Unternehmen: So reagiert Digel hinauf Proteste in dieser türkischen Fabrik

Proteste bei Digel: Den Gewerkschaften geht es vor allem um die angebliche Missachtung des Grundrechts auf Gewerkschaftsfreiheit.
Seit mehr als 300 Tagen kämpfen nach Angaben der Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaing, CCC) Beschäftigte von Digel Tekstil im türkischen Izmir für ihr Recht auf gewerkschaftliche Organisierung und fordern die Digel AG in Nagold auf, „die Behinderung gewerkschaftlicher Arbeit in ihrem türkischen Produktionsbetrieb zu unterbinden“. Die HAKA-Spezialisten weisen die Vorwürfe entschieden zurück.
Streit um Gewerkschafts-Zugehörigkeit
Darüber hinaus habe das Management Arbeiter eingeschüchtert und Vorgesetzte sollen Druck ausgeübt haben, um Beschäftigte zum Austritt aus der Gewerkschaft zu bewegen. So seien 15 Arbeiter, die „die Bewegung im Betrieb mit anführten, unrechtmäßig und ohne Abfindung“ entlassen worden.
Digel weist alle Vorwürfe zurück
Jochen Digel, alleiniger Vorstand des Menswear-Spezialisten, hatte die Angelegenheit bislang seinem Anwalt in der Türkei überlassen, jetzt hat die Firmenzentrale in Nagold reagiert: „Die erhobenen Vorwürfe gegenüber der Digel Tekstil sind haltlos, und wir weisen diese entschieden zurück. Die Organisation CCC beruft sich ausschließlich auf Informationen der Gewerkschaft Teksif. Unser Betrieb in der Türkei hält sich streng an die örtliche Gesetzgebung. Wir bezahlen absolut marktübliche Löhne und Gehälter inklusive Sozialleistungen. Wir halten uns an alle sozialen Standards.“
Studie
Nur wenige Modefirmen zahlen in ihren Lieferketten existenzsichernde Löhne
Bei 213 von 219 Herstellern erhalten die Mitarbeiter in den Produktionsstätten keine existenzsichernden Löhne. Das ist das Ergebnis einer Studie der Berlin School of Business and Innovation (BSBI), die auf Basis des Online-Tools Fashion Checker die Daten von mehr als 200 globalen Modekonzernen aus 28 Ländern untersucht hat. Demnach erhalten lediglich bei sechs Unternehmen maximal 25% der Beschäftigten in der Lieferkette einen Existenzlohn.
Die letzte Lohnerhöhung im Unternehmen habe im Schnitt bei 35% gelegen. Im Vergleich habe die Mindestlohnerhöhung in der Türkei nur 29% betragen. „Unsere Mitarbeiter in Izmir verdienen überdurchschnittlich, unser Werk ist vollklimatisiert. Wir kümmern uns um Transport und Abholung der Mitarbeiter aus ihren Wohnbezirken und stellen freies Essen und Trinken im Betrieb zur Verfügung“, erklären die Nagolder.
Angriff auf den Betriebsfrieden
In der umfangreichen Stellungnahme heißt es zudem, dass zum Thema Arbeitssicherheit eine externe Fachkraft an zwei Tagen pro Woche vor Ort sei, um alles zu überprüfen. Einmal im Monat tage zudem ein Sicherheitsrat, bestehend aus Geschäftsleitung, Mitarbeitern, Firmenärztin und der externen Fachkraft.
„Fälle von Diskriminierung, Beleidigung und Mobbing weisen wir von uns. Es gibt klar definierte Ansprechpartner im Unternehmen, welche jegliche Anzeichen von Fehlverhalten sehr ernst nehmen und etwaige Fälle unverzüglich klären und disziplinarisch ahnden“, heißt es aus der Deutschlandzentrale von Digel.
YouGov-Umfrage anlässlich des Pride Month
Jeder fünfte LGBTIQ+Beschäftigte kündigt wegen Diskriminierungen
Von gelebter Diversity am Arbeitsplatz sind viele Unternehmen noch weit entfernt. So gaben in einer aktuellen Umfrage unter Beschäftigten aus der LGBTIQ+-Community 22% der Teilnehmenden an, dass sie aufgrund von Diskriminierungen schon mindestens einmal ihren Job gekündigt haben.
Das Unternehmen gelte unter den Arbeitnehmern als „favorisierter Arbeitgeber, eben weil unsere Standards weit über den ortsüblichen Standards liegen. Wir sehen die Vorwürfe der Gewerkschaft Teksif als Angriff auf den Betriebsfrieden und schützen unsere Mitarbeiter vor haltlosen Behauptungen und Einschüchterungen“, schreiben die Herrenmode-Spezialisten.
