US-Republikaner nachher dem Attentat hinauf Trump: Siegessicher wie tief nicht mehr

Ein großes weißes Pflaster am rechten Ohr erinnert alle und zu jeder Zeit an die Schüsse nur 48 Stunden zuvor: Der Nominierungsparteitag der Republikaner in Milwaukee (Wisconsin) huldigt dem großen Donald Trump, dem Überlebenden eines Mordanschlags. Vermeintliche Siegesgewissheit gehört zur Show-Veranstaltung. Doch das trumpistische Amerika fühlt sich offenbar siegessicher wie schon lange nicht mehr, vielleicht sogar noch nie. Die Wandlung der Republikanischen Partei zur Trumpistischen Partei ist vollbracht. Vizepräsident wird J.D. Vance (39), Senator aus Ohio, mit rechtspopulistischem Einschlag, telegen, bei den Senatswahlen 2022 mit Millionen Dollars von Techmilliardär Peter Thiel ausgestattet und Verfechter der Idee von den gestohlenen Wahlen. Trump hat Vance 2022 unterstützt, man kann das heute noch im Internet abrufen: „J.D. kriecht mir in den Arsch, weil er meine Zustimmung will.“

Bei Joe Bidens Demokraten wackelt das Gerüst. Die Demokratische Partei hätte „jetzt vermutlich keinen Weg mehr, Trump zu stoppen“, kommentierte das konservative Magazin The American Spectator. Trumps Wahlkampagne verkündet online: „Habt keine Angst, Amerika. Ich werde euch immer lieben für eure Unterstützung. Einigkeit. Frieden. Make America Great Again“.

Der gescheiterte Attentatsversuch wird so oder so gravierende Konsequenzen für die Präsidentschaftswahl im November haben. Ein Zuschauer bei der Wahlveranstaltung in Pennsylvania ist tot. Das FBI sucht nach einem Motiv. War das Klima schon vorher aufgeheizt mit Reden von einem drohenden Bürgerkrieg, Diktatur, staatlicher Willkür und mehr – dann ist es das jetzt erst recht. Überragendes Thema der Demokraten war beim Wahlkampf, dass Trump wegen seiner Hetze, seinen Aufrufen zur Gewalt und seiner offensiven Missachtung von Recht und Gesetz ein gefährlicher Kandidat sei, eine Bedrohung der Demokratie.

Trump ist jetzt Opfer, Märtyrer, Held, Kämpfer

Und jetzt ist Trump selbst Opfer. Jetzt ist er selbst Märtyrer, Held und Kämpfer für das Amerika, das er wieder groß machen will. In den Augen seiner Leute ist Trump ein starker Mann, im Gegensatz eben zu Joe Biden. Der amtierende Präsident spricht sich vom Teleprompter ablesend aus für „ein Amerika nicht des Extremismus und der Wut, sondern des Anstands“. Im Gegenzug erheben die Republikaner schwere Vorwürfe. Trump als „Hitler“ zu beschimpfen und als eine Bedrohung der Demokratie, könne tödliche Konsequenzen haben, hieß es bei Fox News.

Trump erklärt nach dem Anschlag, er wolle die Amerikaner „zusammenbringen“. Namhafte Republikaner machen zugleich mit Online-Postings entgegengesetzt Stimmung. Biden habe Befehl gegeben zum Anschlag, schreibt ein republikanischer Abgeordneter aus Georgia. Senator J.D. Vance vermeldet, die Rhetorik der Biden-Kampagne habe direkt zum Mordanschlag geführt. „Die Medien“, nach Ansicht vieler Trump-Getreuen mitschuld am versuchten Attentat, weisen das als Unfug zurück. Das macht keinen großen Unterschied, denn die Zielgruppe der Beschuldigung steht links und will bestätigt werden.

Nur Millimeter standen beim Mordanschlag zwischen Leben und Tod. In den Tagen nach dem Anschlag waren in Kirchen viele Stimmen zu hören, Gott habe seine schützende Hand über Trump gehalten. Der Ex-Präsident sagte laut der Zeitung New York Post, er lebe noch, weil er Glück gehabt habe – oder durch Gottes Hilfe. Und weil er im richtigen Moment seinen Kopf gedreht habe, um auf eine Schautafel mit Zahlen zu „illegal immigrants“ zu verweisen. Eigentlich haben die ihm also das Leben gerettet.

