Ursula Werner in Komödie „Zwei zu eins“: Der Osten, mal klar

„Die war ja nie ein Star“, erklärt der Taxifahrer auf dem Weg zum ersten Treffen mit Ursula Werner. Woher kennt er sie? Er sei aus Thüringen und habe sie in den Defa-Filmen gesehen. Er hält in der Kurfürstenstraße, im bürgerlichen Teil. Berlin-Charlottenburg, hier hat X-Filme seinen Sitz. Weite, helle Altbauräume mit Dielen, Medienleute wirbeln herum. Ursula Werner sitzt auf einem Sofa in einer Ecke, sie trägt einen dunkelblauen Anzug und weiße Bluse, neben ihr hockt ihr junger Agent. Braucht sie ihn? Werner lächelt, reicht ihre faltige Hand. Sie wirkt viel jünger als 80, eher mädchenhaft.

In ihrem neuen Film Zwei zu eins spielt Ursula Werner zusammen mit Sandra Hüller, Max Riemelt, Peter Kurth und Ronald Zehrfeld, die alle ostdeutsche Wurzeln haben. Es ist eine Komödie, man soll sich wohlfühlen, aber das Thema reißt auch Wunden auf.

Halberstadt, Sachsen-Anhalt, im Juli 1990. Es ist Währungsunion, die Westmark war in der DDR schon eingeführt worden, die alte Währung ist noch im Umlauf. Drei Freunde aus Kinderzeiten finden in einem alten Schacht zufällig die Millionen der ehemaligen DDR, die dort eingelagert wurden. Sie schmuggeln Rucksäcke voll Geld heraus und entwickeln gemeinsam mit Freunden und Nachbarn ein System, das inzwischen wertlose Geld in Waren zu tauschen.

Der Umbruch der 90er: „Wir machen was draus!“

Ursula Werner spielt Käthe, die gute Seele der Hausgemeinschaft, in der die meisten im VEB arbeiteten und entlassen wurden. Als sie jemanden suchen, der das gefundene Geld und die Waren überwachen kann, sagt sie: „Ick mach’s, ich mach den Kassenwart.“ Käthe erklärt auf diese lakonische Ursula-Werner-Art, dass das gestohlene Geld dem Staat, also dem Volk gehört, „also quasi uns“.

Ursula Werner wurde 1977 durch den Defa-Film Ein irrer Duft von frischem Heu schlagartig berühmt, sie war mehr als 30 Jahre am Maxim-Gorki-Theater engagiert, wo sie die Mascha in Tschechows Drei Schwestern spielte, sogar zweimal, einmal in der legendären Originalfassung und dann 1987 in Volker Brauns auf die DDR umgemünzten Übergangsgesellschaft. Regisseur war beide Male Thomas Langhoff. Mit Wolke 9 wurde sie Ende der Nullerjahre deutschlandweit im Kino gefeiert

Der neue Film trifft einen Nerv, weil er von den Neunzigerjahren handelt, von dem Umbruch, was er mit den Leuten gemacht hat. „Man kann diese Themen nicht immer tragisch und dramatisiert betrachten, sondern auch mal heiter“, sagt Ursula Werner. Sie wirkt etwas abwartend. „Die im Film glaubten an das Positive dieser Veränderung. Dass einem Steine in den Weg gelegt wurden oder Ungeahntes auftauchte, das kam dann erst später. Aber in dem Moment war diese ungeheuerliche Umbruchstimmung: Wir machen was draus!“ Man wollte mithalten. „Und in diesem Film wird gezeigt, dass die aus dem Osten auch ganz gerne das Geschäftliche begreifen wollen und meinen, es auch in den Griff zu kriegen, aber es geht alles schief. Dadurch entstehen komische Situationen.“ Viele seien dann gescheitert, weil diese Träume nicht aufgingen, die blühenden Wiesen nicht so kamen, wie von Kohl versprochen. Sie hätten in den Drehpausen oft zusammen gesessen, ältere und jüngere Kollegen. „Und man konnte sich erzählen: Wie viele Träume haben sich denn nun erfüllt? Und wie viele sind auf der Strecke geblieben?“

