US-Wahl 2024: Das sind die Amerikaner, die Trump wählen
Parteipolitische Bindungen sind in Amerika in Teilen immer noch bestimmt von soziokulturellen Milieus. Politische Grundüberzeugungen prägen das Wahlverhalten – unabhängig vom Kandidaten. Donald Trump wird daher auch von Leuten gewählt, die sich an ihm stoßen. Dem Republikaner, der über eine heterogene Wählerschaft verfügt, ist es zusätzlich gelungen, neue Wählergruppen anzuziehen und seine Partei in eine Sekte zu verwandeln, die den Personenkult zelebriert. Eine anekdotische Typologie der Prototypen des Trumpismus.
Der Konservative
D. lebt in Bethesda, einem wohlhabenden Vorort Washingtons. Er ist erfolgreicher Unternehmensberater, seine Frau auch. Beide haben ein sehr großes Haus mit riesigem Garten. In der Einfahrt stehen zwei schwere SUVs. Die beiden Kinder haben eine katholische Privatschule besucht. Amerikanisches (Groß-)Bürgertum. Die Tochter spielt in der Fußballmannschaft. Der Sohn Tennis. Fragt man D. nach einem Match der Kinder, warum er 2016 und 2020 für Donald Trump stimmte, guckt er verwundert und sagt: „Weil ich konservativ bin.“
Er ahnt die Entgegnung: Aber Trump sei doch gar nicht konservativ und stehe auch nicht für bürgerliche Werte. „Seine Politik ist es aber“, kontert er. Er habe immer die Republikaner gewählt. So sei er erzogen worden. Für ihn klingt die Frage nach Trump so, als würde man einen Katholiken, der ein Problem mit dem Papst hat, fragen, warum er nicht in die evangelische Kirche gehe. Es ist undenkbar, die anderen zu wählen, nur weil man den gegenwärtigen Frontmann der Partei nicht mag oder etwas unappetitlich findet. Die anderen stehen aus seiner Sicht nicht nur für staatliche Regulierung, die er Gängelung nennt, sondern auch für hohe Steuern und für Abtreibung. Zudem seien sie gegen Waffen. Absolute No-Gos für ihn. Die Partei ist sein Stamm. Dem gehört er nun einmal an.
Das gilt freilich nicht für alle Konservativen. Es gibt auch den fiskalkonservativen Country-Club-Republikaner, der sich aus Sorge um die Demokratie tatsächlich dazu überwindet, die Demokraten zu wählen, solange Trump seine Partei führt. Und es gibt den früheren Neokonservativen, der vorübergehend Unterschlupf bei den Linksliberalen sucht. Er ist der typische „Never-Trumper“. D. allerdings beharrt darauf, ein Konservativer müsse die Republikaner wählen. Beweglich ist er trotzdem: Einst war er für Freihandel, Globalisierung und ein starkes außenpolitisches Engagement Amerikas in der Welt. „Alles zu seiner Zeit“, kommentiert er seinen Sinneswandel.
Der MAGA-Republikaner
W. und ihr Mann sind davon überzeugt, dass Trump die letzte Wahl gestohlen wurde. Eigentlich wäre er gerade Präsident der Vereinigten Staaten. Das Ehepaar aus dem Bundesstaat New York trägt seine Loyalität mit dem Republikaner stolz zur Schau, mit Stickern auf dem Auto und einer Fahne im Vorgarten ihres einfachen Hauses. Lange haben sie sich vergessen und abgehängt gefühlt in ihrer Ecke des Bundesstaates, der nur den Namen mit dem glitzernden New York gemein hat. Dann kam Trump und kämpfte wieder für Leute wie sie, sprach „Klartext“, versprach die Rückkehr zum „wahren Amerika“, das die Eliten in der Hauptstadt schon gar nicht mehr kennten.
„America first“ ist für W. nicht nur ein Slogan, sondern eine Lebenseinstellung. Sie hat im Leben viele Jobs gemacht, aber nie sonderlich viel Geld verdient. Sie erinnert sich an die Zeiten, als Fabriken schlossen und Arbeitsplätze ins Ausland abwanderten. Das könne nur Trump rückgängig machen, sagt W. Er ist in ihren Augen der Heilsbringer, die „Make America Great Again“-Bewegung hat ihrem Leben neue Bedeutung verliehen.
Endlich hat sich eine Gemeinschaft gegen die Reichen in den Städten gefunden, die korrupten Eliten, die sich für etwas Besseres halten und ihnen auch noch das letzte Geld aus der Tasche ziehen wollen. In diesem Milieu gleicht die Partei am ehesten einer Sekte. Dass Trump wohlhabend in New York City aufgewachsen und selbsterklärter Milliardär ist, stört W. nicht. Er sei kein Politiker, sondern ein Kämpfer, sagen sie in der MAGA-Bewegung. Nur Trump könne das Land aus den Fängen der woken, liberalen Globalisten zurückholen.
Die Abtreibungsgegnerin
Dass S. Trump wählt, ist für sie keine politische, sondern eine moralische Entscheidung. Ihre Tochter wurde damals für nicht lebensfähig erklärt, S. sollte über eine Abtreibung nachdenken. Doch das kam für die strenggläubige Frau nicht infrage, und jetzt kämpft sie gemeinsam mit ihrer gesund auf die Welt gekommenen Tochter gegen Schwangerschaftsabbrüche.
