Unklare Regulierung: Schwammige Rechtsbegriffe jener EU zeugen Unternehmen dies Leben schwergewichtig

Michael Zillmer blickt mit Sorge auf das kommende Jahr. Denn dann will die Europäische Kommission – Ende 2026 vermutlich – ihr Gesetz für digitale Fairness, den Digital Fairness Act (DFA), auf den Weg bringen. Zillmer ist Mitgründer des deutschen Videospielentwicklers Innogames , der zur schwedischen Modern-Times-Gruppe gehört. Je nach Ausgestaltung des DFA, sagt Zillmer, „würden alle unsere Spiele erst einmal auf einen Schlag gegen geltendes Recht verstoßen“.

Bislang verdient Innogames sein Geld mit Spielen für Internetbrowser und Smartphones. Bekannt ist etwa das Strategiespiel „Forge of Empires“, in dem Spieler eine Zivilisation aus der Steinzeit bis in die Gegenwart und darüber hinaus führen müssen und sich gegenseitig bekämpfen können. Der Einstieg ins Spiel ist kostenlos. Spieler können im Spiel allerdings eine eigene Währung, Diamanten und Vorteile kaufen, um schneller voranzukommen (In-Game-Käufe). Ebenso gibt es Vorteile, wenn Spieler täglich in „Forge of Empires“ aktiv sind.

Das Studio ist eine seltene deutsche Erfolgsgeschichte im Videospielbereich. Der Branchenverband Game ist stets bemüht zu betonen, dass Deutschland nicht nur einer der größten Absatzmärkte im Videospielbereich sein dürfe. 9,4 Milliarden Euro wurden 2024 mit Videospielen in Deutschland umgesetzt. Global kam der Markt auf knapp 190 Milliarden Dollar (rund 165 Milliarden Euro). Von den deutschen Umsätzen verbleibt allerdings nur ein kleiner Teil bei heimischen Spieleentwicklern und Verlegern. Von rund fünf Prozent sprach der Verband in der Vergangenheit.

Was gilt als „Suchterzeugende Gestaltung“?

Innogames meldete im vergangenen Juli, seit seiner Gründung im Jahr 2007 zwei Milliarden Dollar erwirtschaftet zu haben. Geschafft hat der Entwickler das mit seinen kostenlosen Spielen, die in regelmäßigen Abständen und über Jahre gespielt werden, flankiert mit den sogenannten In-Game-Käufen. Diese „machen weit über 90 Prozent unserer Umsätze aus“, sagt Zillmer.

Nach Ansicht der EU-Kommission ist aber genau dieses Geschäftsmodell regulierungsbedürftig. Vorarbeit leistete sie im Gesetz für digitale Dienste (Digital Services Act, DSA), das die Themen digitale Sucht und missbräuchliche Geschäftspraktiken schon anreißt. Mit dem geplanten DFA will die Kommission den Verbraucherschutz genauer ausarbeiten. Angreifen will sie Praktiken wie Alternativwährungen in Spielen, welche die Kosten von digitalen Gegenständen verschleiern, oder „suchterzeugende Mechaniken“ wie Anreize zum wiederholten Spielen.

Immer wieder ist in den Dokumenten des EU-Parlaments, der Kommission und der gemeinsamen Verbraucherschutzorganisation der Mitgliedstaaten von „suchterzeugender Gestaltung“, eingerahmt von Beispielen und Warnungen vor den Gefahren, die Rede. Der Game-Verband kritisiert in einer Stellungnahme zum geplanten DFA: „Hier werden neue unbestimmte Rechtsbegriffe geschaffen, sodass künftig zu klären sein wird, ob eine der genannten Funktionen tatsächlich als ‚süchtig machend‘ einzustufen ist.“

Definitorische Schwächen auch im AI Act

Rechtsanwalt Stephan Schmidt von der Kanzlei TCI beobachtet solche Unklarheiten in EU-Gesetzen schon seit einiger Zeit: „Gefühlt werden EU-Rechtsakte schlechter.“ Schmidt befasst sich unter anderem mit der KI-Verordnung der EU und nennt den im Titel enthaltenen Begriff „Künstliche Intelligenz“ ein Musterbeispiel für die Unschärfe des Gesetzes: „Die KI-Verordnung definiert nicht den Begriff der ‚Künstlichen Intelligenz‘, sondern nur den des ‚KI-Systems‘.“

Schmidt sagt, dass die EU Definitionen zunehmend vom Ergebnis her denkt. „Suchterzeugend gestaltet“ sei laut EU etwa eine Eigenschaft von Produkten und Diensten, die zum Beispiel zu gefährlichem Verhalten oder unterschiedlichen Arten von Sucht führten – eigentlich eine zyklische und damit unsaubere Definition. „Offenbar ist man in Brüssel froh, wenn man sich überhaupt auf einen Text einigen kann. Die Einzelfallentscheidungen will man dann Praktikern, Technikern und den Mitgliedstaaten überlassen“, sagt Schmidt.