Nicht nur Befindlichkeiten

Ursula Werner wurde in ihren Vierzigern in die Wendezeit geworfen. Da war sie festes Ensemble-Mitglied am Gorki-Theater. „Ich wollte die Reformen, den Dritten Weg. Aber nicht die Wiedervereinigung. Der Runde Tisch war doch ein guter Ansatz.“ Anders als viele Kollegen hatte sie keine Existenzängste, denn sie konnte nicht entlassen werden. „Ich hatte ja am Theater ‚lebenslang‘, 15 Jahre immer am gleichen Haus. Diese Verträge galten natürlich auch noch danach, allerdings wurden sie zeitweilig infrage gestellt.“ Vor allen Dingen Frauen im mittleren Alter wurden nicht verlängert im Engagement im Theater. Es war einer der Gründe, aus denen sich Ursula Werner als Personalrat gemeldet hat. Sie war sechs Jahre lang Vorsitzende. „Ich wusste, es ist unheimlich zeitraubend, aber es ist gut. Kinder, nun haben wir diese Demokratie, dann mach ich’s halt.“ Sie hat sich dafür eingesetzt, dass die alten Verträge galten, sonst wären viele entlassen worden. Und habe verhindert, dass zwei Frauen mit kleinen Kindern gekündigt wurden.

Ursula Werner hatte kleine, große Rollen. Es war ihr nicht so wichtig, da herauszustechen, sagt sie, aber dass sie zusammen als Ensemble funktionierten. Sie habe während ihrer Gastspiele beobachtet, wie unterschiedlich die Theaterschulen waren, in Ost und West. „Bei Westkollegen gab es oftmals einen Star in der Mitte auf der Bühne, dem alle zugearbeitet haben. Die anderen drapierten sich drumherum.“ Natürlich wollte man im Osten auch brillieren, aber man wollte auch das Richtige aussagen. Und war bemüht, die Figur, die man spielte, auf ihren gesellschaftlichen Stand hin zu analysieren. Die westdeutschen Theaterschulen seien auf Befindlichkeit aus gewesen. „Die Figur war traurig, gedemütigt, dann spielte man das. Wir stellten sie in einen objektiveren Zusammenhang.“ Sie spüre diese gewisse Ost-West-Spaltung noch immer. 40 Jahre unterschiedlich leben, unterschiedlich erzogen werden, das verschwinde nicht in so kurzer Zeit wie 35 Jahren.

Die eigene Biografie verteidigen

Anfang dieses Jahres konnte man Ursula Werner in Muttersprache Mameloschn auf der Studiobühne des Gorki erleben. Wie sie da saß, ganz aufrecht auf einem Stuhl, in roter Wollstrickjacke, die grauen Haare streng zum Zopf gebunden, mit verschränkten Armen. Mutter, Tochter, Enkelin – drei Generationen ostdeutscher, jüdischer Frauen sezieren in dem Stück ihre Lebensentwürfe. Mit welcher Härte die Tochter mit der Mutter abrechnet. Wie unbeirrt Werner, die die Mutter spielt, darauf beharrt, dass sie sie durchgebracht hat, „allein!“, und trotzdem für eine Sache gekämpft hat. Sie war Sängerin, die Tochter ist enttäuscht, weil sie als Kind oft allein war, macht ihrer Mutter Vorwürfe. Doch die verteidigt fast stoisch ihr Leben. „Sie bleibt nicht verschämt in der Ecke stehen. Von wegen Katharsis.“ Ursula Werner braucht wenig, um diese Aura zu schaffen.

Im Westen wurde sie erst durch Andreas Dresen bekannt, der sie in Wolke 9, seinem Film über Liebe und Sexualität im Alter, besetzt hat, mit durchaus expliziten Szenen. Sie bekam in Cannes Standing Ovations für ihre Rolle. Wenn man Andreas Dresen fragt, was er an Ursula Werner schätzt, schickt er eine Mail. „Uschi vereint auf unvergleichliche Art Volkstümlichkeit und spielerische Intelligenz. Sie ist ein Mensch, der andere in die Arme und ins Herz schließt – und das spürt man bei einer Begegnung mit ihr von der ersten Minute an. Ihre Empathie und Herzlichkeit überträgt sich auch auf die von ihr gespielten Figuren. Selbst wenn sie straucheln, verliert man deswegen nie das Mitgefühl.“ Er weiß noch, wie sie zusammen in der Kantine des Gorki-Theaters saßen und er ihr von seiner ersten Idee für Wolke 9 erzählte. „Ich hatte mit Skepsis und Nachfragen gerechnet. Aber Uschi strahlte mich an und sagte unumwunden einfach nur Ja. Der Stoff war ihr genauso wichtig wie mir. Und genau das hat man im fertigen Film dann ja auch gesehen.“

