Ukrainekrieg: Putins neue Söldner aus Nordkorea
„Sie kommen“, sagt der Mann in dem Handyvideo, wahrscheinlich ein russischer Soldat. „Oh, da sind mehr!“ Durch einen Stacheldraht filmt das Handy ostasiatisch aussehende Männer, die sich gerade, so lokalisiert es jedenfalls der Sender CNN, auf dem russischen Übungsplatz Sergejewka im Dreiländereck zwischen Russland, China und Nordkorea einfinden. Verbreitet werden die Aufnahmen von Quellen, die der Regierung in Kiew nahestehen.
Ein zweites Video stammt aus einem Saal, wahrscheinlich in einer Kaserne: Dutzende ostasiatischer Rekruten in russischen Uniformen, die Ausrüstung ausgehändigt bekommen. Schuhe, Schlafsäcke, Handschuhe. „Pack zusammen“, hörten Experten auf Koreanisch heraus, „steht enger beisammen“. Nach Angaben des südkoreanischen Geheimdiensts sind mittlerweile 3000 nordkoreanische Soldaten in Russland. Erste Truppenteile sollen in den Raum Kursk verlegt worden sein. Der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin spricht von einer „sehr ernsten“ Eskalation.
Lange Zeit war Nordkorea weitgehend isoliert, nicht nur im Westen. Auch Russland zeigte Pjöngjang über Jahre die kalte Schulter. Präsident Wladimir Putins Verachtung für das Regime war bekannt. Noch während Putins eigener Geheimdienstzeit stufte der KGB Nordkorea als feindlichen Staat ein. Alles hat sich mit Putins Überfall auf die Ukraine geändert. Das Regime wird nun gebraucht.
Wechselseitige Verachtung zwischen Russland und Nordkorea
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs hatte Moskau nordkoreanische Avancen abgelehnt, die Militärhilfen eingestellt und sogar diplomatische Beziehungen zu Südkorea aufgenommen. Im UN-Sicherheitsrat stimmte es sogar an der Seite Chinas für Sanktionen gegen Pjöngjangs Atomwaffenprogramm. Daran änderte sich auch nichts, als Nordkorea 2014 die annektierte Krim als russisches Staatsgebiet anerkannte, in der Hoffnung, dafür etwas zu bekommen.
Die Verachtung war wechselseitig. 2021 düpierte das nordkoreanische Regime den russischen Botschafter und dessen Diplomaten, als sie Nordkorea zur Corona-Pandemie nicht mit dem Flugzeug oder der Eisenbahn, sondern auf einer mit Handkurbel betriebenen Draisine verlassen mussten. Das war eine öffentliche Erniedrigung durch Kim Jong-un.
Erst Putins Überfall bescherte Pjöngjang so etwas wie einen unerwarteten Lottogewinn. Die Invasion verlief nicht wie von Moskau erhofft, und Pjöngjang witterte früh die Gelegenheit, sich Russland als Partner und Rüstungslieferant anzudienen. Es hoffte so, bestehende Sanktionen unterlaufen zu können, mit Technik, Energieträgern und Nahrung beliefert zu werden, und, in alter nordkoreanischer Tradition, die Beziehungen zum Nachbarland China auszubalancieren.
Die Absichten Pjöngjangs haben sich grundsätzlich kaum geändert. Als übergeordnetes strategisches Ziel Nordkoreas gilt seit jeher der Regimeerhalt, den es an den Besitz wirkungsvoller Nuklearwaffen knüpft, über deren Abschaffung Pjöngjang heute nicht mehr verhandelt. Unmittelbares Ziel der nordkoreanischen Diplomatie ist aber die Abschwächung des internationalen Sanktionsregimes.
Zu diesem Zweck hatte Kim 2019 mit dem damaligen Präsidenten Donald Trump über eine Normalisierung der Beziehungen mit den USA verhandelt, genauer: über Sanktionserleichterungen gegen den Rückbau von Nuklearanlagen. Der Gipfel mit Trump scheiterte spektakulär. Nordkorea war isoliert, und auch Russland zeigte sich weiter hartleibig.
Jetzt unterstützt Russland Nordkorea bei den UN
Bis Putin Munition für seinen Krieg in der Ukraine brauchte. Seit zwei Jahren kauft Moskau in Pjöngjang ein. Der südkoreanische Geheimdienst beziffert die Lieferungen auf mittlerweile acht Millionen Geschosse, darunter sind maßgeblich Artilleriemunition, die Russland für seine Sturmangriffe auf ukrainische Stellungen benötigt. Wie viel Geld Nordkorea dafür erhält, ist Gegenstand von Spekulationen, womöglich mehrere 100 Millionen Dollar. Vor allem aber erreichte Nordkorea, was es in Jahren der Verhandlungen mit dem Westen nicht bekam: eine Erosion des Sanktionsregimes. Russland stimmt im UN-Sicherheitsrat gegen neue Maßnahmen und unterläuft bestehende Sanktionen durch Lieferungen aller Art.
