Umweltschützer trauern vor dem Bundesverfassungsgericht gen Naturschutz

Umweltschützer wollen mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts die Zerstörung der Natur und den Verlust der Artenvielfalt stoppen und den Gesetzgeber zur Wiederherstellung von artenreichen Naturräumen zwingen. Am Dienstagabend habe der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gemeinsam mit seinen Landesverbänden Bayern und Sachsen und mehreren Einzelpersonen Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe erhoben, teilte die stellvertretende BUND-Bundesvorsitzende, Myriam Rapior, am Mittwoch auf einer Pressekonferenz mit. Das Bundesverfassungsgericht soll den Gesetzgeber verpflichten, ein umfassendes gesetzliches Biodiversitätsschutzkonzept vorzulegen.

„Der Biodiversitätsverlust ruiniert die Voraussetzungen menschenrechtlicher Freiheit wie Leben, Gesundheit und ­Ernährungssicherheit“, begründete Prozessvertreter Felix Ekardt von der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig die Naturschutzklage. Man gehe damit einen „weltweit einmaligen“ Schritt. Wenn die Politik nicht endlich handele, werde Naturschutz nur noch mit massiven Freiheitseingriffen möglich sein, mahnte der Rechtswissenschaftler. Grundsätzlich sei es Aufgabe der Parlamente, Freiheiten in Ausgleich zu bringen. Aber wie schon bei den Freiheitsbedrohungen durch den Klimawandel müsse das Bundesverfassungsgericht nun auch angesichts des Artensterbens und der Vernichtung von Ökosystemen dafür sorgen, „dass Politik nicht zu zukunftsvergessen ist“.

Wichtig für Klimaschutz

Das Problem sei „viel größer und drastischer als der Klimawandel“, sagte Ekardt. Denn ohne intakte Ökosysteme sei die menschliche Existenz langfristig bedroht. Es bestehe ein „untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und dem Biodiversitätsschutz“, heißt es in der Klageschrift. So sei etwa Bestäubung unerlässlich für die Lebensmittelproduktion. Mehr als drei Viertel der angebauten Nutzpflanzen seien auf Bestäuber aus dem Tierreich angewiesen. In dem Maße, wie derartige, für den Menschen existenzielle Leistungen der Natur in Gefahr gerieten, drohe auch eine Verletzung des „ökologischen Existenzminimums“.

Wollen klagen:
  Franziska Heß, Felix Ekardt und Myriam Rapior
Wollen klagen:
Franziska Heß, Felix Ekardt und Myriam Rapior
Imago

Die Umweltschützer verweisen außer­dem auf den Zusammenhang von Natur- und Klimaschutz. Je stärker der Klimawandel voranschreite, desto wichtiger würden gesunde Wälder und wieder­vernässte Moore, um Treibhausgase zu speichern. Aus der grund- und menschenrechtlichen Verpflichtung zum Klimaschutz, die in den vergangenen Jahren von verschiedenen Gerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkannt worden sei, ergebe sich auch eine Verpflichtung zum Naturschutz, argumentieren die Umweltschützer.

Lasten gerecht über die Zeit verteilen

Vorbild für die Naturschutzklage ist denn auch die in Teilen erfolgreiche Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Karlsruher Gericht hatte den Gesetzgeber 2021 zu Nachbesserungen des Bundesklimaschutzgesetzes verpflichtet. Eine Beschwerdebefugnis der Umweltverbände hatte Karlsruhe damals allerdings, anders als bei den klagenden Privatpersonen, nicht anerkannt. Der BUND hofft, dass das Gericht nun bei der Naturschutzklage weniger restriktiv ist.

Es gibt aber noch weitere Hürden. Ein Unterlassen des Gesetzgebers kann nach der Karlsruher Rechtsprechung nur bei völliger Untätigkeit gerügt werden. Doch gibt es etliche nationale und europäische Regelungen zum Naturschutz. Hinzu kommen Hunderte von Instrumenten und Verträgen, die sich auf Ebene des Völkerrechts mit Fragen der biologischen Vielfalt befassten. Aus alldem ergibt sich aus Sicht der Umweltschützer aber kein umfassendes und ausreichendes gesetzliches Schutzkonzept. Auch die Anfor­derungen des neuen EU-Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur seien zu schwach. Außerdem bleibe der Politik mit Fristen bis 2050 zu viel Zeit, Schäden an der Natur zu beheben. Die laufenden Verhandlungen in Cali zur Umsetzung des Weltnaturschutzabkommens von 2022 reichten ebenfalls nicht, weil das Abkommen nicht rechtsverbindlich sei.

Die Umweltschützer gestehen zu, dass Naturzerstörung ein globales Phänomen sei und das Aussterben von Tieren und Pflanzen damit nicht allein vom deutschen Staat aufgehalten werden könne. Ein eigener Beitrag Deutschlands sei deswegen aber weder unmöglich noch überflüssig. So habe das Bundesverfassungsgericht dargelegt, dass auch der globale Charakter des Klimawandels nichts daran ändere, dass der deutschen Gesetzgeber handeln müsse.

Die Umweltschützer erwarten nicht, dass das Karlsruher Gericht der Politik detaillierte inhaltliche Vorgaben zum Naturschutz macht. Aber gewisse Grundanforderungen skizzieren sie schon. Unabdingbar sei, dass naturschädigenden Handlungen umfassend und wirksam begegnet werde, vor allem im Agrar-, Energie- und Verkehrsbereich. Dem Gesetzgeber müsse aufgegeben werden, klare Vorgaben zu machen – auch dazu, wie die Lasten des Naturschutzes gerecht über die Zeit zu verteilen seien.