Videospiele: Der Weg in die Killernetzwerke

Weihnachten ist vorbei, und viele Jugendliche dürften jetzt vor ihren Konsolen sitzen. Vielleicht vor einem Videospiel, dessen Geschichte ungefähr so geht: Es ist 2027. Die NATO steht vor dem Zerfall, und ein privates Militärunternehmen versucht, die Macht an sich zu reißen. Die Spieler sind Teil einer Elite-Squad-Einheit der US Marine Raiders und müssen ihre Gegner töten. Das Spiel heißt „Battlefield 6“ und wurde weltweit in nur fünf Tagen über sieben Millionen Mal verkauft. Es ist das erfolgreichste „Killerspiel“ des Jahres.

Nun weiß man heute, dass solche Spiele allein keinen Jugendlichen zum Killer werden lassen. Vorbehalte gegen Videospiele gibt es trotzdem. Da ist etwa die soziale Isolation. Schließlich, so könnte man meinen, muss es doch furchtbar einsam sein, wenn Jugendliche vor ihren Bildschirmen sitzen, allein in ihren Zimmern, während sie mit einem G36-Sturmgewehr virtuelle Kopfschüsse abfeuern.

Dabei ist es eher ein Problem, dass die Jugendlichen oft gar nicht so allein sind. Denn die meisten von ihnen ziehen in Gruppen in den Krieg. Sie formieren sich online zu Teams, sie chatten und sprechen über ihre Headsets miteinander.

Das können sie in den Spielen selbst tun. Beliebter sind aber eigens für diesen Austausch entwickelte Plattformen, wie beispielsweise Twitch, Steam oder Discord. Allein auf Discord versammeln sich weltweit über 250 Millionen Nutzer, und obwohl die Plattform ursprünglich ausschließlich für Videospiele entwickelt wurde, gibt es heute Gruppen zu jedem erdenklichen Thema.

Attentäter nutzten die Plattform

Es gibt Gruppen für Battlefield-Spieler, Gruppen für Veganer, für AfD-Anhänger ebenso wie für Swifties, für Evangelikale – und für Verehrer von Charlie Kirk. Eine dieser Gruppen gewährte nach Kirks Mord in diesem Jahr einen Einblick in die Abgründe der Plattform. Ein Nutzer mit dem Namen „zealous_moneky_55095“ schrieb: „Hey Leute, ich habe schlechte Nachrichten für euch alle. Ich war es gestern an der UVU“. Der Nutzer heißt eigentlich Tyler Robinson und hatte wenige Stunden zuvor Kirk erschossen.

Doch es war nicht das erste Mal, dass die Gaming-Plattform eine Rolle bei Attentätern spielte. Nachdem ein Mann 2022 zehn Menschen in Buffalo erschossen hatte, fanden Ermittler eine Art Tagebuch in seinem Discord-Kanal. Er hatte die Tat dort vier Monate lang geplant. Er posierte mit Waffe und veröffentlichte handgezeichnete Pläne des Supermarktes, der später zum Tatort wurde. Dass solche Einträge auf der Plattform zunächst unentdeckt bleiben, verwundert nicht.

Discord hat ein unüberschaubares Eigenleben auf über neunzehn Millionen dezentralen Servern entwickelt. Mehr als zweitausend Server mit rechtsextremistischen Inhalten soll die Plattform bereits geschlossen haben. Doch das ist kaum mehr als die Spitze des Eisbergs.

Wer seinen Kindern ein „Killerspiel“ unter den Baum gelegt hat, muss sich womöglich also weniger Gedanken über virtuelle Kopfschüsse machen als vielmehr über die Welt, die diese Spiele Jugendlichen eröffnen. Eine Welt, die an das Darknet erinnert. In der zwar längst nicht alles schlecht ist und in der sich größtenteils friedfertige Gamer tummeln – aber eben immer wieder auch Extremisten. Da ist auch der Optimismus von „Battlefield 6“ kaum ein Trost: Dort kämpfen die Vereinigten Staaten für den Erhalt der NATO.

Source: faz.net