In der Nähe von Atlanta in Georgia stehen sie regelmäßig vor Abtreibungskliniken und versuchen, die Frauen zu bekehren. Nicht mit Geschrei, sondern mit Hilfsangeboten. Jedes Leben sei lebenswert, sagen die beiden – in jedem Fall, auch bei Schwangerschaften nach Inzest und Vergewaltigungen. Das Kind könne nichts für einen „schweren Start“, sagt S.
Als der Oberste Gerichtshof in Washington das grundsätzliche Recht auf Abtreibungen im Frühjahr 2022 zurücknahm, weinte S. vor Freude. Das war Donald Trumps Verdienst. Er machte die konservative Richtermehrheit mit seinen Ernennungen möglich und äußert bis heute seinen Stolz darauf. S. würde ihm allein wegen dieses Themas jedes Mal wieder ihre Stimme geben, auch wenn sie nicht alle seiner Äußerungen und Umgangsformen gutheißt. Eine Mehrheit der Amerikaner ist laut Umfragen grundsätzlich für einen Zugang zu Abtreibungen. Gerade deswegen wähnte sich S. nach der Supreme-Court-Entscheidung noch lange nicht in Sicherheit. Jetzt müsse man erst recht „für Frauen und Familien“ kämpfen. In ihren Augen ist Trump dafür der Richtige.
Der Anti-Establishment-Wähler
C. war früher ein Hippie. Im Grunde sei er immer noch einer, sagt er. Er kommt aus einem kleinen Ort in Pennsylvania. Als Trump kürzlich in Butler auftrat, dort, wo im Sommer auf ihn geschossen worden war, ging auch C. zu der Kundgebung. Er trägt ein Batik-T-Shirt und den langen Bart der Grunge-Szene. Zwanzig Jahre habe er in Seattle an der Westküste gelebt, der Musik wegen. Dort arbeitete er in einem Plattenladen. Und ging fast jedes Wochenende auf Konzerte. Drogen aller Art hat er ausprobiert. Das war sein Leben. Ein bisschen war er Aussteiger.
Wenn er gewählt hat, dann die Demokraten. Aber die seien heute Establishment, sagt er, und sie hätten ihre liberalen Werte verraten. Heute wollten sie die Meinungsfreiheit einschränken. Staatliche Bevormundung nennt er das. Das gehe gar nicht. Er sei nicht nur nach Butler gekommen, um Trump zu sehen, sondern auch wegen Elon Musk. Er ist sein Held. Er verteidige die Meinungsfreiheit. Die Plattform X sei das einzig wahrhaft freie soziale Medium.
Heute arbeitet C. als Verkäufer in einem Cannabis-Vertrieb. Trump wähle er schon seit 2016. Einfach weil er gegen das Establishment sei und die Verlogenheit der klassischen Parteien offengelegt habe. Wahrscheinlich, sagt er, habe es einen wie Trump gebraucht, um die alte Elite erfolgreich zu bekämpfen. Es gibt viele wie C. in der Trump-Bewegung. Dass er sich zu Evangelikalen und Rechts-außen-Leuten gesellt, stört ihn nicht weiter. Die „Easy Riders“ von einst, die auf der Suche nach Freiheit mit ihren Harley-Davidsons durch das Land cruisten, waren früher links. Sie wollten, dass der Staat sie in Ruhe lässt. Heute sind viele von ihnen Trumpisten.
Der Pro-Business-Wähler
R. ist nicht eine spezifische Person, sondern repräsentiert den Prototyp eines amerikanischen mittelständischen Unternehmers. Jemand, der es zu Wohlstand gebracht hat und der ein großes Haus, einen großen Garten und ein großes Auto hat. R. führt seinen Erfolg auf harte Arbeit und den Unternehmergeist zurück, der ihn Risiken eingehen ließ. Was er geschaffen hat, ist für ihn der wahr gewordene „American Dream“. Der Unternehmer unterstützt Trump, weil der im Gegensatz zu den weltfernen Politikern in Washington das Geschäft versteht.
Keine überbordende Bürokratie, nicht zu viele Regulierungen, Steuersenkungen und zuallererst an das eigene Land denken. Das ist R. wichtig. Soziale Fragen sind zweitrangig, und mit den Migranten, findet er, hat Trump auch recht, denn R. hat im Leben auch nichts geschenkt bekommen. Die Kontroversen um Trumps Charakter interessieren den Unternehmer nicht. Er will schließlich keinen Moralapostel, sondern jemanden, der das Land voranbringt.
Unter den Demokraten befürchtet er höhere Steuern und mehr Regulierungen, die seinem Geschäft schaden. Trump dagegen hat die gleichen Prioritäten wie R.: Wirtschaftswachstum, Freiheit für Unternehmer und einen Staat, der sich zurückhält. R. ist damit in bester Gesellschaft mit den Millionären und Milliardären in Silicon Valley. Einige hatten sich dort nach dem Sturm auf das Kapitol 2021 von Trump distanziert, doch das hielt nicht lange. Vielen geht der wirtschaftliche Opportunismus am Ende vor den sozialen Überzeugungen. Deswegen hat sich eine Gruppe von Hightech-Milliardären in diesem Wahljahr zusammengeschlossen, um Trump mit ihrem Geld wieder ins Weiße Haus zu verhelfen. Das kann R. nur gut finden.
Source: faz.net