Ukraine-Krieg: Zeichen jener Hoffnung in Berlin

Unter anderen Umständen wäre es Stoff für Hollywood gewesen: Ein amerikanischer Immobilienmilliardär, ein fast 70 Jahre alter Kumpel des Präsidenten, sitzt an einem Sonntagabend im „Kleinen Kabinettssaal“ des Kanzleramts. Im Schlepptau hat er den Schwiegersohn des Präsidenten. Die beiden sind am dritten Advent nach Berlin gereist, um mit dem ukrainischen Präsidenten über Frieden zu verhandeln. Der Kanzler sagt ein paar Sätze, zieht sich aber bald in sein Büro zurück. Zeitweise ist sein außenpolitischer Chefberater dabei.
Aber das ist nicht Hollywood, sondern Wirklichkeit. Steve Witkoff und Jared Kushner sind nach Berlin gekommen, um mit Selenskyj darüber zu sprechen, wie der Krieg in der Ukraine beendet werden kann – und offenbar ist in ihren Gesprächen am Montag einiges gelungen. Selenskyj jedenfalls sagte nach dem Abschluss der Verhandlungen auf dem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin, die Gespräche seien „sehr wichtig“ und „sehr produktiv“ gewesen. Man habe „viele Details“ besprochen.
Wie die F.A.Z. unmittelbar nach den Verhandlungen erfuhr, hat es vor allem in der Frage, welche Sicherheitsgarantien die Ukraine im Falle eines Waffenstillstands bekommen sollte, große Fortschritte gegeben. Die Unterhändler der Vereinigten Staaten haben offenbar große Bereitschaft zu weitgehenden und rechtlich bindenden materiellen Beiträgen signalisiert. Von fundamentalen Fortschritten ist die Rede.
Europäer wollen das Schlimmste verhindern
Der deutschen Seite war es zunächst vor allem um Schadensbegrenzung gegangen. Bevor der amerikanische Präsident Donald Trump und der russische Präsident Wladimir Putin über die Köpfe der Ukrainer und Europas hinweg Tatsachen schaffen würden, wollte man sich unterhaken, um das Schlimmste zu verhindern. Für den Montagabend hatte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nicht nur alle europäischen Präsidenten und Regierungschefs von Rang und Namen zum Dinner nach Berlin eingeladen, sondern NATO-Generalsekretär Mark Rutte und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch dazu.
In der Nacht zum Montag waren von amerikanischer und ukrainischer Seite erste Zeichen der Annäherung gekommen. Witkoff schrieb auf der Plattform X, man habe „eine Menge Fortschritte gemacht“. Er fügte hinzu, man habe vertieft über „den 20-Punkte-Plan“ gesprochen. Das könnte ein Zeichen dafür sein, dass Amerika seinen ursprünglichen „28-Punkte-Plan“, den die ukrainische Führung, die Bundesregierung und viele andere europäische Regierungen als zu russlandfreundlich abgelehnt hatten, nicht mehr als Verhandlungsgrundlage betrachten.
Vor allem in Bezug auf die Sicherheitsgarantien, die nach Ansicht der Ukraine und der Bundesregierung eine Kernvoraussetzung für einen Waffenstillstand wären, schienen sich Amerikaner und Ukrainer näher gekommen zu sein. Selenskyj hatte vor dem Treffen gesagt, sein Land könne vorläufig darauf verzichten, der NATO beizutreten, aber dafür brauche man Garantien, die dem Beistandsartikel der Allianz ähnlich wären. Vor allem müssten sie vom amerikanischen Kongress ratifiziert werden. Damit wäre es ein wenig wahrscheinlicher, dass Amerika sich auch in fernerer Zukunft, unter den Nachfolgern Trumps, an die Garantien von heute gebunden fühlt.
An dieser Stelle nun könnte einem Bericht der amerikanischen Nachrichtenwebsite Axios zufolge Bewegung möglich sein. Das Portal zitierte amerikanische Regierungsvertreter mit den Worten, man wolle den Ukrainern „eine Garantie geben, die einerseits kein Blankoscheck ist, andererseits aber stark genug ist“. Man sei „bereit, das dem Kongress zur Abstimmung vorzulegen“. Damit schien es möglich, dass eine ukrainische Kernforderung erfüllt wird.
Vorsichtiger Optimismus in Berlin
Die Bundesregierung signalisierte schon am Montagmittag vorsichtigen Optimismus. Regierungssprecher Stefan Kornelius sagte, die letzten Treffen seien „insgesamt eine sehr erfolgreiche Begegnung“ gewesen. In Anspielung auf die regelmäßigen Kehrtwenden des amerikanischen Präsidenten fügte er hinzu, man könne sehen, dass sich „die Bemühungen um einen Waffenstillstand in der Ukraine mit großen Pendelschlägen bewegen“. Deutschlands Ziel sei es jetzt, „diese Ausschläge zu reduzieren und vielleicht einen Korridor zu finden, auf den man sich einigen kann“, um so gemeinsam mit „dem Aggressor, mit Russland“, zu verhandeln.