Seit einem Jahr liefert Nordkorea den Russen zudem ballistische Kurzstreckenraketen, für deren Wartung Pjöngjang eigene Techniker nach Russland und, so der südkoreanische Geheimdienst, auch direkt an die Front schickt: etwa den General und Raketenexperten Kim Jong-sik, stellvertretender Direktor der Abteilung für Rüstungsindustrie im Zentralkomitee der Arbeiterpartei.
Im dritten Kriegsjahr folgen nun nordkoreanische Truppen. Noch gibt es keine Belege dafür, ob und wo sie im Kampf eingesetzt werden. Südkoreas Geheimdienst spricht von Planungen, dass bis Dezember zunächst 10.000 Soldaten eingesetzt werden. Viele gehören demnach zu Nordkoreas Spezialkräften.
„Kanonenfutter-Söldner“ für Putin
„Wenn man sich anschaut, welche Art von Soldaten Russland gegen die Ukraine einsetzt, sind Sturmtruppen genau das, was Putin braucht“, sagt Fyodor Tertitskiy, Experte für nordkoreanische Streitkräfte in der Kookmin-Universität in Seoul. Tertitskiy nennt im Gespräch mit der F.A.S das 11. Korps der nordkoreanischen Streitkräfte, das ursprünglich aus leichter Infanterie gebildet wurde und heute Zentrum der Spezialeinheiten ist. Es kursiere die These, dass es sich bei den Soldaten „um eine Art neue Wagner-Gruppe handelt“, sagt Tertitskiy.
Zwar glaube auch er nicht, dass die Nordkoreaner auf dem Schlachtfeld einen großen Unterschied ausmachen. Doch wenn man bedenkt, „dass die Geldbeträge in Russland immer obszöner werden für Russen, die sich freiwillig melden, dann scheint Putin wirklich Soldaten zu brauchen“. Südkoreas Verteidigungsminister Kim Yong-hyun bezeichnet die nordkoreanischen Truppen neuerdings als „Kanonenfutter-Söldner“, die „mit einer russischen Uniform getarnt und unter russischem Militärkommando handeln, ohne jegliche operative Befugnis“. Nordkorea-Experte Tertitskiy glaubt: „Für Putin erscheint das alles sehr sinnvoll – das Kalkül Pjönjangs lässt mich allerdings ratlos zurück.“
Für das nordkoreanische Regime sei es untypisch, Einheiten ins Ausland zu schicken. „Sie haben Angst vor einer ideologischen Verseuchung dieser Menschen“, sagt Tertitskiy. Aus dem südkoreanischen Geheimdienst kommen Berichte, dass die nordkoreanischen Behörden die Familien der nach Russland verlegten Soldaten umsiedeln und isolieren, „um sie wirksam zu kontrollieren“. Druck auf die Familien dient auch dazu, das Desertieren zu verhindern.
Kim setzt seit Jahren auf immer mehr Abschottung seines Volkes vor ausländischen Kontakten und Einflüssen. Aber nicht nur mit der Verlegung von Truppen geht er Risiken ein. Radarbilder zeigen russische Schiffe in nordkoreanischen Häfen. Vier Landungsschiffe und drei Fregatten sollen die Soldaten abgeholt haben. Damit wäre die russische Kriegsmarine zum ersten Mal seit 34 Jahren wieder in nordkoreanische Gewässer gefahren. Es ist ein weiterer Hinweis darauf, wie eng die militärischen Verbindungen der beiden Regime geworden sind.
Wenn Kim Jong-un etwas Größeres unternimmt, dann weil ihn etwas im eigenen Land bewege, sagt ein anderer Pjöngjang-Kenner. Südkoreas Wiedervereinigungsminister Kim Yung-ho etwa berichtete der F.A.S. von einer wachsenden Unzufriedenheit und sinkender Stabilität des Regimes: Zeichen dafür seien neue harte Strafen auch für kleine Vergehen, etwa für das Anschauen südkoreanischer Videoserien. Hinrichtungen nehmen zu.
