US-Wahlen: Ist Kamala Harris außenpolitisch eine Alternative zu Donald Trump?
Als sich auf dem Konvent in Chicago der Nebel der Phrasen kurz lichtete, erklärte Kamala Harris, sie garantiere, dass die USA weiter die „stärksten und tödlichsten Streitkräfte“ hätten. Sie werde so die „globale Führung stärken“. Was damit versprochen ist, davon haben sich Völker im Nahen Osten, in Südostasien oder Afghanistan einen Eindruck verschaffen können. Sie wurden zum Ziel dieser „stärksten und tödlichsten Streitkräfte“ – eingesetzt im Namen einer Nation, die sich für so einzigartig hält, dass sie Anspruch auf einen privilegierten Status im internationalen Beziehungsgefüge oder eben „globale Führung“ erhebt. Harris steht damit den US-Präsidenten vergangener Jahrzehnte in nichts nach, auch nicht Donald Trump und seiner „America-First“-Obsession. Dies gilt ebenso für den Israel-Palästina-Konflikt. Harris sagte in Chicago, die US-Regierung arbeite daran, den Gaza-Krieg zu beenden.
Nur geschieht das eben erst, nachdem diese Regierung, der sie angehört, dem Sterben von über 40.000 Palästinensern zehn Monate lang zugesehen und dies durch den Beistand für Israel, Waffenhilfe wie regionale Militärpräsenz, entscheidend ermöglicht hat. Fragt sich, wie Harris unter diesen Umständen das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung verwirklichen will, das sie ausdrücklich gutheißt. Die Formel ist zur Floskel verkommen wie das Zwei-Staaten-Muster zum fiktiven Konstrukt, deren westliche Befürworter es tunlichst vermeiden, auf völkerrechtliche Instrumente zurückzugreifen, um ihm Geltung zu verschaffen.
Ist Harris dennoch eine Alternative zu Trump? Der hatte als US-Präsident Ende 2017 verfügt, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, was bis zum Mai 2018 auch geschah. Ein eindrucksvolles Bekenntnis gegen das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Nachfolger Joe Biden hat diesen Ortswechsel so wenig zurückgenommen wie das von Harris zu erwarten wäre, sollte sie am 5. November gewinnen.
Donald Trump machte Realpolitik
Der verbindliche Nahost-Kanon von Demokraten und Republikanern besteht in unbedingter Parteilichkeit für Israel. Trump hielt sich strikt daran, brach aber – und nannte das „Realpolitik“ – mit einer deklarativen Semantik der Täuschung. Indem er Jerusalem in Gänze Israel zuerkannte, entzog er es den Palästinensern, die einen Teil der Stadt (Ostjerusalem) für ihren Staat reklamieren. Die Botschaft: Wenn wir über einen palästinensischen Staat reden, so tun wir doch einiges, dass es nicht dazu kommt.
Im Übrigen ist Trumps „realistische Doktrin“ zu Unrecht und zu schnell in Vergessenheit geraten. Vor allem verdient sie es, mit den heutigen Weltzuständen abgeglichen zu werden. Auf der UN-Generalversammlung im September 2018 beschrieb Trump seinen Ansatz wie folgt: „Unter der US-Politik eines Realismus mit Prinzipien ist zu verstehen, dass wir uns nicht von alten Dogmen, diskreditierten Ideologien und sogenannten Experten, die über die Jahre immer falsch lagen, in Geiselhaft nehmen lassen.“
Demgemäß hielt er es als Präsident für angebracht, mit Staaten Einzelbeziehungen zu unterhalten oder mit ihnen als Einzelfall umzugehen, ohne sich allzu sehr von Lagerdenken oder Bündnisloyalität leiten zu lassen. Er praktizierte das bei seiner Nordkorea-Diplomatie, die zwischen 2018 und 2019 zu drei Begegnungen mit Präsident Kim Jong-un führte und immerhin bewirkte, dass die sterblichen Überreste von im Koreakrieg (1950-1953) gefallenen US-Soldaten zurückgeführt wurden sowie vorübergehend Manöver in Südkorea unterblieben. Freilich gelang kein Durchbruch des Kalibers, Sicherheitsgarantien der USA für Pjöngjang gegen den Verzicht auf dessen Atomprogramm.
Ohne auf die Interessen von Verbündeten Rücksicht zu nehmen, kündigte Trump im Mai 2018 den Atomvertrag mit Teheran in einer absolut unilateralen, allein auf den „Einzelfall“ Iran bedachten Aktion. Diese Außenpolitik war insofern neu und unkonventionell, als sie mit ihrem Hang zum Primat der nur an US-Bedürfnissen gemessenen „Einzelbeziehungen“ der Tatsache Rechnung trug, dass eine multipolare Welt noch viel zu anarchistisch ausfällt, um sich als globale Ordnung mit der gewohnten Berechenbarkeit zu etablieren.
Daran hat sich 2024 nicht das Geringste geändert – im Gegenteil. Auch Harris wird darauf eine Antwort geben müssen, die mehr ist als transatlantische Konvergenz.