Und sie verweisen auf ihren Anwalt vor Ort, der für die Firmenrechte und die „Rechte der Mitarbeiter“ eingeschaltet sei. „Es ist uns als Arbeitgeber darüber hinaus nicht bekannt, inwiefern jemand in einer Gewerkschaft organisiert ist, da unsere Mitarbeiter eine Mitgliedschaft nicht anzeigen müssen – sei es in der Teksif oder einer anderen Gewerkschaft“, erklärt Digel im Hinblick auf die Vorwürfe, Gewerkschafter seien entlassen worden.
Zulassungs-Verfahren noch nicht abgeschlossen
Die Fluktuation in der türkischen Niederlassung liege bei etwa 10% im Jahr, darunter seien Mitarbeiter mit und ohne Gewerkschaftsmitgliedschaft. Zudem laufe das Zulassungs-Verfahren für die Gewerkschaft noch immer, es sei in Gang gesetzt, aber noch nicht abgeschlossen. „Daher gibt es derzeit keine gewerkschaftliche Vertretung in der Digel Tekstil. Dies ist rechtlich und formal klar geregt. Wir als Digel AG sind in Deutschland tarifgebundenes Mitglied (IG Metall) und arbeiten mit unserem Betriebsrat und Gewerkschaften eng zusammen“, fassen die Produzenten zusammen.
Menswear-Spezialist 2023 auf Wachstumskurs
Digel legt weiter zu
Der Männermode-Anbieter Digel konnte im vergangenen Jahr seine Umsätze steigern. Im Jubiläumsjahr 2024 soll es dynamisch weitergehen.
Die 2016 in der Ägäischen Freizone unter dem Namen Digel Tekstil Sanayi ve Ticaret AŞ gegründete Produktionsstätte galt als Vorzeigewerk der Nagolder. „Von erfahrenen Handwerkern geführt, wird jeder Schritt des Produktionsprozesses sorgfältig durchgeführt, um sicherzustellen, dass jedes Detail unserer Anzüge den höchsten Standards entspricht. Digel Tekstil in Izmir ist nicht nur ein Ort der Produktion, sondern ein Symbol für unsere Hingabe an Exzellenz und die Schaffung von zeitlosen, stilvollen Kleidungsstücken“, heißt es auf der Firmenwebsite.
Kampf gegen „Union Busting“
Die NGO und die Gewerkschafter vor Ort kündigen indessen an, weiterkämpfen zu wollen. Laut CCC erfüllten diese Vorgänge den Tatbestand des „Union Busting“, also des gezielten Verhinderns gewerkschaftlicher Organisierung im Betrieb.
Eine Ermittlung des türkischen Arbeitsministeriums habe diesen Verdacht erhärtet. In deren Abschlussbericht heißt es nach Gewerkschaftsangaben, dass die Entlassungen rechtswidrig waren. Zudem würden dort „erzwungene Austritte von noch beschäftigten Arbeitern aus der Gewerkschaft“ beanstandet.
Proteste in Bangladesch
Lohnerhöhung für Textilarbeiter
Ab Dezember sollen Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Bangladesch mindestens 12.500 Taka (106 Euro) pro Monat statt wie bis dahin 8000 Taka (68 Euro) erhalten, sagte Arbeitsministerin Monnujan Sufian Reportern kürzlich in der Hauptstadt Dhaka.
„Die Digel AG schreibt sich öffentlich auf die Fahnen, ‚besonderes Augenmerk auf rechtliche Vorgaben, ethisches Verhalten und soziale Verantwortung‘ zu legen“, so Felix Nickel, Koordinator für Fallarbeit der CCC. „Die uns bekannten Vorgänge bei Digel Textil stehen in krassem Kontrast zu diesem Anspruch. Auf unsere Anfrage hat Digel die Darstellung der Gewerkschaft als unwahr bezeichnet, ist aber weder auf den Richterspruch noch den Bericht des Arbeitsministeriums eingegangen.“
Gewerkschaftsfreiheit als Menschenrecht
Nickel verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und internationale Menschenrechtsnormen, die das Unternehmen verpflichten, für die Einhaltung der Menschenrechte in seiner Produktionskette zu sorgen. „Dies schließt Gewerkschaftsfreiheit ein. Da Digel Tekstil unmittelbar zur Unternehmensgruppe Digel gehört, kann und muss die Konzernführung die Behinderung der Gewerkschaftsarbeit jetzt beenden. Gewerkschaftsfreiheit ist ein Menschenrecht“, fasst Nickel zusammen.
Halbjahresbilanz
Digel legt kräftig zu
Der Formalwear-Macher hat ein erfolgreiches erstes Halbjahr hinter sich.
Die Gewerkschaft Teksif und die betroffenen Arbeiter von Digel Tekstil hätten inzwischen angekündigt, dass sie sich auch weiterhin für ihr Recht auf Gewerkschaftsfreiheit einsetzen werden: „Seit 314 Tagen leisten wir vor den Werkstoren in Izmir Widerstand. Digel muss umgehend die Rechte der Arbeiter respektieren, die Gewerkschaft endlich anerkennen und die entlassenen Beschäftigten auf ihren alten Positionen wieder einstellen“, fordert Gewerkschaftssekretär Alagöz.