Der „Gorilla“ hinter Kiew
Das Institut für Sicherheitsstudien (INSS) in Seoul geht in einer neuen Analyse davon aus, dass die Entsendung eigener Truppen und das „Injizieren von Kriegsspannungen“ der Festigung des nordkoreanischen Regimes und des inneren Zusammenhalts diene. Nordkoreas Staatsmedien erklären ihrem Volk den Krieg in Russland und der Ukraine als Konfrontation zwischen dem „sozialistischen“ und dem „kapitalistischen“ Lager. Hinter der Ukraine stünden die USA als „Hauptfeind“ sowie Südkorea als „Gorilla“. Das Regimeblatt „Rodong Sinmun“ schreibt von einem „neuen Kalten Krieg“. Für den INSS ist das eine „bemerkenswerte Strategie zur Steuerung der Bevölkerung“. Pjöngjang gebe vor, ein „Kriegsregime“ und die „totalitäre Einheit“ seien nötig, um in diesen Zeiten des neuen Kalten Krieges zu überleben.
Übereinstimmenden Angaben zufolge erhält Pjöngjang aus Russland neben Geld auch Maschinen, Nahrungsmittel und Energieträger. Aber Kim verlangt mehr. „Sie wollen definitiv etwas für die Luftwaffe“, sagt Tertitskiy. Bislang halte sich der Kreml hier aber zurück, trotz nordkoreanischen Antichambrierens bei fast allen russischen Institutionen mit Bezug zur Luftwaffe. Das liegt auch an China.
Peking sieht Nordkorea als Pufferzone zum amerikanischen Verbündeten Südkorea und strebt einen Abzug der amerikanischen Truppen aus der Region an. Dafür ist Stabilität auf der koreanischen Halbinsel das von China erklärte Ziel. „Xi Jinping will nicht, dass die Russen den Nordkoreanern Atomwaffen oder ballistische Raketen geben“, sagt Tertitskiy. „Und Putin wird keine andere Wahl haben, als dem nachzukommen.“ Denn ohne Pekings Unterstützung der russischen Kriegswirtschaft könnte Moskaus Invasion in sich zusammenfallen.
Pjöngjangs Truppenhilfe für Putin könnte also die nordkoreanische Verhandlungsmöglichkeiten verbessern, sie habe aber nach Einschätzung von Fachleuten auch finanzielle Hintergründe. Nach Angaben aus dem südkoreanischen Geheimdienst erhält jeder nordkoreanische Soldat in Russland umgerechnet 2000 Dollar im Monat. Das ist eine kaum vorstellbare Summe im Vergleich zum kümmerlichen Sold in Nordkorea.
Das meiste Geld dürfte das Regime einbehalten, so, wie es das bei den nordkoreanischen Fremdarbeitern macht, die es seit vielen Jahren etwa in China und Russland einsetzt. 2000 Dollar mal 10.000 Soldaten wären zwanzig Millionen Dollar jeden Monat – viel Geld, das Nordkorea, in den Ausbau des Nuklearprogramms stecken kann.
Praktische Erfahrungen für das Militär
Die Entfremdung von China habe Nordkorea weitgehend von der Möglichkeit abgeschnitten, Devisen zu erwirtschaften, heißt es in der neuesten INSS-Analyse in Seoul. Pjöngjang habe keine andere Wahl, als zu versuchen, die Austauschkanäle mit Russland so weit wie möglich auszubauen. „Die realistischste Möglichkeit besteht darin, den russisch-ukrainischen Krieg auszunutzen, um ein Maximum an wirtschaftlicher Unterstützung von Russland zu erhalten.“ Zudem könne das nordkoreanische Militär praktische Erfahrungen sammeln. Seit das damalige Regime von Kim Il-sung mit Zustimmung der Sowjetunion 1950 Südkorea überfiel, hat Nordkorea an keinen größeren Schlachten teilgenommen.
In Seoul geht man davon aus, dass die Gespräche über eine Stationierung nordkoreanischer Truppen kurz nach dem Besuch des Sekretärs des russischen Sicherheitsrats, Sergej Schojgu, in Nordkorea im September begannen. Dem vorausgegangen war im Juni die Visite Putins in Pjöngjang, wo er mit Kim Jong-un einen Vertrag über eine strategische Partnerschaft unterzeichnete. Im öffentlichen Teil sieht der vor, dass Nordkorea und Russland im Angriffsfall einander unverzüglich militärische Hilfe leisten.
Was Kim Jong-uns Truppen auf dem Schlachtfeld können, bleibt unklar. Mindestens acht Jahre dauert der Wehrdienst in Nordkorea, mehr als eine Million Mann stehen unter Waffen. Überläufer berichten, dass die Armee unter Mangelernährung, Korruption und Materialknappheit leide. Abgesehen vom Atomwaffenprogramm sei Nordkoreas Verteidigungskraft schwer zu messen, heißt es im INSS. Südkorea schickt nun eigene Vertreter der militärischen Aufklärung nach Kiew. „Sie hoffen, dass sie dort nordkoreanische Gefangene verhören können“, sagt Tertitskiy. “
Source: faz.net