UNRWA: Was wird jetzt aus dem Palästina-Hilfswerk?

Am Montagabend verabschiedete
das israelische Parlament zwei Gesetzesentwürfe, die die Arbeit des
Palästina-Hilfswerks der Vereinten Nationen UNRWA in Israel, den besetzten
palästinensischen Gebieten und Gaza verbieten sollen. Zuvor hatte die israelische Regierung Vorwürfe erhoben,
UNRWA-Mitarbeiter hätten sich an den Massakern des 07. Oktobers beteiligt.

Was ist das UNRWA und was leistet es?

Die United Nations Relief and Works Agency (UNRWA) wurde 1949 von der UN-Generalversammlung ins Leben gerufen. Als Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten erhielt es den Auftrag, jene als Flüchtlinge registrierten Palästinenser und ihre Nachkommen zu unterstützen, die mit der Staatsgründung Israels 1948 und dem ersten arabisch-israelischen Krieg „sowohl ihre Heimat als auch ihre Lebensgrundlage verloren haben“ – und zwar so lange, „bis eine gerechte und dauerhafte Lösung für ihre Situation gefunden ist“. 

Für die jüdischen Flüchtlinge, die zu israelischen
Staatsbürgern wurden, übernahm der neu gegründete Staat Israel ab 1952 die
Fürsorge. Die palästinensischen Flüchtlinge und deren Nachkommen werden bis
heute von UNRWA versorgt, da der Flüchtlingsstatus in Anlehnung an die Genfer
Konvention vererbbar ist. Das Mandat wird seither alle drei Jahre verlängert.

Mit rund 30.000 Mitarbeitenden ist das UNRWA mit Sitz im jordanischen Amman und in Gaza eines der größten Hilfswerke der UN. Aktiv ist es nicht nur in den Palästinensergebieten, sondern auch in Jordanien, im Libanon und in Syrien. Allein 13.000 Mitarbeitende (fast ausschließlich Palästinenser) sind in mehr als 300 UNRWA-Einrichtungen im
Gazastreifen tätig, wo laut UN 1,7 Millionen Menschen als Flüchtlinge
registriert sind – bei 2,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. 

Waren es 1949 rund 750.000 registrierte Flüchtlinge,
an die sich die Hilfe der UN richtete, sind es laut UNRWA mittlerweile rund 5,9
Millionen. Zum Mandat des Hilfswerks gehören unter anderem die Versorgung mit
Nahrungsmitteln, die medizinische Versorgung und soziale Dienstleistungen sowie
generell die Infrastruktur in den Flüchtlingslagern – also beispielsweise auch
Abwasser und Müllabfuhr. Mehr als 540.000
palästinensische Kinder lernen in von UNRWA betriebenen Schulen. Dazu kommt,
wie derzeit, die akute Nothilfe während bewaffneter Auseinandersetzungen.

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Welche Vorwürfe werden aktuell erhoben?

In einer ersten Mitteilung im Januar 2024 warf die israelische Regierung der UNRWA vor, dass zwölf ihrer Mitarbeitenden am Angriff der Hamas-Terroristen vom 7. Oktober beteiligt gewesen seien oder diese die Terrororganisation in den Tagen danach unterstützt haben sollen. In den Wochen und Monaten darauf wurde die Liste der Beschuldigten um Hunderte weitere Namen erweitert.

Über Details berichtete die New York Times, der ein entsprechendes israelisches Geheimdienstdossier an die USA übermittelt wurde. Demnach soll einer der Männer zusammen mit seinem Sohn eine Frau aus Israel entführt haben. Ein anderer soll Munition verteilt und geholfen haben, die Leiche eines getöteten israelischen Soldaten in den Gazastreifen zu bringen. Ein Dritter soll an einem Massaker in einem Kibbuz beteiligt gewesen sein, bei dem 97 Menschen getötet wurden. Zehn der Beschuldigten sollen Mitglieder der Hamas gewesen sein, einer dem Islamischen Dschihad angehört haben. In abgehörten Telefonaten sollen Beschuldigte über ihre Beteiligung an dem Hamas-Angriff gesprochen haben. Einer habe eine Textnachricht erhalten, in der er angewiesen worden sein soll, raketengetriebene Granaten mitzubringen, die in seinem Haus gelagert
gewesen sein sollen. Laut UNRWA sind zwei der Angestellten inzwischen tot.

