USA 1975: In Washington beginnen sensationelle Anhörungen obig die Geheimdienste

Mit diesen Anhörungen geht es um nicht weniger als die Legalität oder eben Illegalität der Operationen von CIA, NSA und FBI. Was diese Dienste an Handlungen zu verantworten haben, ist Mitte der 1970er Jahre so gut wie unbekannt. Ein Ausschuss mit dem umständlichen Namen Select Committee to Study Governmental Operations with Respect to Intelligence Activities (Sonderkomitee zur Untersuchung von Regierungsoperationen bei Geheimdienstaktivitäten) soll das ändern. Bekannt wird das Gremium als „Church-Komitee“, benannt nach seinem Vorsitzenden, dem demokratischen Senator Frank Church. Am 27. Januar 1975 eröffnet er die erste Sitzung.

Der Senat hatte den Ausschuss ziemlich eindeutig mit 82 zu vier Stimmen bewilligt, er war ein „Kind der Zeit“. Der Vietnamkrieg und Richard Nixons Watergate-Skandal zu Beginn der 1970er Jahre hatten das Vertrauen in die Regierung erschüttert, die Bewegungen von Bürgerrechtlern in den 1960er Jahren einem kritischen Denken mehr Geltung verschafft. 1969 wurde außerdem das My Lai-Massaker bekannt, das US-Soldaten am 16. März 1968 an hunderten Südvietnamesen, vorzugsweise Frauen und Kindern, verübt hatten. 1971 veröffentlichten New York Times und Washington Post die geheimen Pentagon-Papiere über die wahre Geschichte der massiven US-Militärpräsenz in Indochina zwischen 1964 und 1973. Ebenfalls 1971 entwendete eine Aktionsgruppe namens Citizens‘ Commission to Investigate aus einem FBI-Büro in Media (Pennsylvania) kofferweise Dokumente, denen sich entnehmen ließ, wie linke Aktivisten und die Bürgerrechtsbewegung bespitzelt wurden.

1974 legten der frühere CIA-Mitarbeiter Victor Marchetti und John D. Marks, zuvor im Außenministerium tätig, das Buch The CIA and the Cult of Intelligence vor. Dieser „Kult“ – schrieben sie – gründe auf einer „geheimen Vereinigung der amerikanischen politischen Aristokratie“, um „mit verdeckten und gewöhnlich illegalen Mitteln“ der Außenpolitik zu dienen. 1975 publizierte der Ex-CIA-Beamte Phil Agee seine Erinnerungen Inside the Company: CIA Diary mit den Namen von Mitarbeitern und Agenten. Ein weiterer Anstoß, die Church-Kommission ins Leben zu rufen, war ein New York Times-Artikel des Publizisten Seymour Hersh kurz vor Weihnachten 1974 über eine „massive illegale Operation“ der CIA gegen die Antikriegsbewegung und andere Gruppen von Dissidenten. Der Dienst habe Akten von gut 10.000 US-Bürgern angelegt, schrieb Hersh. Dies sei geschehen, obwohl CIA und NSA doch nur für das Ausland zuständig seien.

Biowaffen-Aktivitäten der CIA

Besonders im Gedächtnis blieb eine Mordwaffe in den Händen von CIA-Direktor William Colby, um die es bei einer öffentlichen Sitzung der Kommission im September 1975 ging. Colby, der in einschlägigen Spielfilmen als unscheinbarer College-Professor hätte besetzt werden können, wurde zu biologischen Kampfstoffen und dem Töten mit Gift gehört. Die Herren im Ausschuss, darunter der spätere Vizepräsident Walter Mondale und die konservative Ikone Barry Goldwater, mussten erkennen, dass die CIA da einiges auf Lager hatte. Colby sprach von einem „potentiellen operationalen Bedarf“. Gift sei bei einem U-2 Flug verwendet worden, sagte er. Gemeint war der supergeheime Aufklärungsflug des CIA-Piloten Gary Powers quer über die UdSSR. Der junge Mann wurde am 1. Mai 1960 – unterwegs von Peschawar in Pakistan nach Bodo in Norwegen – in der Nähe von Swerdlowsk abgeschossen. Auf der Website die CIA wird beschrieben, dass Powers die ihm zum Suizid mitgegebene ausgehöhlte Silbermünze mit Gift nicht genutzt habe. Im Fallschirm über der Sowjetunion hängend, habe er die Münze weggeworfen.

