Verbrenner-Zwist zwischen Volkswagen: Steht ein Strategiewechsel vorher?

Die Zeichen stehen auf Sturm bei Europas größtem Autobauer Volkswagen. Es gibt einen für alle sichtbaren Streit, der seit Wochen tobt und nun zu eskalieren droht: der Konflikt zwischen Management und der Belegschaft um drastische Kostensenkungen und mögliche Fabrikschließungen. Das Unternehmen will Lohnsenkungen von zehn Prozent für die rund 130.000 deutschen VW-Mitarbeiter durchsetzen. Denn die Investitionen in neue Elektroautos verschlingen viele Milliarden, und die meisten Modelle verkaufen sich bisher schlecht. Womöglich drei der bislang zehn deutschen VW-Werke sollen nach den Plänen der Unternehmensführung geschlossen werden, warnte diese Woche der Betriebsrat. Das wäre in der Geschichte von Volkswagen beispiellos.

Aber während die Machtprobe zwischen Vorstand und Betriebsrat unübersehbar ist, gibt es auch Anzeichen für Risse innerhalb des Konzern-Managements. Es geht eben nicht nur um notwendige Kostensenkungen. Auch die strategische Ausrichtung des Konzerns in der Krise wackelt offenbar: Will VW nun doch wieder stärker auf Autos mit Verbrennungsmotor setzen? Und wenn ja, wie werden knappe Investitionsmittel zwischen Elektro- und Verbrennermodellen aufgeteilt? Was bedeutet das für die milliardenteure Entwicklung wichtiger neuer Fahrzeug-Plattformen, die in einigen Jahren kommen?

Dass es in der Führung des VW-Konzerns rumort, zeigt sich daran, dass Konzernchef Oliver Blume in einer der zentralen Zukunftsfragen sein Topmanagement nicht mehr geschlossen hinter sich hat. Sie lautet: Soll die Europäische Union angesichts der schwachen Verkaufszahlen von E-Autos wirklich am geplanten „Verbrennerverbot“ festhalten? Nach dem bisherigen Zeitplan sollen in den EU-Staaten von 2035 an keine Neuwagen mehr mit Benzin- oder Dieselmotor auf die Straßen kommen. Das ist allerdings in Industrie und Politik zunehmend umstritten.

Oliver Blume will am Verbrennerverbot festhalten

Die VW-Linie war bisher ziemlich klar: Kurs halten, lautet die Devise der Zentrale in Wolfsburg. Am Verbrenner-Aus in Europa Mitte der 30er Jahre soll nicht gerüttelt werden. VW benötige „verlässliche und verbindliche Vorgaben von der Politik“, sagte Konzernchef Blume im April im F.A.S.-Interview. „Wir haben umfangreich investiert und arbeiten darauf hin, dass in Europa ab 2035 Neufahrzeuge zu 100 Prozent elektrisch angetrieben sein werden.“ Im August warnte auch VW-Technikvorstand Thomas Schmall vor einem Abrücken vom Zeitplan für das Verbrenner-Aus. „Wir können nicht heute sagen, dass wir nach Norden wollen, und morgen heißt es, wir gehen nach Osten, und übermorgen soll es nach Süden gehen. Dann laufen wir nämlich im Kreis“, sagte Schmall der F.A.S.

Doch andere Topmanager im Konzern sehen das anders. „Das für 2035 geplante Verbrennerverbot muss fallen“, forderte Lutz Meschke, Finanzchef und stellvertretender Vorstandschef der VW-Sportwagenmarke Porsche vergangene Woche bei der Veröffentlichung der Quartalszahlen des börsennotierten Sportwagenbauers. Porsche meldete dabei stark rückläufige Verkaufszahlen seines Elektromodells Taycan.

Vor allem Autozulieferer gerieten durch das Festhalten am Verbrenner-Aus noch mehr in Bedrängnis, befürchtet Meschke. Konzernchef Blume dagegen argumentierte im Frühjahr genau entgegengesetzt: Zulieferbetriebe hätten sich im Vertrauen auf das Verbrenner-Aus 2035 inzwischen voll auf die Elektromobilität konzentriert, sagte er.

Die „persönliche Meinung“ von Lutz Meschke

In Wolfsburg war man diese Woche bemüht, den Dissens herunterzuspielen. Es handle sich dabei um die „persönliche Meinung“ Meschkes, hieß es. Blume habe seine Position nicht geändert: Ein Abrücken vom bisherigen Zeitplan für das Verbrenner-Aus in der EU würde die Autokäufer weiter verunsichern. Die Verkaufszahlen der Elektroautos würden dadurch womöglich noch mehr nach unten rutschen. Die Absatzprobleme sind nicht zuletzt für das VW-Werk im sächsischen Zwickau, das komplett auf die E-Auto-Produktion umgestellt wurde, schon heute ein großes Problem. Derzeit fertigen dort 9500 Mitarbeiter Modelle wie den VW ID.3 und das Schwestermodell Cupra Born.

Der Dissens zwischen VW-Chef Blume und dem Porsche-Vize Meschke ist auch deshalb heikel, weil Blume nicht nur Konzernchef ist, sondern in Personalunion auch Vorstandsvorsitzender der Sportwagentochter Porsche. Auch innerhalb des Porsche-Vorstands gibt es also zwei Meinungen zum Verbrenner-Aus.

