USA unter Trump: Wenn Meinung den Job kostet

Es begann mit einem Handyvideo aus einem Seminar zu Kinderliteratur und endete mit dem Rücktritt des Universitätspräsidenten. Wenige Wochen ist es her, dass Mark Welsh, Präsident der renommierten Texas A&M University, sein Amt niederlegte. Auslöser war ein Video, in dem eine Studentin ihre Dozentin zur Rede stellt, weil diese ein Buch mit einer nicht binären Figur behandelt. „Ich bin nicht sicher, ob es legal ist, was Sie da unterrichten. Unser Präsident hat gesagt, es gibt nur zwei Geschlechter“, sagt die Studentin in dem Clip.

Das Video verbreitete sich rasant im Netz, auch weil der Republikaner Brian Harrison aus dem texanischen Abgeordnetenhaus es teilte. Kurz darauf forderte Gouverneur Greg Abbott öffentlich Konsequenzen. Einen Tag später entband Welsh die Fachbereichsleitung und den Dekan von ihren Aufgaben, entließ die Professorin – die sich nun juristisch wehrt – und trat schließlich selbst zurück. Schon im Januar war er unter Druck geraten, nachdem die Hochschule eine Konferenz für schwarze Doktoranden veranstaltet hatte.

Sarah McLaughlin/FIRE

Fälle wie diese beschäftigen Sarah McLaughlin von der „Foundation for Individual Rights and Expression“ (FIRE), einer überparteilichen Organisation mit Sitz in Philadelphia. Seit mehr als 25 Jahren setzt sich FIRE für die Rede- und Meinungsfreiheit ein, unabhängig von der politischen Gesinnung der Betroffenen.

Die Organisation unterstützt zum Beispiel Dozenten, wenn diese aufgrund von Äußerungen, die eigentlich von der Rede- und Meinungsfreiheit geschützt sind, ihren Job verlieren. Sie bietet auch Studenten rechtliche Unterstützung an, wenn diese sich in ihrer Rede- und Meinungsfreiheit eingeschränkt sehen, und klärt an Hochschulen darüber auf, was durch den ersten Verfassungszusatz geschützt ist.

Politiker mischen sich verstärkt ein

„Es ist in den Vereinigten Staaten nichts Neues, dass es Onlinemobs gibt, die die Entlassung von Personen fordern – insbesondere von Lehrkräften und Hochschullehrern –, weil sie Ansichten äußern, die als anstößig, unpopulär oder kontrovers empfunden werden“, sagt McLaughlin. In den vergangenen Wochen habe es aber einen deutlichen Anstieg solcher Fälle gegeben. Auffällig sei, in welchem Ausmaß sich Abgeordnete einschalteten, um die Entlassung von Professoren oder den Ausschluss von Studenten zu fordern.

Insbesondere an den Universitäten gehe es nicht mehr nur um einen Streit über Meinungsfreiheit, „es geht längst um mehr.“ Oft werde Universitäten mit dem Entzug von Fördermitteln gedroht. Es sei auch bedenklich, wie gerade staatliche Universitäten in der Folge gegen Inhalte vorgingen, die eigentlich frei geäußert werden dürften.

Nach dem Rücktritt des Universitätspräsidenten erklärte der Abgeordnete Harrison – jener Politiker, der das Video und daneben noch weitere nach seiner Auffassung unerlaubte Materialien aus dem Kurs verbreitet hatte – in der „Washington Post“, er werde inzwischen mit Hinweisen auf ähnliche „Indoktrinationsversuche“ an texanischen Hochschulen regelrecht überschwemmt. „Das ist erst der Anfang.“ Er hoffe, jeder Universitätspräsident überlegt sich gut, wie weit er mit so etwas gehen wolle.

Meinungsfreiheit ist kein Parteiprojekt

Politischen Druck gab es in der Vergangenheit und gibt es auch aus dem linken Lager. Nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd im Jahr 2020 wurden Lehrer und Dozenten in mehreren Bundesstaaten wegen als unsensibel oder beleidigend empfundener rassistischer Äußerungen mit disziplinarischen Maßnahmen belegt oder entlassen. Im Bundesstaat Virginia wurde ein Lehrer entlassen, weil er sich weigerte, die Pronomen eines transsexuellen Schülers zu verwenden.