Bei der Anhörung fragte Ausschussberater Curtis Smothers nach: Ob es beim Gift nur um ein Mittel zum Suizid gegangen sei. William Colby machte reinen Tisch. „Es war auch aus offensiven Gründen da.“ Dann erkundigte sich der Ausschussvorsitzende Church: „Haben Sie eines der Geräte dabei, mit dem die CIA Gift benutzen konnte, um Menschen zu töten?“ Colby hatte. Die Senatoren begutachteten das revolvergroße Instrument mit Zielfernrohr. „Im Griff ist eine Batterie, und es schießt einen kleinen Pfeil mit einer Reichweite von 100 Metern ab“, erläuterte Colby. Dies passiere beinahe geräuschlos, ein speziell entwickelter Pfeil könne möglicherweise das Opfer treffen, ohne dass dieses etwas merke. Senator Church fragte nach: „Als Mordinstrument ist das so wirksam, wie es sein kann – oder nicht?“ Woraufhin Colby entgegnete: „Es ist eine Waffe, eine sehr ernstzunehmende Waffe.“

Die Hearings machten die intensiven Biowaffen-Aktivitäten der CIA bekannt, die durch Zusammenarbeit mit dem B-Waffenlabor der US-Armee in Fort Detrick, eine Autostunde von Washington, ermöglicht wurden. Der Geheimdienst hatte Erreger, u.a. von Tuberkulose, Anthrax und Pocken, aufbewahrt. Auch das wurde offenbar. Über den Einsatz der Mittel war indes nichts bekannt. Die New York Times zitierte Quellen, wonach der Ausschuss von zwei Fällen erfahren habe, bei denen „Gifte vorbereitet wurden im Zusammenhang mit geplanten Morden“ an Patrice Lumumba, 1960 erster Ministerpräsident eines unabhängigen Kongo, und an Fidel Castro in Havanna.

Im November 1975 veröffentlichte die Kommission trotz der Einwände des republikanischen Präsidenten Gerald Ford, dem das alles zu weit ging, einen umfangreichen Report mit dem Titel Mutmaßliche Mordverschwörungen gegen ausländische Führer. Es ging nicht nur um Lumumba und Castro, auch um Rafael Trujillo in der Dominikanischen Republik, Ngo Dinh Diem in Südvietnam und General René Schneider in Chile.

Totale Tyrannei durch Geheimdienste möglich

Der Abschlussbericht des Komitees am 29. April 1976 war 2.702 Seiten lang und mit der Schlussfolgerung versehen, dass „geheimdienstliche Aktivitäten die verfassungsmäßigen Rechte von Bürgern untergraben haben“. Das FBI habe mit dem COINTELPRO-Projekt Spitzel „gegen „Subversive“ infiltriert. Mehr Aufsehen erregte das MKULTRA-Programm der CIA, das dazu geführt hatte, arglosen Testpersonen LSD und andere bewusstseinsverändernde Drogen zu verabreichen. Eine „Project SHAMROCK“ genannte Überwachungsagenda der NSA und ihrer Vorgängerbehörde sei wohl das größte derartige Programm der Regierung gewesen, hieß es. Es habe US-Bürger betroffen und sei viel umfassender gewesen als das CIA-Programm zum Öffnen von Briefen. Von August 1945 bis ins Jahr 1975 hinein, so der Senatsausschuss, habe die NSA Millionen internationale Telegramme „ausgewertet“. Die Kommunikationsfirmen Western Union, RCA und ITT halfen dabei. Mit dem „Project MINARET“ habe man von 1967 bis 1973 zudem abgehört.

Wer heute mehr über die Zielpersonen wissen will, erfährt das über die von der NSA selbst zusammengestellte und über das National Security Archive freigegebene Dokumentation American Cryptology during the Cold War. Sie gibt Auskunft über die von der NSA Überwachten, unter denen auch Frank Church war. Und doch konnte 1975 ein liberaler Demokrat wie der Senator aus Idaho damit beauftragt werden, eine solche Kommission zu leiten. Derzeit wäre das undenkbar. In Idaho bekam Donald Trump bei der Wahl am 5. November 67 Prozent der Stimmen.

Was der Ausschuss konkret bewirkt hat, blieb überschaubar. Präsident Ford unterzeichnete am 18. Februar 1976 die Executive Order 11905. Sie schreibt vor: Kein Angestellter der US-Regierung darf an politischem Mord mitwirken. Der Senat richtete einen permanenten Geheimdienstausschuss ein, um ein Auge zu haben auf die Dienste. Weitere Untersuchungen folgten. Church warnte in einem Fernsehinterview 1975, sollte die US-Regierung jemals eine Tyrannei werden, könnten die technologischen Kapazitäten der Geheimdienste die totale Tyrannei ermöglichen. Und es gebe „keinen Weg, um diese zu bekämpfen“. Die Technologie sei so mächtig, die Regierung wisse darüber Bescheid. Die Dienste selbst haben die Anhörungen gut überstanden. Ford hat Colby 1976 durch den späteren Präsidenten George H.W. Bush an der CIA-Spitze ersetzt. Colby war zu gesprächig gewesen, vertrat er doch die Ansicht, die Behörde könne nur mit mehr Offenheit gerettet werden. In einem Interview mit CBS 1978 zeigte sich Colby zufrieden. „Wir haben die wichtigen Geheimnisse bewahrt.“

Die NSA sollte erst viele Jahre später durch Edward Snowdens Enthüllungen wieder in Erklärungsnot geraten. Augenblicklich befindet sich das FBI in der bizarren Lage, von einem republikanischen Präsidenten angefeindet zu werden.