US-Sicherheitsstrategie: Europa und North Atlantic Treaty Organization stillstehen plötzlich vor einem Regime Change

Acht Jahrzehnte der transatlantischen Beziehungen, auf denen eine Weltordnung gründete, wandern ins Museum. Für die Ukraine-Frage bleibt das nicht ohne Konsequenzen. Sind Deutschland, Frankreich und Großbritannien darauf vorbereitet?


Die USA unter Donald Trump werden auf Partner in Europa nicht verzichten, aber die EU ausklammern

Foto: Martin Bertrand/Hans Lucas/picture alliance


Europa, besonders das der Pro-Ukraine-Front, muss eine Erfahrung machen, die es sich gewiss gern erspart hätte. Es ist durch die neue Nationale Sicherheitsdoktrin der USA (NSS 2025) einem „Regime Change“ ausgesetzt. Was sonst von Berlin, Paris oder London aus gern anderen Staaten und Gesellschaften nahegelegt oder zugemutet wird – der Türkei, Venezuela, Serbien, Georgien, Kuba, Nicaragua, letztlich auch Russland und China – bekommt man am eigenen Leibe zu spüren.

Die USA erteilen zwar der NATO keine generelle Absage, aber wollen eine andere. Sie kündigen ein transatlantisches Verhältnis auf, das für die europäischen Partner Gewissheiten zu zementieren schien, sodass sich dank dieses Fundaments Staaten und Systeme unerschütterlich wähnten. Nun aber soll entfallen, worauf man sich bisher berief, um Politik zu machen und Macht zu haben, ein selbstgewisses Verhalten an den Tag zu legen und andere zu bevormunden.

Europa wirkt gerade ziemlich überfahren, wenn nicht überwältigt. Es muss sich anpassen und braucht eine situationsgerechte Agenda. Fallen die USA als Schutzmacht, Vormund und Verbündeter aus, könnten auch die daraus resultierenden Verhältnisse zum Ausfall werden. In der Außen- und Sicherheitspolitik steht Europa ganz klar vor einem „Regime Change“. Bisherige Koordinaten seiner Existenz und Identität entfallen. Wie so vieles waren sie nicht für die Ewigkeit bestimmt.

Europa wirkt gerade ziemlich überfahren, wenn nicht überwältigt

Um das an einem Beispiel zu veranschaulichen: Alles, was momentan im Namen der NATO und EU an Hochrüstung und innergesellschaftlicher Mobilmachung (siehe Wehrpflicht) betrieben wird, um kriegstüchtig zu sein, geht von der Mutmaßung aus, dass Europa durch Russland massiv bedroht sei. Es wird die Überzeugung vom unvermeidlichen Krieg bemüht. Schon der zurückliegende Sommer sollte der letzte im Frieden sein.

Die Nationale Sicherheitsdoktrin der USA verweigert sich diesem Alarmismus. Sie definiert die Macht im Osten weder als Gefahr noch Bedrohung, sondern sieht Frieden und Stabilität eher dadurch infrage gestellt, dass europäische Staaten nicht davon lassen können, dies zu behaupten und sich auf eine anti-russische Agenda zu versteifen, die so stur wie alternativlos verfolgt wird.

Eben deshalb solle der Krieg in der Ukraine, so die Regierung Trump, möglichst schnell beendet werden, um ihm die verhängnisvolle Eskalationsdynamik zu nehmen. Zugleich soll es ein Ende damit haben, dass es beim Nordatlantikpakt auch künftig um eine sich erweiternde Allianz geht. Im Klartext heißt das, die seit 1990/91 verfolgte Programmatik, mit der NATO-Ostausdehnung für Kräfte-und Machtverhältnisse zuungunsten Russlands zu sorgen, hat sich für die derzeitige US-Regierung erledigt.

Votieren die Amerikaner gegen eine Aufnahme der Ukraine in die westliche Allianz, müssen die anderen NATO-Mitglieder gar nicht erst abstimmen, selbst wenn sie es wie Deutschland oder Großbritannien gern täten.

Die EU muss mehr denn je auf innere Erosion gefasst sein

Die transatlantischen Beziehungen (also vor allem das Verhältnis zwischen Europa und den USA) haben in den letzten 80 Jahren eine ganze Weltordnung geprägt. Jetzt stehen sie vor einer sicher äußerst lehrreichen musealen Aufbereitung. Die USA unter Donald Trump werden auf Partner in Europa nicht verzichten, aber die EU ausklammern. Sie wird mit einer ziemlich harschen Kampfansage bedacht und muss auf mehr innere Erosion gefasst sein.

Europäische Politiker, die sich für führungsberufen halten, wie der deutsche Kanzler Friedrich Merz oder der französische Präsident Emmanuel Macron, sollten schnell signalisieren, dass sie verstanden haben, was ansteht. Bevor es andere tun, die auf der Schwelle zur Regierungsverantwortung stehen oder sie wie in Ungarn, der Slowakei, Tschechien oder auch Italien bereits haben.

Die NSS 2025 der USA enthält die Botschaft an die „Europäer“, den Modus hinhaltender Destruktivität in der Ukraine-Frage aufzugeben und die Führung in Kiew zu bewegen, Trumps Friedensagenda anzunehmen. Dass Präsident Wolodymyr Selenskyj nun plötzlich Wahlen in Aussicht stellt und damit seinen politischen Abgang vorbereitet, deutet auf Bewegung. Dass es Neuwahlen in der Ukraine geben müsse, war ursprünglich als Punkt 25 im 28-Punkte-Tableau des US-Präsidenten zu finden.