Unwetterschäden: Deutschlands ungerechte Gummistiefel-Politik – Am Ende zahlt dieser Steuerzahler – WELT
Das Hochwasser im Saarland läuft ab, und das Ausmaß der Schäden wird immer deutlicher. Zerstörte Häuser, weggespültes Hab und Gut, mit Matsch vollgelaufene Keller – etliche Haushalte dürften in finanzielle Existenznöte geraten. Zurecht sollten die verzweifelten Menschen auf die Hilfe einer solidarischen Gesellschaft hoffen dürfen.
Doch ob diese Hilfe tatsächlich kommt, wie hoch sie ausfällt und wo nach einer Flutkatastrophe etwas repariert oder wieder aufgebaut wird – das ist meistens keine Frage des Versicherungsschutzes oder der städtebaulichen Risikoabwägung. Stattdessen hängt vieles schlicht vom Ausmaß der Katastrophe ab, von der aktuellen politischen Stimmung und vom Wohlwollen des Staates. Und das ist das falsche Grundprinzip.
So zynisch es klingen mag: Die Flutkatastrophe vom Sommer 2021 im Ahrtal mit 134 Todesopfern, das Hochwasser mit tausenden vollgelaufenen Kellern in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen im vergangenen Winter und die jetzt von Starkregen verursachten Überschwemmungen im Saarland waren jeweils groß genug, um in den Aktionsbereich der Politik zu geraten.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat dabei noch dazugelernt. Bei seiner Hochwasser-Visite im Januar in Verden (Aller) war er noch mit Wanderschuhen aufgelaufen und hatte Kritik geerntet. Im Saarland trug er nun von vornherein Gummistiefel und stapfte durchs überschwemmte Kleinblittersdorf, zusätzlich ausgestattet mit unverbindlichen Sprachphrasen, für die er auch aus anderen Krisensituationen bekannt ist („Das ist ein Zeichen der Zusammenarbeit, das wir hier erkennen können“ oder „Deshalb werden wir natürlich schauen, was hier notwendig und jetzt zu tun ist“).
Deutlich konkreter wurde Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD). Sie versprach: „Der Staat wird helfen müssen, dort, wo große Schäden entstanden sind und Menschen damit überfordert sind“, sagte sie. Erneut stellen sich Bund und Länder also darauf ein, individuelle materielle Schäden in nahezu beliebiger Höhe auszugleichen.
Dass sich Politiker in einer Katastrophensituation mit Betroffenen vor Ort treffen, ist ein gutes Zeichen für gemeinschaftliches Denken und kann zur Mobilisierung von Hilfe beitragen. Kritikwürdig aber ist der seit Corona-Pandemie, Energiekostenexplosion und eben auch Ahrtal-Katastrophe verbreitete staatliche Bailout-Automatismus: Ist der Schaden groß genug, übernimmt halt der Steuerzahler alle Kosten.
Im Saarland war es vielleicht nur Zufall, dass Scholz und die SPD-Kandidatin für die Europawahl Katarina Barley ohnehin einen Wahlkampf-Auftritt geplant hatten. Ganz unwillkommen allerdings dürfte es auch nicht gewesen sein, dass man sich nicht in einer nüchternen Stadthalle, sondern auf durchnässten Straßen präsentieren konnte. Hochwassergebiete sollten jedoch kein politisches Betätigungsfeld sein.
Jedes Jahr entstehen Schäden in Milliardenhöhe durch Überschwemmungen, Stürme und Starkregen. Der Klimawandel lässt in manchen Regionen insbesondere die Wahrscheinlichkeit von Starkregenereignissen anwachsen, das ist inzwischen unbestritten. Doch wie man mit den Schäden umgeht und wer dafür aufkommt, ist weitaus weniger klar.
In Baden-Württemberg gab es vor Jahren noch eine Pflichtversicherung gegen Naturgefahren beziehungsweise Elementarschäden, die nicht von der obligatorischen Gebäudeversicherung gedeckt waren. Hochwasserschäden gehören dazu. Nahezu jeder Haushalt in dem Bundesland war also versichert, und nach dem Solidarprinzip zahlte eine überwiegende Mehrheit der Hausbesitzer in weniger gefährdeten Regionen ihre Prämien auch dafür, dass der Beitrag für jene am Flussufer bezahlbar und auch für die Versicherer finanzierbar war.
Seit der Liberalisierung des Marktes fallen zunehmend jene Einwohner in Baden-Württemberg aus dem Versicherungsschutz, die zu nah am Wasser wohnen. Das Gleiche gilt für alle anderen Bundesländer: Wer in einem Gefahrengebiet der Stufe vier lebt, muss entweder horrend hohe Prämien zahlen oder bekommt erst gar kein Angebot von der Assekuranz. Das ist in etwa so, also würde Autofahrern, die besonders häufig Straßenkreuzungen mit hoher Unfallgefahr benutzen, für diesen Moment ihre Kfz-Police abgesprochen.
Auch wenn die Versicherungswirtschaft das Gegenteil behauptet: Eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden, so wie sie der Bundesrat Anfang des Jahres und Ministerpräsidentin Rehlinger jetzt erneut gefordert hat, ist zu begrüßen. Sie ist darstellbar, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die Politik mitspielt. Man könnte in riskanten Gefahrengebieten beispielsweise eine relativ hohe Selbstbeteiligung fordern. Einen kleinen fünfstelligen Betrag im Schadensfall selbst zu übernehmen ist immer noch besser als der finanzielle Super-GAU. Bund und Länder könnten als Deckungsgrundlage einen Fonds bereitstellen.
Das zweite Problem, das erst zur Hälfte gelöst ist, sind die Baubestimmungen. Zu viele Häuser stehen in Überschwemmungsgebieten. Und nach einer Katastrophe werden sie sogar genau dort wieder aufgebaut, so geschehen im Ahrtal. Bund und Länder stellten 2021 einen mit 30 Milliarden Euro ausgestatteten Ahrtal-Fonds bereit. Geld gab es jedoch nur für Immobilien, die an gleicher Stelle und in gleicher Qualität wiedererrichtet wurden. Den Betroffenen kann man also nicht den Vorwurf machen, dass sie die Hochwassergefahr ignorieren.
An ein Bauverbot in gefährdeten Gebieten traut sich niemand heran
Immerhin hat Bauministerin Klara Geywitz (SPD) in einer Novelle des Baugesetzbuchs dafür gesorgt, dass nach einer Katastrophe neue Ausweich-Bauplätze an anderer Stelle entstehen können, ohne das alle normalerweise vorgeschriebenen Ausgleichsflächen für neues Bauland beschafft werden müssen. In Überschwemmungsgebieten kann die aufgegebene Parzelle am Flussufer angerechnet werden.
Doch an ein ernsthaftes Bauverbot in Gebieten mit Gefahrenstufe vier trauen sich viele Gemeinden nicht heran. Es ist schlicht zu unpopulär. Und damit zeigt sich erneut: Naturgefahren sollten kein politisches Spielfeld sein, weder indem man sie ignoriert, noch indem man sie zur Präsentation nutzt. Vielmehr sollten Städte und Landkreise konsequenter dafür sorgen, dass gefährliche Gewässer mehr Platz bekommen, Sickerflächen und Überschwemmungsland. Denn Ereignisse wie im Saarland werden häufiger vorkommen.
Source: welt.de