„Und jetzt Gesuch in die Kamera freuen!“ – Die Instrumentalisierung von Armutsbetroffenen
Die Vorweihnachtszeit ist die Zeit der demonstrativen Großzügigkeit: Ja, Geschenke sind schön. Aber wenn Armutsbetroffene dabei instrumentalisiert werden, ist das respektlos. Ein Erfahrungsbericht aus einer Wohlfühl-Spenden-Inszenierung
Zu den Feiertagen wollen besonders viele Menschen spenden
Foto: Lueders/AAPimages/picture alliance
In der Vorweihnachtszeit haben Spendenaufrufe und rührselige Artikel darüber, wie man den Armen hilft, wieder Hochkonjunktur. Vereine, Unternehmen, Kirchen und Privatpersonen rücken Armut für eine kurze Zeit in den Fokus der Öffentlichkeit.
Als meine Tochter noch im Kindergartenalter war, habe ich einmal an einer Wunschaktion für armutsbetroffene Kinder mitgemacht. Man konnte den Wunsch des Kindes bis zu einer Höhe von 15 Euro auf einen vorgefertigten Zettel mit dem Namen des Kindes schreiben und ihn an einen Weihnachtsbaum im Einkaufszentrum hängen. Ein Datum zur Verteilung der Geschenke wurde festgesetzt, zu dem wir in ein von einem Unternehmen betriebenes Café kommen konnten, wo die Ausgabe stattfand. Was ich für eine nette Idee gehalten hatte, wurde zu einer unangenehmen Erfahrung.
Im Kaffee sammelten sich armutsbetroffene Eltern mit Kindern, die genauso unsicher waren wie ich. Wann war ich das letzte Mal in einem Café gewesen? Ich fühlte mich deplatziert und entfremdet, durch meine mangelnde Teilhabe als Arme. Nach den Gesichtern der anderen Betroffenen zu urteilen, war ich damit nicht allein. Ich sah Scham, Unsicherheit, Überforderung, aber keine Freude bei den Erwachsenen.
Auf einmal bemerkte ich die Fotografen
Die vielen Geschenke waren dekorativ aufgestellt unter einem festlich geschmückten Tannenbaum, der Veranstalter und Chef des Unternehmens nahm ein Geschenk nach dem anderen und las den Namen eines Kindes vor. Dies konnte dann nach vorn kommen, um das Päckchen entgegenzunehmen. Im Hintergrund standen etliche Fotografen. Darum ging es also auch. Dass mich niemand darüber aufgeklärt hatte, dass Fotos gemacht wurden, fand ich unangemessen und respektlos.
Wir wurden darauf hingewiesen, dass die Kinder nach dem Auspacken bitte alle noch im Raum bleiben sollten: für ein Gruppenfoto fröhlicher armer Kinder mit Geschenken. Daneben die stolzen Unternehmer, die damit ihr Bild in die Zeitung brachten. Auf Kosten der Armen. Erst jetzt verstand ich, wie sehr diese Weihnachtsaktion, die so schön klang, uns Armutsbetroffene instrumentalisierte. Ein Wohlfühl-Artikel für das gute Gewissen. Es ist nicht so, dass sich die Kinder nicht freuten, auch habe ich nichts dagegen, wenn Menschen mit Geld Armen etwas schenken oder spenden, aber die Erinnerung an dieses Event hinterlässt bis heute ein schales Gefühl,
Sei es „Ein Herz für Kinder“ oder andere Spendengalas: Es ist Inszenierung der Großzügigkeit. Bei manchen ein Trostpflaster fürs schlechte Gewissen. Dafür sind Armutsbetroffene wieder gut genug.
Ohne private Spenden sähe die Armut in Deutschland noch krasser aus
Ja, vor Weihnachten werden Sie vermehrt von Armut lesen, daher bitte ich Sie: Hinterfragen Sie den Zweck dieser Artikel. Geht es darum, Armutsbetroffene dafür zu instrumentalisieren, dass Wahlkampf gemacht wird? Oder zugunsten von Gewissenserleichterung und Wohlfühlstimmung vor Weihnachten?
Ich bin froh darüber, dass Leute helfen wollen und sich kümmern, und ja, ich bin dankbar dafür. Denn ohne die ganzen Privatpersonen, die helfen, sei es im Ehrenamt oder als Spender/in, würden die Auswirkungen der Armut in Deutschland weitaus gravierender sein. Trotzdem ist ein Staat, der sich Sozialstaat nennt, verantwortlich für alle seine Bürger/innen und es ist NICHT die Aufgabe von Privatpersonen, seine Defizite aufzufangen und abzumildern. Ermöglichen wir es dem Staat so nicht sogar, die Verantwortung von sich zu schieben, weil es ja gemeinnützige Vereine gibt, die sich kümmern?
Die Weihnachtszeit belastet Menschen, die aus dysfunktionalen Familien kommen, sie belastet Kranke, Trauernde, Einsame und finanziell Schwache. In Anbetracht der Nullrunde beim Bürgergeld und der kommenden Gesetzesänderungen zur Grundsicherung schauen Betroffene voller Angst und Sorgen aufs nächste Jahr. Was bleibt, ist weiter zu kämpfen, sich nicht unterkriegen zu lassen und darauf zu hoffen, dass vielleicht das Christliche auch irgendwann mal bei uns Armen ankommt. Dass sich mehr Menschen mit Armen solidarisieren und sich für uns einsetzen. Das wünsche ich mir von Herzen.