Viele Fans im Vorverkauf geknickt: Alle wollen zu Oasis
Samstagmorgen, es ist kurz vor neun. Ich habe schlecht geschlafen, bin nervös. Das Fenster des Internetbrowsers lädt neu. Und dann stehe ich auf Platz 311.162 der virtuellen Warteschlange für das Oasis-Konzert in Dublin im Sommer 2025. Meine Frau, über ihren Laptop am Küchentisch gebeugt, steht irgendwo 65.000 Positionen vor mir.
Anscheinend wollen gerade alle nach Irland, um Oasis zu sehen. Erst in einer Stunde, um zehn Uhr deutscher Zeit, beginnt der Vorverkauf für die restlichen Konzerte in Großbritannien.
Die günstigsten Plätze im Croke Park, der rund 82.000 Zuschauer fasst, kosten knapp 90 Euro. Wer Liam und Noel Gallagher ganz nah an der Bühne erleben will, muss 170 Euro zahlen. Spezielle Fan-Pakete mit T-Shirts, Oasis-Ausstellungsbesuch und Services wie schnellerem Zugang zu den Plätzen kosten mehrere hundert Euro.
Konzert-Hype des Jahres
Das Ende des Bruderzwists zwischen Liam, dem charismatischen Sänger der vor allem in den 1990er Jahren sehr erfolgreichen Britpop-Band, und Noel, dem Gitarristen und Songwriter von Oasis, beherrschte diese Woche die Gespräche. Zumindest in meinem Umfeld. An diesem Samstagmorgen sitzen viele andere Freunde und Bekannte vor dem Computer und versuchen, an Tickets zu kommen. Im Vorfeld haben wir Strategien abgesprochen („Wembley? Auf keinen Fall! Manchester? Da wollen alle hin!“) und uns gegenseitig Kartenwünsche „für alle Fälle“ zugeschickt.
9.02 Uhr. Mein Bruder meldet sich von Platz Nummer 196.560. „Also ausverkauft“, sagt er. Die Rechnung ist einfach. Jeder Interessent kann über die Plattform „Ticketmaster“ bis zu vier Karten kaufen. Wenn also nur die ersten knapp 45.000 Menschen am Anfang der Schlange ihr Kontingent ausschöpfen, sind beide Oasis-Konzerte im Croke Park voll. Dann beginnt das gegenseitige Überbieten der Fans auf den Zweitmärkten.
Schon seit Freitagnachmittag konnten Fans mit einem Code Tickets für die Konzerte in London, Manchester, Cardiff und Edinburgh in einem sogenannten Presale kaufen. Kurz darauf gab es auf Portalen wie „Stuhub“ die ersten Angebote für zahlungskräftige Fans, die sich nicht wie ich und Millionen andere bei Ticketmaster einreihen wollen: Die billigsten Tickets, das sind Sitzplätze knapp 120 Meter von der Bühne entfernt, kosten in Wembley knapp 600 Euro.
Der eigentliche, offizielle Verkauf läuft aber über die Ticketingplattformen Gigs and Tours, dem seit kurzem zu CTS Eventim gehörenden Anbieter See Tickets, Gigs in Scotland (nur für die Edinburgh-Shows) und Ticketmaster, eine Tochtergesellschaft des weltgrößten Live-Entertainment-Konzerns Live Nation. Die Plattformen verdienen alle über diverse Gebühren mit.
Die Band spielt ausnahmslos in großen Stadien, wobei für die Shows im Londoner Wembley-Stadion die meisten Fans erwartet werden. Alleine mit den bislang fix angekündigten 17 Konzerten in Großbritannien und Irland und mehr als eine Million verkauften Tickets dürften so mehr als 100 Millionen Euro umgesetzt werden. Das Branchenmagazin „Billboard“ kalkuliert mit umgerechnet rund 230 Millionen Euro nur aus Ticketverkäufen. Über Mercheinnahmen, diverse VIP-Pakete und etwaige Sponsoringdeals kommt noch einiges hinzu.
