Vergewaltiger verurteilt, dessen ungeachtet nicht bestraft: Sein Talent zählt mehr denn ihr Trauma
Ein Student vergewaltigt eine Kommilitonin und bleibt straffrei – weil er „jung und begabt“ sei. Welche Botschaft sendet das an Täter und Opfer?
Demonstrierende in Löwen fordern das Ende von sexueller Gewalt. Auslöser für den Protest war das milde Urteil gegen einen Gynäkologie-Studenten, der eine Kommilitonin vergewaltigt hatte
Foto: Jill Delsaux/Belga/dpa/picture alliance
Ein Urteil, das fassungslos macht: Ein 24-jähriger Medizinstudent aus Löwen steht vor Gericht, weil er eine Kommilitonin vergewaltigt hat. Das Gericht erkennt die Tat an, spricht ihn schuldig – und setzt die Strafe aus. Warum? Weil der Vergewaltiger „jung und begabt“ sei, findet der Richter. Es sei Strafe genug, dass er seine Schuld vor Gericht gestanden hat und sich dieser bewusst sei. Das belgische Strafgesetz sieht für Vergewaltigungen normalerweise fünf bis zehn Jahre Gefängnis vor.
Wie soll man das verstehen? Dass Vergewaltigung keine „echte“ Straftat ist, die ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen muss? Dass man unter bestimmten Voraussetzungen – Talent, keine Vorstrafen, eine vielversprechende Zukunft – schon mal ein Auge zudrücken kann? Oder sogar sollte? Boys will be boys, der kulturelle Reflex, Männer von Verantwortung zu befreien, indem man ihre übergriffigen Verhaltensweisen naturalisiert, scheint damit bis ins Justizsystem vorgedrungen zu sein.
Das Gericht stellt fest: Die Vergewaltigung hat stattgefunden. Aber sie wird nicht im Strafregister des Mannes auftauchen. Während er sein Leben also im Grunde so fortsetzen kann wie bisher, wird seine Kommilitonin wohl ihr Leben lang mit dem Trauma kämpfen müssen, das er ihr zugefügt hat.
Ein Urteil wie dieses sendet ein fatales Signal: Ein Mann kann eine Frau vergewaltigen und kommt mit einem bloßen Klaps auf die Finger davon. Das ist keine Gerechtigkeit. Das ist ein Freibrief für Vergewaltiger. Wie viele Männer hören dieses Urteil und denken, dass sie im Zweifelsfall eine Frau vergewaltigen und straffrei davonkommen können? Wie viele Frauen hören dieses Urteil und stellen abermals fest: Ich kann mich nicht auf den Rechtsstaat verlassen?
Belgiens Löwen ist kein Einzelfall
Der Fall reiht sich ein in eine Serie ähnlich begründeter Urteile. Erst kürzlich wurde ein 28-jähriger Feuerwehrmann in München nach einer Vergewaltigung lediglich zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt, da ein höheres Urteil seine Entlassung als Beamten zur Folge gehabt hätte. Diese Konsequenz wollte die Richterin des Amtsgerichts München dem Mann nicht zumuten.
Das Urteil in Löwen ist die bizarre Zuspitzung eines Justizsystems, das ohnehin darin versagt, Opfer von sexualisierter Gewalt zu schützen. Die Statistiken zeigen: Nur ein Bruchteil von Tätern sexualisierter Gewalt wird überhaupt angezeigt. Von ihnen wird wiederum nur ein geringer Prozentsatz verurteilt. Aller politischen Bemühungen zum Trotz wird Gewalt gegen Frauen nach wie vor systematisch verharmlost. Nicht Opfer, sondern Täter werden geschützt.
Immerhin: Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt in Berufung zu gehen und die Universitätsklinik von Löwen, an der der 24-jährige Gynäkologie studiert, schließt diesen vorerst aus Unterricht und Vorlesungen aus, wie sie in einer schriftlichen Stellungnahme mitteilte. Anders als das Gericht priorisiert die Universität damit den Schutz von potenziellen Opfern über das Reinwaschen der weißen Weste eines als schuldig anerkannten Täters.