Verkehr und Klimawandel: Warum autofreie Sonntage Symbolpolitik sind

Zuletzt war es der Verkehrsminister Volker Wissing, der Fahrverbote auf deutschen Straßen ins Spiel brachte. Die CO2-Einsparungen, die das neue Klimaschutzgesetz seinem Ressort – genauer: den deutschen Autofahrern – abverlange, ließen sich nur mit drastischen Maßnahmen einhalten, sagte er Mitte April. Und drohte mit einer Art Lockdown des Straßenverkehrs in Deutschland.

Wissing benutzte Fahrverbote als Drohkulisse, um durchzusetzen, dass der Verkehrssektor mit besonders schlechtem CO2-Fußabdruck seine Emissionen mit anderen Sektoren verrechnen darf. So kam es dann auch. Das von der Ampel verabschiedete Klimaschutzgesetz nahm Abschied von den Sektorzielen. Was zählt, ist die Gesamtbilanz. Der Erderwärmung ist es egal, wo die CO2-Emissionen herkommen. Wissing konnte seine selbst inszenierte Drohung zu einem Erfolg stilisieren und die Bürger beruhigen: Es werde keine verkehrsfreien Sonntage geben.

Drohung und Entwarnung funktionieren auf dem Hintergrund von Bildern des kollektiven Gedächtnisses der Deutschen. In den späten Jahren des Wirtschaftswunders hatte die Bundesrepublik ebenso wie andere Industriestaaten bedenkenlos fossile Energie als Motor des Wirtschaftswachstums verbraucht. Bis in die Sechzigerjahre war man mit der heimischen Kohle noch weitgehend energieautark. Anfang der Siebzigerjahre hatte man sich dann mit einem Anteil von 60 Prozent von Öl-Energieimporten abhängig gemacht, ähnlich sollte es später mit der Abhängigkeit vom russischen Gas werden.

Zu Fuß auf der Autobahn – ein großes Volksfest

Als im Oktober 1973 nach Ausbruch des Jom-Kippur-Kriegs in Israel die OPEC-Staaten die Ölförderung drosselten, stieg der Ölpreis schlagartig an. Westdeutschland reagierte auf die Ölkrise mit einer ungewöhnlichen Sparmaßnahme und verhängte von November 1973 an insgesamt vier autofreie Sonntage sowie Tempolimits. Ich war damals zwanzig Jahre alt. Staunend nutzten wir die seltene Möglichkeit, einmal eine Autobahn zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erkunden. Ein großes Volksfest.

Tatsächlich markiert das Jahr 1973 eine Zeitenwende der Nachkriegsgeschichte. Auf Jahre des Wachstums folgten Stagnation, Inflation, Arbeitslosigkeit – und die Erfahrung, dass fossile Energie nicht auf ewig billig zur Verfügung stünde.

Hatten die autofreien Sonntage auch einen nachhaltigen Bewusstseins- und Verhaltenswandel zur Folge? Waren sie gar eine Art Vorbote einer ökologischen Klimawende? Ja, so war es, sagt die Historikerin Hedwig Richter unter Bezug auf historische Forschungen. Die leeren Straßen hätten sich „mit einem geradezu zauberhaften Glanz“ in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben, schwärmt sie.

Zwar räumt Richter ein, die vier autofreien Sonntage hätten nicht primär dem Ziel gedient, Energie einzusparen. Doch seien sie als „Signal an die Bevölkerung“ gedacht gewesen: Achtet auf den Energieverbrauch! Die Politik habe die Bevölkerung als „Zuständige“, als Erwachsene, angesprochen, so Richter in einem Duell mit F.A.Z.-Herausgeber Jürgen Kaube.

Die Geschichte ist vertrackter

Schließt man sich der These an, hätte das erhebliche Konsequenzen für die Frage symbolischer Politik. Sowohl Bürgerbewegungen (von Fridays for Future bis zur Letzten Generation) wie auch Politik hätten dann eine Begründung dafür, dass sich mit solchen Aktionen wie den autofreien Sonntagen das Verhalten der Bürger steuern lasse – selbstverständlich nur zum Guten und Wahren. Signalpolitik als Instrument der ökologischen Bürgererziehung.