„Bitte haben Sie Geduld“
Es ist 9.10 Uhr, als sich der Chatbot von Ticketmaster zum ersten Mal meldet. Wie erwartet sei Oasis unglaublich beliebt, lautet die digitale Durchhalteparole – „pease keep your place in line“. Im Netz lese ich den Post einer Oasis-Followerin. Sie berichtet, dass sie seit 4 Uhr nicht mehr schlafen konnte, aus Angst, den Verkaufsstart zu verpassen. Dazu postet sie ein Bild von ihrem Schreibtisch mit PC, Laptop und Tablet. Mit diesen drei Geräten rechnet sie sich mehr Chancen aus.
9.35 Uhr. In knapp einer halben Stunde öffnen in Großbritannien Ticketmaster und andere zentrale Vorverkaufsstellen für die Reunion-Tour. Dann beginnt das Spiel von vorne. Mein Bruder hat sich in mehreren verschiedenen virtuellen Warteräumen unter anderem für die Konzerte in Manchester, der Heimat von Oasis, angemeldet.
Am Küchentisch diskutieren wir kurz über seinen Plan, verwerfen die Idee aber wieder. Wir versuchen es weiter in Dublin. Von der Warteschlange aus kann meine Frau schon virtuell die Auffahrt zum altehrwürdigen Croke Park sehen. Platz 213.789 und unser ständiger Begleiter, der Chatbot von Ticketmaster, versichert uns, dass es für beide Konzerte in Dublin noch genügend Karten gibt.
Britische Medien verwiesen schon vor Bekanntwerden der Ticketpreise auf eine Schätzung der Universität Birmingham, die die potentiellen Einnahmen auf umgerechnet mehr als 400 Millionen Euro taxiert. Dimensionen, in denen sich in etwa Taylor Swift mit den 18 Shows ihrer „Eras Tour” in Großbritannien und Irland bewegte. Wie viel am Ende die beiden Brüder erhalten, hängt allerdings nicht zuletzt davon ab, wie aufwendig – ergo kostspielig – die Comeback-Shows produziert werden.
Dass eine stattliche Summe für die beiden zusammenkommen dürfte, steht in jedem Fall außer Frage. So machen Mutmaßungen die Runde, die Versöhnung könne mit Noels Scheidung zusammenhängen, seine Ex-Frau soll rund 20 Millionen Euro erhalten. Er wäre zumindest nicht der erste Musiker, der nach einer Trennung wieder oder vermehrt Konzerte spielte.
30 Millionen Menschen wollen Karten
Es war klar, dass die Nachfrage das Angebot an Karten bei weitem übersteigen würde. Am vergangenen Montag gaben Oasis ihre Rückkehr bekannt, mit Konzertterminen im Juli und August 2025. Obwohl inzwischen angebliche Zusatztermine und weitere Tourpläne für Amerika, Australien und Asien im Internet kursieren, versuchen Schätzungen zufolge bis zu 30 Millionen Menschen, Tickets für die Konzerte auf den britischen Inseln zu ergattern. Meine Chance, überhaupt eine Karte für eines der Konzerte zu bekommen, liegt bei etwas mehr als 5 Prozent. Das errechnete der Sportwettenanbieter AceOdds auf Basis aller verkauften Tickets und der Zugriffszahlen der Oasis-Hörer auf Spotify.
Der Vormittag kriecht dahin, in Dublin geht nichts mehr. Stau in der Schlange. Eine Bekannte macht uns Mut. Sie habe auch 260.000 Menschen vor sich in der Schlange gehabt – „und dann hatte ich nach sechs Stunden Karten für Coldplay.“ Im Netz kursieren erste Nachrichten, es soll nur noch teure Pakete für Dublin geben. Wer jetzt noch sein Glück woanders versuchen will, hat Pech. Die englische Website von Ticketmaster ist nicht mehr erreichbar, auch bei den anderen lizenzierten Anbietern geht nichts mehr.
Oasis trennten sich 2009, doch aus der Vermarktung ihrer Musik kam und kommt natürlich weiterhin Geld zusammen. Einerseits über Re-Releases der Alben, andererseits durch die Nutzung der Werke in Werbeclips, Filmprojekten oder ihre öffentliche Aufführung – und natürlich mit dem Aufkommen des Streamings über Spotify und Co. Das angekündigte Comeback ließ die Zahlen sprunghaft ansteigen und dürfte sie weiter nach oben treiben: Musikstreaming-Marktführer Spotify berichtete von einem Plus von 690 Prozent seit die Brüder mit den Neuigkeiten an die Öffentlichkeit gegangen sind. Alleine auf Spotify kam die Band einen Tag nach Ankündigung der Konzerte auf knapp 22 Millionen monatliche Hörer, Samstagmorgen sind es schon 26,4 Millionen (freilich immer noch deutlich weniger als die aktuelle Nummer eins in der Kategorie, Billie Eilish, mit 108 Millionen).
