Ukraine: Mit Video-Spielen so tun als ob Drohnen-Piloten den Einsatz an welcher Front
In einem warmen, mit Holz ausgekleideten Bunker ist es die Aufgabe von Dmytro, die Drohnen-Crews an der Front zu überwachen und zu unterstützen. Etwa ein Dutzend Video-Feeds kommen auf seinem Bildschirm an und zeigen einen heiß umkämpften Frontabschnitt, der sich von Pokrowsk bis zu einer Gegend 50 Meilen östlich der Stadt Saporischschja hinzieht.
Der 33-Jährige gehört zum 3. Drohnen-Bataillon, einer Spezialeinheit, die erst 2024 gebildet wurde. Er geht die Feeds auf dem ukrainischen Schlachtfeld-Delta-System durch und öffnet sie nacheinander. Die körnigen Bilder werden von FPV-Drohnen (First Person View, deutsch: wie aus Pilotensicht) geschickt. Qualitativ bessere Aufnahmen mit Höhen- und Geschwindigkeitsangaben liefern die kommerziellen Mavic-Drohnen.
Als dritte Kategorie überwacht Dmytro Bomben-Drohnen, deren Munition grün markiert ist – ein Anblick, wie er für die gesamte ukrainische Front typisch ist. Allerdings weisen Dmytro und sein Kommandeur Kostja darauf hin, dass ihr Gelände besondere Gegebenheiten aufweise. Es sei nicht so leicht zu verteidigen wie andere Gegenden der Region Donezk mit ihren Städten, riesigen Abraumhalden und Schlackenhaufen. Wo die Oblasten Dnjepropetrowsk und Saporischschja aufeinandertreffen, breitet sich flaches Ackerland, durchsetzt mit zerstörten und verlassenen Dörfern.
Russische Soldaten sind für Drohnen-Crews leicht zu erkennen
Während es das erklärte Ziel Russlands ist, ganz Donezk einzunehmen, sei es mit diplomatischen oder militärischen Mitteln, hat genau hier die Frontlinie zuletzt nachgegeben. „Die geografischen Bedingungen erschweren die Verteidigung“, erklärt Kostja. „Es gibt viele Felder, und wenn wir unseren Höhenvorteil verlieren, müssen wir uns kilometerweit zurückziehen.“
Ein russischer Angriff östlich der Stadt Huljajpole habe sie überrascht. Seit 2022 wurde die Frontlinie in diesem Gebiet durch die mittlerweile erkennbar kriegsmüde 102. Territorialverteidigungsbrigade gehalten, rekrutiert aus westukrainischen Soldaten, die dem jähen Druck der russischen Armee nicht standhalten konnten. Ein Bataillon zog sich vollständig zurück, sodass ein Streifen von knapp zehn Kilometern verloren ging.
Die momentanen Schwierigkeiten gingen zum Teil auf die intensive Verteidigung im Osten zurück, erklärte Serhii Kuzan, Vorsitzender des ukrainischen Sicherheits- und Kooperationszentrums. „Wegen der hohen Konzentration von Streitkräften in Pokrowsk und Myrnohrad waren die Reserven erschöpft. Das hat die russische Offensive ermöglicht. Mittlerweile wurden Truppen des 225. Sturmregiments mit dem Ziel disloziert, die Lage bis Ende Dezember zu stabilisieren.“
Zuletzt gab es einen Tag, an dem wir sieben Russen getötet und drei verwundet haben. Ein üblicher, normaler, guter Tag
Obwohl die ukrainischen Mavic-Drohnen über außergewöhnliche Aufklärungsfähigkeiten verfügen und erfahrene Drohnen-Piloten Bewegungen aus einer Entfernung von mehreren hundert Metern erkennen könnten, sei es dem Gegner immer wieder gelungen, den in dieser Jahreszeit häufigen Nebel auszunutzen. „Sie nutzen die schlechte Sicht aufgrund der Witterung aus“, meint Serhii Kuzan, „und greifen mit 250 Kilogramm schweren Gleitbomben an.“
Die kann die russische Luftwaffe aus einer Entfernung von 80 bis 120 Kilometern abfeuern und damit außerhalb der Reichweite ukrainischer Luft-Luft-Raketen, die Ziele in der Luft treffen können. Flugzeuge und Raketen können zwar auf dem Radar verfolgt, aber oft nicht erreicht werden, weil innerhalb von vier Minuten gehandelt werden muss. So bleibt nur die Möglichkeit elektronischer Gegenmaßnahmen, um die Flugbahn zu beeinflussen, was nach Schätzung ukrainischer Militärs in 70 Prozent der Fälle funktioniert.
Bei klarem Wetter arbeiten die Drohnen-Crews pausenlos. Russische Soldaten marschieren einzeln oder zu zweit zu festgelegten Punkten vor. Um den tödlichen Drohnen am Himmel zu entkommen, haben sie oft nur wenig Essen und Wasser dabei, manchmal sogar keine Waffen, die sie später nachholen, wenn sie überleben. Bei klarem Wetter sind sie auf dem flachen Gelände und wegen des fehlenden Laubwerks der Bäume jedoch häufig leicht zu erkennen.