Er sei sich sicher, dass auch Amerika diese „Chance“ ergreifen werde, „um anschließend auch gegenüber Russland die Position Europas und der Ukraine“ einzubringen. Es gehe jetzt „um die Frage von Territorium, um die Frage von Sicherheiten“. Vor allem das Thema Sicherheit werde „am Ende darüber entscheiden, ob dieser Krieg tatsächlich zu einem Stillstand kommt“. Deutschland wolle auch klarmachen, dass in der Ukraine „kerneuropäische Interessen auf dem Spiel stehen“.
Da war allerdings noch offen, ob Witkoff und Kushner sich entschließen würden, die europäisch-ukrainische Position durch eine Teilnahme am für den Abend geplanten europäischen Gipfeltreffen aufzuwerten. „Die Einladung besteht“, sagte Kornelius. „Selbstverständlich sind auch die amerikanischen Gäste dazu eingeladen.“ Am Nachmittag zeigte sich dann: Die beiden würden bleiben.
Doch gibt es nach wie vor auch Zweifel am amerikanischen Verbündeten. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zum Beispiel sagte am Sonntagabend im ZDF, es sei „alles andere als ideal“, dass an den Verhandlungen auf amerikanischer Seite nur die Geschäftsleute Witkoff und Kushner teilnähmen. Man könne aber nur mit denen tanzen, „die auf der Tanzfläche sind“. Moskau gegenüber müsse man eine „knallharte Linie“ fahren und die im Westen eingefrorenen russischen Zentralbankguthaben für die Ukraine nutzen.
Am Donnerstag geht es um die weitere Ukraine-Hilfe
Das war der Hinweis auf den Tag dieser Woche, der noch wichtiger werden könnte als Sonntag und Montag. Am Donnerstag will Merz auf dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs durchsetzen, dass die in Europa eingefrorenen russischen Milliarden für die Ukraine genutzt werden können. Berlin betrachtet diese etwa 210 Milliarden Euro als den wichtigsten Hebel der Europäer im Ringen um die Zukunft des Kontinents. Äußerungen aus Amerika und Russland lassen allerdings vermuten, dass Witkoff, Kushner und ihre russischen Kontaktleute nach Wegen suchen, den Europäern diese Mittel aus der Hand zu nehmen, und das hat in Berlin viele irritiert.
In der Bundesregierung hieß es vor den Treffen vom Wochenende jedenfalls, hier gehe es „um unsere Sicherheit und um Europas Souveränität“. Dazu gehöre, „dass wir Europäer selbst entscheiden, was mit dem eingefrorenen russischen Geld passiert“. Hier gebe es „keine Option B“, und deshalb setze man alles dran, um beim europäischen Gipfel den Widerstand Belgiens und anderer Länder gegen die Nutzung dieses Geldes für die Ukraine zu überwinden. Die Folgen eines Scheiterns werden mit dramatischen Worten geschildert. „Wenn es nicht klappt, wird das ein desaströses Signal,“ sagte ein Regierungsvertreter. „Wir Europäer haben den Anspruch ein geopolitischer Akteur zu sein. Wenn wir unsere eigenen Sicherheitsinteressen nicht zur Geltung bringen, ist das auch eine Entscheidung über die Zukunft Europas.“
Das Treffen in Berlin am Sonntag und Montag war allerdings nicht nur eine Demonstration europäischer Entschlossenheit. Merz hatte zuletzt mehrmals gesagt, wenn die Amerikaner schon nichts mit der EU anfangen könnten, sollten sie sich doch an Deutschland wenden. Daran konnte man denken, als die Bundesregierung am Montagmittag eine deutsche Initiative präsentierte. Wie die F.A.Z. aus Regierungskreisen erfuhr, handelt es sich um einen Zehn-Punkte-Plan zur Stärkung der deutsch-ukrainischen Rüstungszusammenarbeit.
Neben einer engeren Abstimmung durch „hochrangige rüstungspolitische Konsultationen“, neuen Verbindungsbüros der ukrainischen Rüstungsindustrie in Berlin und einer Verstärkung des Militärattachéstabs in der deutschen Botschaft in Kiew sollen „Leuchtturmprojekte“ für die gemeinsame Entwicklung und Produktion von Rüstungsgütern identifiziert werden. Die Ukraine soll mehr in die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern mit europäischen Partnern einbezogen werden, zudem will die Bundesregierung Investitionsgarantien für Rüstungsinvestitionen in der Ukraine bereitstellen. Außerdem will Berlin Gefechtsfelddaten der Ukraine nutzen. Als der Plan am Montagmittag veröffentlicht wurde, hatte man ihn zwar mit der Ukraine „geteilt“, wie es hieß, aber „nicht Punkt für Punkt verhandelt“.
Source: faz.net