Mit bis dato etwas mehr als 2 Milliarden Streams ist „Wonderwall“ hier der meistgehörte Song. An solche Werte kommen die separaten Projekte der Brüder – Noels High Flying Birds, Liams Band Beady Eye und seine Solo-Veröffentlichungen – nicht im Ansatz heran. Oasis hat sieben Studioalben veröffentlicht und dürfte mehr als 50 Millionen Tonträger verkauft haben. Von etwaigen neuen Songs ist bislang nicht die Rede, aber Material für lukrative Neuauflagen gibt es reichlich. Erst an diesem Freitag erschien zum 30-jährigen Jubiläum eine „Deluxe-Version“ des Debütalbums „Definitely Maybe“.
Noel verdient Löwenanteil
Aus meinem Lautsprecher dröhnt „Supersonic“, die erste Single des Debütalbums. Liam singt von Unbeschwertheit. Bei uns in der Schlange schwindet hingegen die Hoffnung, heute noch Tickets zu bekommen. Edinburgh, London oder Manchester – in meinen Timelines melden sich Bekannte, die mehr Erfolg hatten. Ich gönne es jedem, aber natürlich bleibt es mein Traum die Oasis-Brüder einmal gemeinsam auf einer Bühne zu sehen.
Liam und Noel Gallagher haben seit 2000 ihr eigenes Label, Big Brother Recordings. Für Vertrieb und Vermarktung wurde im Oktober 2020 eine Partnerschaft mit Sony Musics Vertriebssparte The Orchard abgeschlossen, die nach wie vor bestehen dürfte. Die Rechte an den Aufnahmen selbst – das Album “Dig Out Your Soul” ausgenommen – sollen laut Billboard aber bei Sony liegen, das legen auch Informationen der F.A.Z. nahe. Sony wiederum hat sie laut dem Branchenmagazin an Big Brother lizensiert und vertreibt sie wiederum über The Orchard. Wie alle Beteiligten die Einnahmen aufteilen, ist öffentlich nicht bekannt.
In jedem Fall dürfte Noel einen größeren Teil der Einnahmen aus dem gesamten musikalischen Schaffen der Band erhalten als Liam. Denn im Vergleich zu den Tantiemen, die aus der Vermarktung der Aufnahmen anfallen, ist die Lage hinsichtlich der Texte und Kompositionen ziemlich einfach: Die allermeisten Oasis-Songs hat Noel Gallagher geschrieben. Die Auswertung seines Katalogs und die Einholung der Tantiemen verantwortet Sonys Verlagssparte.
Liam schrieb nur etwas mehr als zehn Songs für die Band. Sein Verlagspartner ist Warner Chappell, auch seine mittlerweile drei Solo-Alben sind über ein Warner-Music-Label erschienen. Liam erhält also überwiegend nur Geld aus der Nutzung der jeweiligen Aufnahmen der Band.
Sein älterer Bruder Noel verdient dagegen immer auch dann mit, wenn die Texte und Kompositionen aus seiner Feder verwendet werden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Songs von anderen Musikern gecovert werden – bei Superhits wie „Wonderwall“ ein nicht zu unterschätzender Faktor –, aber eben auch dann, wenn Liam auf Konzerten Oasis-Hits spielt (was dieser wohl kaum als Cover verstanden haben wollte). Ein Fakt, den Noel Ende 2018 im Musikmagazin Mojo entsprechend genüsslich kommentierte: Während sein Bruder Konzerte spiele, schaue er Fußball und bekomme Schecks der britischen Verwertungsgesellschaft PRS, weil dieser „seine“ Songs aufführe.