Wacht Sleepy Joe jetzt endlich auf?

Das Wochenmagazin The Nation, Stimmungsbarometer der linken bis liberalen USA, hat sich um einen Realitätscheck bemüht. Trump verdiene Anteilnahme. Der Angriff mache ihn jedoch „nicht zu einem akzeptablen Präsidentschaftsanwärter“. Schwierigkeiten haben die Demokraten mit ihrem eigenen Anwärter, Präsident Joe Biden. Seit dessen desaströsem TV-Duell Ende Juni stehen Forderungen im Raum, der 81-Jährige solle Platz machen für jemand Jüngeren.

Knapp zwei Dutzend demokratische Kongressmitglieder, einige große Geldgeber der Partei und Medienkommentatoren haben Biden aufgefordert, seine Kandidatur einzustellen. Manche Demokraten stehen ihm nur halbherzig bei: Bidens Debattenvorstellung hat tief schockiert. Folgende Auftritte waren etwas besser, mit Teleprompter ist Biden gut. Doch es bleibt die Angst vor einem Desaster.

Umfragen zeigen seit Langem, dass US-Amerikaner mit deutlichen Mehrheiten besorgt sind, Biden sei zu alt für eine zweite Amtsperiode. Biden hat die Rücktrittsforderungen, Stand Mitte Juli, weitgehend im Sand verlaufen lassen, auf geradezu trumpistische Manier. Er präsentierte sich trotz seiner fünf Jahrzehnte auf hohen Posten in Washington als Außenseiter und kritisierte wie Trumps Leute „die Medien“, wenn auch aus anderen Gründen. Er sei frustriert mit „den Eliten“, sagte Biden im MSNBC-Fernsehen. Und er sei der beste Kandidat gegen Trump, habe er diesen doch schon einmal besiegt. Biden geht Detailfragen nach seinem Gesundheitszustand aus dem Weg. Alter bringe Weisheit, sagte er bei einer Pressekonferenz. Bidens Pressesprecherin mauert.

Sanders und die Linken bleiben Biden treu

Der „linke“ Parteiflügel bleibt Biden treu, anscheinend mit der riskanten Kalkulation, Biden werde in der zweiten Amtsperiode neue Reformen durchsetzen. Der Rat der schwarzen Kongressabgeordneten hält zu ihm. Großer Fürsprecher ist Senator Bernie Sanders, ehemals selbst Präsidentschaftsanwärter und linker Hoffnungsträger. Die Demokraten sollten aufhören, die Person Biden infrage zu stellen. Zugleich räumte Sanders im NBC-Fernsehen ein: Amerikaner wollten Wandel. Es werde entweder der Wandel von Trumps „reaktionärer und fremdenfeindlicher Politik sein, oder Wandel, der arbeitenden Familien zugutekommt“.

Der Anschlag auf Trump hat Biden Zeit gegeben. Seine Kritiker in der Partei halten sich zurück. Es wird viel über Gewalt gesprochen und oft so getan, als gehöre Gewalt nicht zum Wesen der USA mit Zehntausenden Schusswaffentoten im Jahr. Biden sagt gerne, die USA regelten politische Auseinandersetzungen in der Wahlkabine. Das hat nie ganz gestimmt. Trump hat seine Anhänger zum Marsch auf das Kapitol aufgerufen, um die Anerkennung des Wahlergebnisses zu verhindern. Heute lobt Trump die wegen Gewalttätigkeiten im Kapitol Verurteilten als „politische Gefangene“.

Selbst der politische Mord war dem US-System nie fremd. 1975 versuchte eine Angehörige des Charles-Manson-Kultes, Präsident Gerald Ford zu erschießen. 1981 führte ein Anschlag auf Ronald Reagan, nur wenige Monate nach Amtsantritt, zu einer Welle der Sympathie für den damaligen republikanischen Präsidenten.

Das Attentat auf den aussichtsreichen demokratischen Präsidentschaftsanwärter Robert Kennedy 1968 beim Wahlkampf – mitten im Vietnamkrieg und im Kampf um die Bürgerrechte der Schwarzen in einer gespaltenen Nation, hatte diese seinerzeit noch mehr auseinandergetrieben. Bei der Parteiversammlung in Chicago lieferten sich Polizei und Demonstranten Straßenschlachten. Schließlich wurde der Republikaner Richard Nixon zum Präsidenten gewählt.