Sorgen hierüber zeigten sich auch in der Konsultation zum digitalen Omnibus, dem Reformpaket der EU-Kommission für einige ihrer Digitalgesetze. Im Begleitdokument zum Paket schreibt die Kommission, dass Betroffene immer wieder Begriffsklärungen gefordert hätten. Im Text zum Vorschlag selbst sind deswegen einige neue Definitionen enthalten, vor allem im Bereich Datenschutz.

Unternehmen leisten vorauseilenden Gehorsam

Andere Begriffe werden aber vor Gericht definiert. Solche Prozesse folgen in der Regel einem Muster: Die EU erlässt ein Gesetz, und die Kommission oder ein Mitgliedstaat beginnen nach einer Kulanzzeit mit der Untersuchung eines Unternehmens. Der Fall landet vor Gericht und das Unternehmen muss nachweisen, dass es sich an die neue Regelung hält. Die zahlreichen Klagen gegen amerikanische Digitalunternehmen unter dem Gesetz für digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) sind Beispiele hierfür. Das Gesetz stand schon vor der Verabschiedung in der Kritik, mit unscharfen Begriffen Unternehmen zu zwingen, sich selbst einzuschränken, um möglicherweise drohenden empfindlichen Geldstrafen zu entgehen. So schreibt der DSA sozialen Medien zum Beispiel den Kampf gegen „Desinformation“ vor, lässt aber offen, was genau mit dem Begriff gemeint ist.

Mitunter entscheiden Unternehmen dann, langwierigen Untersuchungen und Gerichtsverfahren aus dem Weg zu gehen – indem sie sich von ganzen Geschäftsteilen verabschieden. Zumindest wenn diese finanziell entbehrlich sind. Dies geschah etwa mit der EU-Verordnung zu politischer Werbung, genannt „Transparency and Targeting of Political Advertising“ (TTPA-Verordnung), die seit Mitte Oktober gilt. Sie erlegt Werbeunternehmen Transparenzpflichten für jegliche Werbung auf, die Einfluss auf die Wahlentscheidung eines potentiellen Empfängers haben könnte.

Auch Handzettel von Bürgerinitiativen betroffen

Ein Handzettel für eine lokale Bürgerinitiative oder eine Bannerwerbung im Internet für eine Wahl müssen demnach beide mit Hinweisen dazu versehen werden, wer die Anzeige bezahlt und welchen Zweck sie hat, wie hoch das Budget ist und aus welchen Quellen es stammt, ob die Finanziers im Lobbyregister verzeichnet sind, welche Gruppen angesprochen und wie oft die Anzeige geschaltet werden soll.

Zwar folgen einige Werbe- und Medienunternehmen den Vorgaben. Zwei der größten – das Suchmaschinenunternehmen Google sowie Meta , Betreiber von Facebook und Instagram – haben jedoch beschlossen, kein Risiko eingehen zu wollen und politische Werbung insgesamt von ihren Plattformen ausschließen zu wollen. Mit der TTPA-Verordnung fielen laut Google viel zu viele Themen in die Kategorie politische Werbung – wobei diese für die Unternehmen nur einen geringen Teil der gesamten Werbeeinnahmen ausmacht.

Rechtsanwalt Stephan Schmidt warnt vor den Folgen eines jeden neuen Gesetzes, das nicht klar formuliert, was erlaubt ist und was nicht. Er spricht von einem „chilling effect“: „Wenn Unternehmen ständig dem Risiko ausgesetzt sind, mit ihren Geschäftsmodellen gegen Regulierung zu verstoßen und deshalb ihr Handeln nicht im Sinne des Gesetzes ändern, sondern insgesamt einstellen, schießt die EU vielleicht mit ihren Rechtsakten über das Ziel hinaus.“ Spieleentwickler Zillmer sagt, dass Innogames im Falle einer restriktiven Gestaltung des DFA in Erwägung zieht, sich auf Märkte außerhalb der EU zu konzentrieren: „Mittelfristig müssten wir uns genau anschauen, ob es überhaupt noch Sinn macht, unsere Spiele in der EU zu betreiben.“