Der UNRWA-Generalkommissar hat inzwischen eingeräumt, dass offenbar 19 der 13.000 Mitarbeitenden seiner Organisation in Gaza an den Massakern des 7. Oktobers direkt oder indirekt beteiligt waren. Diese Mitarbeiter seien umgehend entlassen worden, die meisten schon unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Anschuldigungen durch Israel, einige angeblich auch schon vor dem Terrorangriff. Demnach sei etwa einem im Oktober im Libanon von
der israelischen Armee als Hamas-Kommandeur identifiziertem UNRWA-Lehrer bereits Monate zuvor suspendiert worden. Er war bei Kampfhandlungen getötet worden.

Eine unabhängige Untersuchungskommission unter der Leitung der
ehemaligen französischen Außenministerin Catherine Colonna bestätigte in ihrem im
April 2024 veröffentlichten Bericht,
dass einige UNRWA-Mitarbeitende am Massaker der Hamas beteiligt waren. Sie kam allerdings auch zu dem Schluss, dass die israelische Regierung für den größten Teil der beschuldigten Mitarbeitenden keine hinreichenden Beweise habe liefern können. Zudem kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass es keine Belege für die seit Jahren wiederkehrende Behauptung der israelischen Regierung gebe, die UNRWA sei als Ganzes von der Hamas unterwandert.

Israel kritisiert die Organisation schon seit Jahren. Ein Punkt
dabei ist das Bekenntnis von UNRWA zum Rückkehrrecht der Palästinenserinnen
und Palästinenser. Laut dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu
würde die Organisation damit „das palästinensische Flüchtlingsproblem
fortschreiben“. Ein weiterer Vorwurf lautet, in den
Flüchtlingssiedlungen der Organisation agierten teilweise auch
Terrorgruppen. Die Organisation akzeptiere damit, dass
palästinensische Schulkinder als menschliche Schutzschilde benutzt
würden. Dass die Hamas auch Schulen der UNRWA als Waffenlager nutzt, bestätigt unter anderem ein UN-Bericht aus dem Jahr 2014

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Was beinhalten die beiden neuen Gesetze?

Am
Montagabend verabschiedete die Knesset, das israelische Parlament, mit einer
Mehrheit von 92 zu zehn Stimmen zwei Gesetzesentwürfe. Das erste Gesetz soll
die Arbeit des Palästina-Hilfswerks in Israel und dem laut UN völkerrechtswidrig
annektierten Ostjerusalem verbieten. Das zweite Gesetz soll den Kontakt
zwischen jeglichen israelischen Institutionen, inklusive der Regierung, der Besatzungsbehörde und der Armee mit
UNRWA-Mitarbeitenden unterbinden. UNRWA-Mitarbeitenden aus dem Ausland soll zudem der Diplomatenstatus entzogen werden. Sämtliche Aktivitäten von UNRWA im Westjordanland und Gaza müssen nach derzeitiger Regelung durch die israelische Armee und die Besatzungsbehörde genehmigt werden. Ein Kontaktverbot würde die Arbeit der Hilfsorganisation unmöglich machen. 

Binnen 90 Tagen sollen beide Gesetze umgesetzt werden.
Ursprüngliche Gesetzesentwürfe sahen noch gravierendere Maßnahmen vor, etwa
UNRWA zur Terrororganisation zu erklären.

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Welche Auswirkungen haben die Gesetze?

Mit
Inkrafttreten der Gesetzesentwürfe wird UNRWA in Ostjerusalem de facto
verboten. In Ostjerusalem verwaltet das Hilfswerk das Shuafat-Flüchtlingslager und sorgt dort für Bildung, Gesundheitsversorgung und
lebensnotwendige Infrastruktur. Offiziell sind über 16.000
Palästina-Flüchtlinge registriert; die Gesamtbevölkerung wird auf bis
zu 100.000 geschätzt. Das israelische Kabinett prüft derzeit Möglichkeiten,
diese Verantwortung an die Jerusalemer Stadtverwaltung zu übertragen. Ganz
anders sieht die Situation im Westjordanland und dem Gazastreifen aus. Ein
Verbot der Koordination mit der israelischen Besatzungsbehörde und der Armee,
die sämtliche Zugänge kontrolliert, würde eine Arbeit sowohl im Westjordanland
als auch die Nothilfe in Gaza unmöglich machen.

