Unterhauswahl in UK: Wie die Rache dieser Briten den Sozialdemokraten verdongeln Erdrutschsieg bescherte – WELT

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Um 22 Uhr Londoner Zeit schien es, als habe Keir Starmer seine zerbrechliche Ming-Vase sicher durch das gefährliche Terrain des Wahlkampfes manövriert. Der vorsichtige, risikofreie Kurs des Labour-Chefs, der von britischen Politikbeobachtern mit dem Tragen eines zerbrechlichen Porzellanschatzes verglichen wurde, scheint nach ersten Hochrechnungen aufgegangen zu sein.

Am Donnerstag hatten in Großbritannien die Parlamentswahlen stattgefunden. Prognosen zufolge werden die Sozialdemokraten mit deutlicher Mehrheit ins britische Unterhaus ziehen, weit dahinter liegen die Konservativen von Premierminister Rishi Sunak, gefolgt von den Liberaldemokraten und der Partei Reform UK des Rechtspopulisten Nigel Farage.

Sollte sich dieser Trend der frühen Morgenstunden im Verlauf des Freitags offiziell bestätigen, wäre dies das Ende der 14-jährigen Regierungszeit der Konservativen. Eine Partei, die einst als erfolgreichste der Welt galt.

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Selbst hochrangige Politiker wie Sunak, Schatzkanzler Jeremy Hunt und Verteidigungsminister Grant Shapps könnten in der Nacht ihre Sitze verlieren. Eine Demütigung sondergleichen.

Auferstanden aus der Asche sind dagegen die Sozialdemokraten: Noch bei den letzten Unterhauswahlen im Jahr 2019 hatte Labour unter dem damaligen Parteichef Jeremy Corbyn das schlechteste Wahlergebnis seit über 90 Jahren eingefahren.

Ausschlaggebend für das Comeback war nicht nur die miserable Regierungsbilanz der Konservativen, sondern auch der Kurswechsel des fast schon als sicher geltenden nächsten Premierministers Starmer. Dieser hatte die Partei nach seinem Amtsantritt im Jahr 2020 mit einem pragmatischen und flexiblen Kurs vom Linksruck unter Corbyn zurück in die Mitte geführt.

Nach Corbyns Linkskurs einte Starmer Labour

Corbyn hatte während seiner fünfjährigen Amtszeit vor allem sozialkonservative Wähler verprellt, die sich von den urban-linken Positionen des Parteichefs nicht vertreten fühlten. Der in der Friedensbewegung engagierte Corbyn galt wegen seiner Nato- und Rüstungsskepsis als unpatriotisch, seine ambivalente Haltung zum EU-Austritt verunsicherte viele Wähler mehr, als dass er sie überzeugte.

Ein parteiinterner Antisemitismusskandal nagte zusätzlich an seinem Image. Dagegen konnte der damalige konservative Premierminister Boris Johnson die Briten mit klaren Brexit-Wohlstandsversprechen umgarnen und überzeugen. Bei den Wahlen räumte er ab, Labour verlor haushoch.

Jeremy Corbyn verprellte während seiner Amtszeit gerade sozialkonservative Wähler
Jeremy Corbyn verprellte während seiner Amtszeit gerade sozialkonservative Wähler
Quelle: dpa/Jordan Pettitt

Nach dem Wahldebakel übernahm Starmer die zerrüttete Partei und manövrierte sie schleichend in die Gegenrichtung. Ganz dem Neuanfang verschrieben, scheute er sich nicht, aufmüpfigen linke Mitgliedern auf die Finger zu klopfen oder sie ganz aus dem Weg zu räumen. Auch Corbyn entließ er, um eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Antisemitismus zu signalisieren.

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Mit dieser Strategie gelang es ihm schließlich, der Partei ein zielorientiertes und geschlossenes Auftreten zu verleihen. Inhaltlich steuerte er die Sozialdemokraten auf einen zentristischen Kurs, indem er sich zum Verteidigungshaushalt bekannte, strikte Haushaltsdisziplin forderte und Sympathien für das Unternehmertum erkennen ließ.