Mit der Autorenschaft hat Noel überdies auch das Recht, darüber zu entscheiden, wo und wie die Songs genutzt werden, beispielsweise, wenn es um lukrative sogenannte „Sync“-Deals für Werbung oder Filme geht. So warf Liam 2019 seinem Bruder vor, die Nutzung von Oasis-Songs für die Dokumentation „As It Was“ verweigert zu haben. Der Film über den Werdegang von Liam seit dem vorläufigen Ende der Band 2009 enthält tatsächlich kein einziges Werk der Band.
Risiko Brüderkrieg
Aufgrund der Dauerstreitigkeiten und langen Funkstille bleibt die Frage, ob es wirklich gut geht mit dem Comeback und eine Welttournee eine gute Idee ist. Den Beteiligten könne zumindest vertraglich möglichst unattraktiv gemacht werden, die gesamte Tour oder einzelne Konzerte platzen zu lassen, sagt Rechtsanwalt Thomas Stein, der diverse Veranstalter und Musiker vertritt. Der Jurist spricht von empfindlichen Vertragsstrafen bis hin zur Möglichkeit, dass ein Künstler seine gesamte Marge an den Veranstalter oder bei nur zum Teil gespielten Auftritten an die verbleibenden Künstler abgeben muss.
„Es könnte insoweit sinnvoll sein, einen Verhaltenskodex aufzusetzen, der die Art von Konflikten und ihre Beilegung regelt“, sagt Stein, „ein solcher Kodex kann und sollte auch mit Vertragsstrafen versehen werden.“ Sollte all das nichts nutzen, und sich die Brüder doch vor der Tour oder einem Konzert überwerfen, wäre auch der lokale Veranstalter respektive der Tourveranstalter in der Pflicht: „Der Tod oder die Krankheit eines Künstlers, aber auch die Trennung einer Band kurz vor dem Auftritt oder weiteres fällt in den Risikobereich des Veranstalters“, so Stein. Dieser könne aber für solche Fälle „gegebenenfalls eine Veranstaltungs-Ausfallversicherung abschließen”. Die erscheint mit Blick auf die Comeback-Shows ratsam – wie hoch die Versicherungsprämie ausfällt, steht auf einem anderen Blatt.
Konzertabsagen und andere Vorfälle hat es bei Oasis schon vor dem Aus der Band 2009 gegeben. Im Jahr 2000 traten Oasis bei Rock am Ring auf, allerdings ohne Noel. In Paris zerstritten sich die Brüder vor einem Konzert dann endgültig – bis jetzt. Im Internet und auf der Plattform „X“ habe ich zahlreiche Memes dazu gesehen, fast alle spielen mit der Angst von uns Fans: dass Noel und Liam sich nach den ersten Konzerten wieder entzweien. Bis dahin ist es aber noch fast ein Jahr, und viel schlimmer: Karten aus Dublin sind weiter nicht in Sicht. Um kurz vor 13 Uhr meldet sich der Chatbot von Ticketmaster. Es sind nicht mehr alle Ticketkategorien verfügbar, zusammenhängende Sitzplätze im Croke Park wird es vermutlich nicht mehr geben. Tausende andere Interessenten verlassen die Schlange.
Wir hatten uns am Samstagmorgen ein Preislimit gesetzt. Für gute Live-Musik gebe ich eigentlich gerne etwas mehr Geld aus. Aber diesmal bin ich vernünftig. Denn am frühen Nachmittag beschweren sich viele Fans auf „X“, dass Ticketmaster die Preise „dynamisch“ anpasst. Die Vorwürfe richten sich auch gegen Oasis. Auf Screenshots kann man sehen, dass die Stehplätze in Dublin, die am Vormittag noch 180 Euro gekostet haben, jetzt für 415,50 Euro das Stück verkauft werden. Wenn das stimmt, sind die Ticketpreise um 130 Prozent gestiegen!
Nach mehr als vier Stunden ist uns klar: Beide Oasis-Konzerte in Dublin sind ausverkauft. Die Enttäuschung ist groß. Für einen gemeinsamen Konzertbesuch bleibt uns jetzt nur der Zweitmarkt. Mancher Käufer will dort Profit machen. Ob wir uns noch auf dieses Spiel einlassen? Das wird sich zeigen, wenn das Adrenalin abgeebbt ist.
Marcus Jung versuchte am Samstag als einer von Millionen Fans, Tickets zu ergattern, Benjamin Fischer schaute auf die wirtschaftlichen Hintergründe rund um Oasis.