sagte 2016, die Empfehlungen des Beirats sollten „dazu beitragen, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unsere Kunden und die Öffentlichkeit wieder Vertrauen fassen können“. Man wolle den Konzern „zu einem Vorbild für ein nachhaltig agierendes, integres und zugleich wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen“ machen, was „aus heutiger Sicht zweifellos ein ambitioniertes Ziel“ sei. Zumindest dieser Punkt gilt wohl immer noch.

Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur und berichtet für WELT über alle Themen aus der Autoindustrie.

Source: welt.de