Doch die Geschichte ist vertrackter. Und sie geht am Ende ganz anders aus, als Frau Richter behauptet. Zwar wirkte der Ölpreisschock als Signal – aber nicht auf die Verbraucher. Mangels Alternativen fuhren sie munter weiter auf deutschen Autobahnen – und in den Sommerferien mehr und mehr auch auf italienischen.

Technisch gesprochen heißt das: Dass es zu keiner Verhaltensänderung kam, liegt daran, dass die Preiserhöhungen die Sprit-Nachfrage kaum verminderten. Nicht etwa die Nachfrager, sondern die Anbieter – sprich die cleveren Ingenieure bei BMW, Daimler oder General Motors – nahmen den dramatischen Preisanstieg als Signal. Sie bauten fortan viel energieeffizientere Kraftfahrzeuge.

Im Jahr 1975 kam man in den USA mit einer Gallone Benzin (das sind 4,55 Liter) gut 20 Kilometer weit. Im Jahr 1980 schaffte die gleiche Tankfüllung 32 Kilometer. Heute komme ich mit meinem zehn Jahre alten Diesel mit einer Tankfüllung von Frankfurt nach Ferrara in Italien.

Es ist paradox: Weil die Automobilindustrie in Reaktion auf den Ölpreisschock immer energieeffizientere Fahrzeuge herzustellen wusste, konnten die Autofahrer sich immer größere Karossen (genannt SUV) leisten, ohne an der Tankstelle tiefer in die Tasche greifen zu müssen. So gesehen hatten die autofreien Sonntage den gegenteiligen Effekt: Statt auf den Verbrauch zu achten, gingen die Autofahrer in die Vollen. Die Ökonomen nennen das „rebound effect“.

Systemwechsel zu teuer

Wer es genauer wissen will, dem empfehle ich die Lektüre eines Aufsatzes des amerikanischen Wirtschaftshistorikers Daron Acemoglu mit dem Titel: „Transition to Clean Technology“, 2016 im „Journal of Political Economy“ veröffentlicht. Acemoglu fragt, warum der Ölpreisschock nicht damals schon zu verstärkter Forschung in Richtung einer grünen Transformation geführt habe, die technologisch durchaus möglich gewesen wäre. Seine Antwort heißt „Pfadabhängigkeit“.

Der Pfad seit den Herren Ford, Daimler oder Bosch im späten 19. Jahrhundert wird durch den Verbrenner markiert. Lassen sich Verbrenner energieeffizienter konstruieren und solche Erfindungen in große Stückzahlen übersetzen, ist das allemal kostengünstiger als der Systemwechsel in die regenerative Welt.

Daraus folgt: Die verhaltensändernde Wirkung symbolischer Aktionen ist nicht vorhersehbar und deshalb auch nicht im politischen Lehrerinnenzimmer planbar. Die Pfadabhängigkeit einer Industrie wirkt in eine der Klimawende gegenläufige Richtung – nur zu verständlich, solange E-Autos in puncto Preis, Ladeinfrastruktur und Ladedauer dem Verbrenner unterlegen sind. Kein Wunder, dass die E-Verkäufe inzwischen wieder zurückgehen.

Das muss nicht heißen, dass man den Klimawandel nicht effizient bekämpfen kann. Doch es gilt: Besser als Moral und Symbolhandlungen sind allemal die Preise. Die Transformation – der Wechsel vom fossilen zum regenerativen Pfad – wird dann gelingen, wenn man CO2-Steuer und Emissionshandel ihre Wirkung entfalten lässt und die Staaten sich zwingend in einem Klimaklub auf deren Einhaltung verpflichten.

In der Hoffnung, dass grüne Energie heute immer mehr verfügbar und immer mehr erschwinglich wird im Vergleich zu grauer Energie aus fossilen Brennstoffen, werden die Ingenieure sich dann auch etwas Neues einfallen lassen. Dazu braucht es weder Klima-Erzieherinnen noch gesperrte Autobahnen. Es geht darum, Gutes besser zu machen.