Im
Gazastreifen war die humanitäre Lage bereits vor dem israelischen Krieg gegen
die Hamas schwierig: Fast zwei Drittel der Bewohner litten laut UN unter
Ernährungsunsicherheit und waren deshalb auf Hilfe angewiesen. Durch die andauernde und wiederholte
Vertreibung ist mittlerweile fast die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens auf
humanitäre Nothilfe angewiesen. Durch die neuen Gesetze könnten schätzungsweise 900.000 Menschen im Westjordanland grundlegende Versorgung verlieren; im Gazastreifen, wo bereits eine humanitäre Katastrophe besteht, könnten etwa 1,9 Millionen Menschen lebensnotwendige Nothilfe verlieren.

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Gibt es eine Alternative zur UNRWA?

Ideen
für eine Alternative für die betroffenen Menschen hat das israelische Kabinett
lediglich für Flüchtlingslager Shuafat in Ostjerusalem. Im Westjordanland und Gaza gibt es
derzeit offenbar keinen Ersatz für UNRWA. Dabei ist
Grundversorgung der palästinensischen Bevölkerung ein entscheidender Faktor für
die Stabilität in der Region – auch für die Sicherheit Israels. Das betonen
sowohl Mitglieder des israelischen Sicherheitsestablishments als auch
internationale Verbündete Israels immer wieder. 

Eine Auflösung von UNRWA hätte für Israel auch weitreichende
völkerrechtliche Konsequenzen: Als Besatzungsmacht ist Israel für das Wohl der
besetzten Bevölkerung verantwortlich – und müsste rechtlich gesehen finanziell
und administrativ die Fürsorgepflicht übernehmen, die bislang UNRWA geleistet
hat. Im Gazastreifen wird der israelischen Regierung unter der derzeitigen
rechten Koalition seit Beginn des Krieges vorgeworfen, humanitäre Hilfe nicht
ausreichend zuzulassen oder gar zu behindern. Bereits seit Beginn des Krieges
stellt die aktuelle Regierung keine Arbeitsvisa für internationale
Hilfsorganisationen mehr aus. 

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Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Der aktuelle Umgang mit UNRWA in Israel löste auch unter verbündeten Staaten
heftige Kritik aus. In einem Brief vom 13. Oktober forderte US-Außenminister
Anthony Blinken die israelische Regierung dazu auf, mehr humanitäre Hilfe in
den Gazastreifen unter Androhung von Lieferstopps für Waffen zuzulassen und von
der Verabschiedung der kontroversen Gesetzesentwürfe abzusehen. In einer
gemeinsamen Erklärung vom Sonntag forderten sieben Außenminister verbündeter
Staaten, darunter Deutschland und Großbritannien, Israel dazu auf, die
Gesetzesentwürfe nicht zu verabschieden. Die Konsequenzen wären sowohl im
Westjordanland wie auch Gaza „verheerend“, heißt es in der Erklärung. Die Verabschiedung der Gesetze
stellt zudem die Rolle Israels in den Vereinten Nationen infrage, ist es doch
vollwertiges Mitglied der Generalversammlung. UN-Generalsekretär António
Guterres kündigte an, die Angelegenheit vor die Vollversammlung zu bringen. „Die
Umsetzung dieser Gesetze wäre für die Lösung des israelisch-palästinensischen
Konflikts und für den Frieden und die Sicherheit in der gesamten Region
schädlich,“ erklärte er am Dienstag.

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Wer finanziert das Hilfswerk?

Aus dem Budget der Vereinten Nationen erhält das Hilfswerk nur wenige Mittel, die etwa Kosten in der internationalen Verwaltung abdecken. Den Großteil der Arbeit finanzieren Mitgliedsstaaten mit freiwilligen Beiträgen. Größter Geber sind in der Regel die USA, die 2022 fast 344 Millionen US-Dollar bereitstellten. An zweiter Stelle stand 2022 Deutschland mit rund 202 Millionen US-Dollar, gefolgt von der EU (114,2 Millionen US-Dollar), Schweden, Norwegen, Japan und Frankreich. Arabische Staaten beteiligen sich an der Finanzierung des UNRWA nur vergleichsweise sparsam. Erst an achter Stelle der Geber liegt Saudi-Arabien mit 27 Millionen US-Dollar, dann erst wieder auf den Plätzen 19 und 20 folgen Kuwait (12 Millionen US-Dollar) und Katar (10,5 Millionen US-Dollar). Insgesamt kam das UNRWA 2022 auf ein Budget von 1,17 Milliarden US-Dollar.

Mit Material von AFP und dpa

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