Nach 14 Jahren Tories ist Großbritannien eine Dauerbaustelle

Doch während die Partei für viele desillusionierte Briten wieder wählbar wurde, konnte der Parteichef sie nicht von seiner Person überzeugen. In Umfragen schnitt er regelmäßig schlecht ab. Grund dafür war seine mangelnde Nahbarkeit. Der ehemalige Menschenrechtsanwalt, der erst 2015 als Abgeordneter in die Politik und damit vergleichsweise spät ins Licht der Öffentlichkeit trat, wirkte bei Auftritten reserviert, fast roboterhaft.

Bis zuletzt zeigte er möglichst wenig Profil, um den Vorsprung in den Umfragen nicht wie eine Ming-Vase zerspringen zu lassen. Erst Anfang des Jahres gab er auf Kritik hin kleine, wenn auch unbeholfene Einblicke in seine Biografie: Im Wahlkampf wiederholte er so oft, sein Vater sei Werkzeugmacher gewesen, dass das Publikum einer Fernsehdebatte bei diesem Satz in Gelächter ausbrach.

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Dass ein als langweilig geltender Parteichef dennoch einen historischen Sieg für seine Partei erringen konnte, sagt vor allem etwas über die Alternativen aus, über die die Briten am Donnerstag abstimmen konnten. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts, nach dem nur der Kandidat mit den meisten Stimmen ins britische Unterhaus einzieht, sind die Wahlmöglichkeiten begrenzt. Die beiden größten Parteien, Labour und die Konservativen, tragen den Wahlkampf traditionell unter sich aus.

Doch das Vertrauen in die Konservativen, die das Land in 14 Jahren Regierungszeit in eine tiefe Krise gestürzt haben, ist erschüttert. Die Staatsverschuldung ist die höchste seit fast 70 Jahren, die Steuern so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, Löhne und Produktivität stagnieren. Der staatliche Gesundheitsdienst NHS ist maßlos unterfinanziert, die Gefängnisse sind überfüllt, die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt ist so groß, dass die explodierenden Preise die Briten buchstäblich auf die Straße treiben.

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Auf den Brexit angesprochen, der den Briten Wohlstand bringen sollte, blicken die Konservativen nur betreten zu Boden. Auch das Versprechen, die Einwanderung zu begrenzen, hat sich als Farce erwiesen: Derzeit kommen mehr Menschen nach Großbritannien als je zuvor.

Mit Johnsons illegalen Lockdown-Partys, dem katastrophalen Minibudget seiner Nachfolgerin Liz Truss und dem verfrühten Abgang Sunaks bei der D-Day-Gedenkfeier haben die Tories auch das letzte Quäntchen Respekt bei den Wählern verspielt.

Briten wollen die Partei abstrafen, die sie im Stich gelassen hat

„Die Menschen sind es leid, dass die Regierung in den letzten zehn Jahren nichts erreicht hat“, fasste Charlie Beckett, Kommunikationswissenschaftler an der London School of Economics, am Donnerstagabend die Stimmung im Land zusammen. Viele sehnten sich nach einem Regierungswechsel.

Der Höhenflug der Sozialdemokraten kann daher zum Teil auch als Racheakt der Briten gelesen werden: Sie wollen eine Partei abstrafen, die sie im Stich gelassen hat, und wählen deshalb die aussichtsreichste Alternative.

Während sich die Konservativen auf eine neue politische Nebenrolle vorbereiten, steht den Sozialdemokraten ihre größte Herausforderung noch bevor. Denn die Partei wird die Probleme ernten, die die Konservativen nicht in den Griff bekommen haben.

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Wie sie diese bewältigen wollen, darüber rätseln britische Experten derzeit mit Blick auf das lückenhafte Parteiprogramm. Bisher halten die Sozialdemokraten an ihrem Versprechen fest, die Steuern für die „arbeitende Bevölkerung“ nicht anzuheben. Gleichwohl wollen sie in den öffentlichen Dienst investieren und die Staatsverschuldung abbauen.

Angesichts der desolaten Haushaltslage wird dieser Plan nicht aufgehen, meinen britische Denkfabriken. Am Freitagmorgen mag Starmer die Ming-Vase sicher durch den Wahlkampf gebracht haben. Doch das nächste politische Schlachtfeld steht schon bevor.

Source: welt.de