Im Film verlässt die knapp 70-Jährige, die Ursula Werner spielt, ihren langjährigen Ehemann für den 76-jährigen Lover. Bei einer Premierenfahrt in den Westen fragte eine Zuschauerin: „Aber sagen Sie mal, Sie haben ja über das Wichtigste in dieser Trennung gar nicht geredet: Über das Geld! Wie wird denn die Frau dann versorgt?“ Sie fand das irritierend. „Für uns war das überhaupt keine Diskussion, wir Frauen im Osten hatten unsere Arbeit, unsere Rente.“ Eine Frau aus dem Westen hätte das nicht so authentisch spielen können, weil Frauen dort oft einen ganz anderen Stellenwert haben, glaubt sie.

Proletarische Kindheit im Prenzlauer Berg

Man spürt ihre proletarische Herkunft, wenn man mit Ursula Werner durch das Viertel in Prenzlauer Berg schlendert, in dem sie seit mehr als 60 Jahren lebt. Ihr Vater war Rohrleger, ihre Mutter Stenotypistin und Schneiderin. Als Kind hat sie in den kaputten Eckhäusern gespielt, wo Minen explodieren konnten und heute Cafés sind. Sie sind als Kinder rausgegangen, machten irgendetwas aus nichts. Ursula Werner hat immer in derselben Straße gewohnt, sie zog von Hausnummer zu Hausnummer. Wir stehen vor ihrer Grundschule in der Greifenhagener Straße, an der Schliemann-Schule hat sie ihr Abitur abgelegt und dann eine Tischlerlehre in Adlershof absolviert. Eines Tages rief sie der Lehrmeister. Im Büro des Direktors der Möbeltischlerei saß ein Regisseur von der Defa in Babelsberg, der sie von einer früheren Mini-Rolle kannte. Der Regisseur wollte Ursula Werner für einen Film. Der Film, den sie drehten, landete zwar im Giftschrank, aber sie ging jetzt diesen Weg und traute sich schließlich auf die Schauspielschule.

Weiter, zur Gethsemanekirche, wo sie evangelisch getauft wurde und Bibelkunde hatte. Im Kirchgarten rupft sie ein wildes Kraut. „Beifuß. Damit stopfe ich Weihnachten die Gans.“ Ihr Blick ist wach. „Ursula ist langsam müde“, sagt der Agent. Wir gehen ins nahe Café Midi, sie bestellt Johannisbeerschorle.

Wie schaut sie, mit bald 81 Jahren, auf die Liebe? „Ich habe mich ja immer wieder auf ein neues Liebesverhältnis eingelassen. Es war auch ein Bedürfnis. Und es war furchtbar enttäuschend, wenn eine Beziehung auseinandergeht. Aber ich bin auch Optimistin. Ich habe sehr gelitten darunter, aber auch gelernt, damit umzugehen. Und ich bin wirklich dankbar für meinen Beruf, wo man ja dem Publikum verpflichtet ist. Man lebt dann nicht für sich allein, sondern in dieser Künstlergilde, in diesem Ensemble, dem man auch verpflichtet ist. Und dadurch habe ich immer Disziplin üben müssen. Frühmorgens war die große Enttäuschung und abends musste ich spielen. Und das hilft natürlich auch. Wenn man glaubt, jetzt höre ich auf zu leben, dann geht man auf die Bühne und spielt.“

Eingebetteter Medieninhalt

Ursula Werner, geboren 1943 in Eberswalde, schloss 1969 das Studium an der Staatlichen Schauspielschule Berlin-Schöneweide ab. Ihre erste Rolle hatte sie in Die Sorgenkinder und anschließend zahlreiche Engagements an Theatern, unter anderem in Halle, am Maxim-Gorki-Theater Berlin, an den Kammerspielen München, am Schauspielhaus Stuttgart. Für ihre Rolle in Wolke 9 erhielt sie 2009 den Deutschen Filmpreis. 2018 spielte sie in Caroline Links Der Junge muss an die frische Luft. Ihr neuer Film Zwei zu eins von Natja Brunckhorst kommt am 25. Juli 2024 in die Kinos