Überstundenzuschläge: Der versprochene Steuervorteil z. Hd. Fleißige wackelt

Die von der Union im Wahlkampf vorangetriebene und dann mit der SPD in den Koalitionsvertrag geschriebene Begünstigung von Überstunden droht weitgehend wirkungslos zu verpuffen – zumindest im Hinblick auf das Ziel, durch Anreize zu Mehrarbeit Fachkräftemangel zu lindern und die Wirtschaft zu stärken. Für den Fiskus dürfte das schwarz-rote Vorhaben gleichwohl teure Folgen haben. Zu diesem politisch brisanten Ergebnis kommt eine neue Studie des Ifo-Zentrums für Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsökonomik, die der F.A.Z. vorab vorliegt.
Konkret geht es in der Studie im Auftrag der metallarbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) um das Vorhaben der Koalition, Zuschläge für Überstunden von der Einkommensteuer auszunehmen. Das Urteil der Autoren fällt ernüchternd aus und nährt starke Zweifel an dem Vorhaben: Dieses habe „im Vergleich zu anderen derzeit diskutierten Maßnahmen der Renten- und Arbeitsmarktpolitik – wie etwa der Abschaffung des vorgezogenen Renteneintritts für besonders langjährig Versicherte, der Erhöhung des Renteneintrittsalters oder der Kürzung des Bürgergelds – nur moderate Wirkungen und kann insofern keinen wesentlichen Beitrag zur Linderung des Fachkräftemangels leisten.“ Sie sehen vielmehr das Risiko, dass durch Einbeziehung der Teilzeitbeschäftigung und gezielte Manipulation der Regelarbeitszeit die Steuerausfälle noch wesentlich größer werden als prognostiziert.
Ob das Paket kommt, ist noch nicht klar
Nach F.A.Z.-Informationen will das Bundeskabinett am 8. Oktober den Entwurf des Arbeitsmarktstärkungsgesetzes beschließen. In einer früh bekannt gewordenen ersten Version des Entwurfs findet sich die Steuerfreiheit für Überstundenzuschläge. Ebenso ist dort eine einmalige Steuerbefreiung von Prämien an Teilzeitbeschäftigte vorgesehen, wenn der Arbeitgeber ihnen diese zahlt, damit sie mehr Stunden arbeiten. Schließlich umfasst der Entwurf die sogenannte Aktivrente. Dabei handelt es sich um einen Steuerfreibetrag von 2000 Euro im Monat, den Rentner erhalten sollen, falls sie weiterarbeiten, allerdings nur, wenn sie dies als angestellte Arbeitnehmer tun.
Ob das Paket so kommt, ist aber noch nicht klar. Aktuell ringt die Koalition darum, ob die Begünstigung von Überstundenzuschlägen wirklich umgesetzt werden soll. Wohl auf Druck der Gewerkschaften flog dieses Element wie auch der Anreiz für Teilzeitkräfte später aus der Vorlage von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) heraus. In der Unionsfraktion gibt es allerdings Kräfte, die das so nicht hinnehmen wollen. Diese Woche geht das Kabinett in Klausur. Auch wenn dann vor allem konkrete Maßnahmen zur Staatsmodernisierung beschlossen werden sollen, ist das Treffen in der Villa Borsig am Tegeler See im Nordwesten Berlins eine gute Gelegenheit, auch über das Gesetz zur Stärkung des Arbeitsmarkts zu sprechen.
Günstigenfalls würden knapp 12.000 Vollzeitäquivalente mobilisiert
Die Autoren der Ifo-Studie arbeiten mit drei Szenarien. Unter konservativen Annahmen erwarten Volker Meier und Leander Andres eine Mehrarbeit infolge steuerbefreiter Überstunden, die knapp 3000 Vollzeitstellen entspricht. Die mittlere Variante unterstellt eine Beschäftigungsausweiterung, die fast 6000 Vollzeitäquivalenten entspricht. Und günstigenfalls würden knapp 12.000 Vollzeitäquivalente mobilisiert. Sie unterstellen dabei typisierend Überstundenzuschläge in Höhe von 25 Prozent, einen sonst fälligen Steuersatz auf die Zuschläge von 30 Prozent und einen Arbeitnehmeranteil an den Sozialbeiträgen von 20 Prozent.
Aus den Beschäftigungseffekten leiten die Autoren den Produktionsanstieg ab, der mit dieser Steuervergünstigung zu erwarten ist. Sie kommen auf einen zusätzlichen Output zwischen 150 und 600 Millionen Euro. „Bei einem aktuellen Bruttoinlandsprodukt von 4,3 Billionen Euro liegt der Wachstumseffekt in allen drei Varianten bei deutlich weniger als 0,1 Prozent des BIP“, schreiben sie. Die höhere Wertschöpfung sorgt für ein Plus bei der Lohnsteuer, den Sozialversicherungen und der Umsatzsteuer. Zugleich drohen aber Mitnahmeeffekte und Gestaltungen. So könnten Überstunden, die bisher mit Jahressonderzahlungen implizit abgegolten werden, künftig durch Umschichtung mit Zuschlägen bezahlt werden, damit der Steuervorteil greift. Der fiskalische Gesamteffekt ist in allen drei Szenarien der Studie leicht negativ.
INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben nannte es begrüßenswert, dass die Koalition versucht, Arbeitsanreize zu liefern. „Aber Schwarz-Rot sollte sich auf die großen Reformen konzentrieren, die dazu führen, dass Steuern und Sozialabgaben für alle sinken, anstatt zu steigen“, sagte er der F.A.Z. Das wäre nötig und auch wirkungsvoll. „Arbeitsmarktpolitisches Kleinklein ist allenfalls ein Schokostreusel auf der Torte, aber ohne Torte bringt das nichts.“