Die Realität des Krieges: Freude am Töten
Der 29-jährige Maxim und der 24-jährige Serhii sind vor fünf Tagen von der Front zurückgekehrt, wo sie Teil einer gemischten Crew aus FPV- und Mavic-Piloten waren. Jetzt sollen sie sich während einer Ruhephase erholen. Maxim beschäftigt sich mit dem Videospiel „Stalker 2: Heart of Tschernobyl“, einem postapokalyptischen Shooter, der in der Sperrzone rund um das zerstörte Kernkraftwerk spielt. Suggeriert das Parallelen zur Front, wie er sie kennt? „Es hilft uns, unseren Job zu machen“, sagt er lächelnd. „Wenn man einen Jet in einem Kriegsspiel fliegt, ist das praktisch so, als wenn man eine Mavic steuert, eine gute Übung.“
Am Einsatzort hängen die Ruhezeiten der Piloten von der Intensität der russischen Aktivitäten ab. „Es ist immer möglich, 15 Minuten zu schlafen, und dann ist man wieder fit“, behauptet Maxim. FPV- wie auch Mavic-Drohnen haben eine Akkulaufzeit von bis zu 20 Minuten. Sie verfügen über eine Reichweite von bis zu 15 oder bis zu 29 Kilometern, wenn sie von einer „Mutterdrohne“ gestartet werden, die auch als Repeater dient.
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Wenn man sie fragt, haben die Piloten Mühe, sich an ihren letzten Einsatz zu erinnern, aber dann hellt sich Maxims Miene auf: „Zuletzt gab es einen Tag, an dem wir sieben Russen getötet und drei verwundet haben.“ Das sei „ein üblicher, normaler, guter Tag“ gewesen. Wie fühlt es sich an, gegnerische Soldaten zu töten? „Wir fühlen Freude, wenn wir einen Feind getötet haben“, erklärt er. Das sei die Realität des Krieges. Die Statistiken sind erschreckend. Im November meldete das 423. Bataillon, dass es 418 russische Soldaten ausgeschaltet habe. Auch andere ukrainische Drohnen-Einheiten, geben ihre Zahlen öffentlich bekannt. Inzwischen ist dieser „Body Count“ Teil eines Punktesystems. Wer die meisten Feinde getötet hat, erhält zusätzliche Vorräte.
Der Einsatz von Drohnen sei für 60 Prozent der Verluste des Feindes verantwortlich, resümiert Oleksandr Syrskyj, Oberster Befehlshaber der ukrainischen Armee. Es seien im November täglich 10.000 Drohnen-Einsätze gesteuert worden. Vitaly Hersak, Kommandant einer Drohnen-Einheit in der Nähe von Saporischschja, betont, dass sein Bataillon erst im November aufgestellt wurde und zeige, welches Gewicht diese Art von Kriegsführung inzwischen habe. Hersak behauptet, man könne „pro Monat anderthalb Bataillone des Feindes zerstören“.
Das klingt übertrieben, liegt aber auch nicht völlig daneben. Nur ändert das an der Kriegslage nicht allzu viel, da Russland über unbegrenzte Reserven zu verfügen scheint, „während die Ukraine im Grunde genommen keine Infanterie mehr hat, was es schwieriger macht, bestimmte Abschnitte der Front zu halten“, räumt Vitaly Hersak ein.
Wie lange können sie noch durchhalten? „Ich glaube, sechs Monate“
An der Front weiter östlich fragen sich zwei erfahrene Drohnen-Piloten des Da Vinci Wolves-Bataillons im Raum Dnjepropetrowsk, wie lange sie die Verteidigung mit der erforderlichen Intensität noch aufrechterhalten können. Wie viele Feinde haben sie getötet?
Beide schauen sich an, sie vermögen es nicht genau zu sagen, wissen aber laut der offiziellen Zahlen, dass der erfolgreichste Pilot der Einheit mehr als 400 Abschüsse erzielt hat. „Ich glaube, ich könnte es noch weitere sechs Monate durchhalten– mehr nicht“, sagt einer, obwohl der Krieg durchaus noch länger dauern könnte. Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass man den Widerstand aufgeben will, obwohl eine aktive Verteidigung neue Piloten und längere Pausen bei den vorhandenen erfordert.
Sascha, Deckname „Lego“, ist 23 Jahre alt und lernt gerade, wie man FPV-Drohnen fliegt. Er habe sich vor drei Monaten gemeldet und es seinem Vater erst erzählt, „kurz bevor ich in den Zug an die Front einstieg, um eine langwierige Familiendiskussion zu vermeiden“. Der leise sprechende junge Mann weiß nicht, was ihm bevorsteht. „Ich war noch nicht im Einsatz, aber es gab einen Moment, in dem mir klar wurde: Ich kann nicht einfach herumsitzen, nichts tun und nur leben.“
Sascha will die laufenden Friedensverhandlungen nicht kommentieren. Stattdessen sagt er nur, für die Ukraine stehe „an erster Stelle, einfach zu überleben“.