Meschke wiederum ist zusätzlich Vorstandsmitglied der Holdinggesellschaft Porsche SE, in der die Beteiligungen der mächtigen VW-Eigentümerfamilien Porsche und Piëch verwaltet werden. In der Vergangenheit hat es immer wieder Spekulationen gegeben, Meschke wolle selbst Vorstandsvorsitzender des Sportwagenbauers werden. Die Doppelrolle von Blume als Chef von VW und Porsche zugleich wird wegen diverser Interessenkonflikte vor allem an der Börse kritisch gesehen.

Zu viele Autofabriken in Europa

Der Richtungsstreit im VW-Management zeigt, wie schwierig es in der Autoindustrie geworden ist, einen Weg in die Zukunft abzustecken. Die Kernmarke VW will bis 2026 Kosteneinsparungen von mehr als zehn Milliarden Euro erreichen. Das sei notwendig, um genug Geld für die teure Entwicklung von Elektroautos und Software zur Verfügung zu haben, stellte Finanzvorstand Arno Antlitz diese Woche klar. 1,3 Milliarden Euro Gewinn weist die Kernmarke VW für die ersten Monate 2024 aus. Aber im selben Zeitraum verschlangen die Investitionen der Marke 4,9 Milliarden Euro, rechnete Antlitz vor. Die Kosten der deutschen VW-Werke seien teilweise doppelt so hoch wie die von VW-Fabriken in Ost- und Südeuropa, heißt es in Wolfsburg. Zugleich sei bei höheren Löhnen die Arbeitsproduktivität in Deutschland niedriger.

Zugespitzt haben sich die Probleme von VW, aber auch der Branche insgesamt, weil gleich zwei harte Rückschläge zusammenkommen: Erstens erodiert das lange Zeit hochprofitable Chinageschäft rapide – und zweitens ist der europäische Automarkt deutlich geschrumpft, die Branche ächzt unter Überkapazitäten. Den daraus folgenden Preiswettbewerb hat VW unterschätzt.

Kommt der Gamechanger?

Zwischen 2019 und 2023 ist der jährliche Absatz von Neuwagen in Europa branchenweit um rund 3 Millionen Fahrzeuge zurückgegangen. Das entspricht grob gerechnet der Produktionskapazität von rund 15 Autofabriken. Entsprechend schlecht ausgelastet sind viele Standorte, was zu höheren Produktionskosten führt. Mit einer raschen Rückkehr zu den deutlich höheren Verkaufszahlen der Vergangenheit wird nicht gerechnet.

Nach Schätzung des Analysehauses Marklines lag etwa die Auslastung des Opel-Werks in Eisenach 2023 nur bei 28 Prozent und die der Ford-Fabrik in Köln bei 35 Prozent. Auch das riesige VW-Stammwerk in Wolfsburg war demnach zu weniger als 60 Prozent ausgelastet. Die Produktion von Verbrenner-Autos sei in Deutschland mittlerweile auf das Niveau von Mitte der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts zurückgefallen, bilanzierte das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft vergangenen Monat.

Der Bau von Elektroautos macht diese Rückgänge nicht wett. Vor allem erschwingliche Kleinwagen mit Elektroantrieb können in Deutschland kaum zu wettbewerbsfähigen Kosten hergestellt werden, glauben die Automanager. Die E-Version des Mini baut BMW in China und importiert sie nach Europa, dasselbe gilt für das Mercedes-Joint-Venture Smart.

Das Dilemma der Automanager

VW wiederum setzt zwar große Hoffnungen in den für 2026 angekündigten E-Kleinwagen ID.2, der rund 25.000 Euro kosten soll. Zum Gamechanger soll das Modell werden. Aber gebaut wird der ID.2 nicht in Wolfsburg, Emden oder Zwickau, sondern bei der Konzernschwester Seat in Spanien. Auch ein noch kleineres E-Modell für 20.000 Euro, das später folgen soll, will VW aus Kostengründen nicht in Deutschland montieren.

Und dann ist da noch der Megamarkt China, auf dem europäische Hersteller mittlerweile kaum noch eine Rolle spielen. „Es kommt kein Scheck mehr aus China“, stellte Blume lakonisch fest. Anders als in Europa verdrängen Elektro- und Hybridautos in China schnell die Verbrennermodelle. Selbst Newcomer wie der Handyhersteller Xiaomi, der erst seit wenigen Monaten Autos in Großserie baut, jagen deutschen Oberklassemarken Kunden ab. Technologisch seien die Chinesen den Europäern beim E-Auto in praktisch allen Bereichen eine Modellgeneration voraus, stellt der frühere EZB-Chef Mario Draghi in seinem umfangreichen Bericht für die EU-Kommission zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft fest.

Das ist das Dilemma hinter dem VW-Dissens um das Verbrenner-Aus: In Europa, wo die Kunden mit dem Umstieg auf den E-Antrieb zögern, werden Autos mit Benzin- und Dieselmotor unter der Haube wohl noch länger benötigt als angenommen. Und in China sterben sie womöglich schneller aus als befürchtet.