McLaughlin fürchtet, dass die Menschen den Glauben an die umfassende Kraft der freien Meinungsäußerung verlieren. „Ich denke, die eigentliche Gefahr besteht darin, dass unsere Rechte zunehmend als etwas wahrgenommen werden, das nur einer bestimmten politischen Partei zusteht – und nicht als etwas, das uns allen gemeinsam gehört“, sagt McLaughlin.

Dieses Verständnis, „dass Meinungsfreiheit ein gemeinsames Recht ist, das auch unsere Gegner genauso brauchen wie wir selbst“, gehe gerade verloren. „Immer mehr Menschen sehen darin einen politischen Sieg, wenn sie ihren Gegnern Rechte entziehen – anstatt zu erkennen, dass sie sich damit langfristig selbst schaden.“ Dabei sei es doch das Besondere an der Rede- und Meinungsfreiheit, „dass wir, wenn wir sie für andere verteidigen, sie zugleich auch für uns selbst verteidigen“.

Die USA verlieren ihre Vorbildfunktion

Seit 2022 ist FIRE auch außerhalb von Hochschulen aktiv: Aktuell verteidigt die Organisation etwa eine Meinungsforscherin, die von Donald Trump verklagt wird, weil sie für Iowa einen Sieg für Kamala Harris prognostiziert hatte. Zudem hat FIRE eine Klage gegen Außenminister Marco Rubio angestrengt: Es geht um den Aufenthalt von Menschen mit Studentenvisa oder Green Cards in den Vereinigten Staaten, die wegen unerwünschter Ansichten und Äußerungen des Landes verwiesen wurden oder es werden sollen.

„Die Meinungsfreiheit ist definitiv in Gefahr“, sagt McLaughlin. Dies sei besonders tragisch, weil die Vereinigten Staaten traditionell als Vorbild für den Schutz der Meinungsfreiheit und den Schutz von Regierungskritikern dienten. „Ich denke, wann immer jemand Macht erlangt oder übernimmt, sehen wir – unabhängig von Weltanschauung oder Parteizugehörigkeit –, dass es Versuchungen gibt, diese Macht zu nutzen, um Kritiker zum Schweigen zu bringen oder zu zensieren. Genau das geschieht gerade ohne jeden Zweifel unter der Trump-Regierung.“

Im Moment scheine es, als gebe es „jeden Tag – ja, fast jede Stunde“ – eine neue Drohung von Zensur seitens der Regierung: sei es gegenüber den Medien, gegenüber Universitäten oder gegenüber Late-Night-Comedians. „Ich denke, bemerkenswert ist hier vor allem, in welchem Ausmaß dies inzwischen nicht mehr nur eine Frage der Cancel Culture ist, sondern eine Frage direkter Regierungszensur. Ich glaube, dass hier eine Grenze überschritten wurde.“

Kontext und Nuancen sind verloren gegangen

Nach der Ermordung Charlie Kirks habe man beobachten können, wie „Menschen bis hin zum Präsidenten der Vereinigten Staaten diesen Moment nutzten, um nicht nur gezielt Menschen ins Visier zu nehmen, die Äußerungen über Kirk oder seinen Tod gemacht haben, die ihnen nicht gefallen, sondern um ganz allgemein politische Meinungen zu unterdrücken, die ihnen missfallen. Das ist besonders beunruhigend.“

Ein Beispiel dafür sei der Comedian Jimmy Kimmel: Anfangs habe sich Trump noch darüber beschwert, was Kimmel über Kirk sagte. Dann sei es ihm offenbar nur noch darum gegangen, was Kimmel über ihn selbst gesagt habe. „Das zeigt, wie sehr sich die Debatte von der ursprünglichen Empörung über Reaktionen auf Kirks Tod zu einem viel größeren Angriff auf Meinungsfreiheit entwickelt hat – hin zu einer breiteren Welle politisch motivierter Zensur in den Vereinigten Staaten insgesamt.“

Es sei auffällig gewesen, wie schnell in den Tagen nach dem Attentat auf Kirk „jeglicher Kontext und jede Nuance“ verloren gegangen seien. Ursprünglich habe es geheißen, man wolle gezielt gegen Menschen vorgehen, die den Mord an Kirk ausdrücklich gefeiert hätten. „Doch mittlerweile erleben wir eine viel umfassendere Welle von Entlassungen und Ausschlüssen – und zwar auch gegenüber denen, die keineswegs den Tod gefeiert, sondern lediglich kritische Stimmen zu Kirks Vermächtnis geäußert haben.“

Source: faz.net