Überforderte Nutzer: Wenn Produkte nerven

Der BMW hat viele Fragen. Ob man im Comfort-, Sport- oder ECO Pro-Modus zu fahren wünsche. In welcher Farbe und Intensität die Ambientebeleuchtung die Fahrt illuminieren soll. Auch zu bevorzugten Luftströmen und Temperaturzonen will das Auto etwas wissen. Etwa ob Fahrer und Beifahrer gleich viel Luft um die Ohren geblasen werden soll. Ob sie es an den Füßen gerne wärmer wünschten als am Oberkörper? Und wie sollen sich die Sitze zum Ganzen verhalten? Sollen sie über ihre Belüftungskanäle mehr oder weniger an der Wohlfühl­oase mitarbeiten? Welche Intensitätsstufe wäre dafür angebracht?

An einem Vormittag müssten die Fragen eigentlich zu beantworten sein, würde sich nicht dauernd der Kühlschrank melden. Ihn verlangt es nach einem Update. Seit Tagen schon ist das Gerät schlecht gelaunt und ruft nach Hilfe. Im W-Lan wäre die lethargische Maschine deshalb fast mit dem Kaffeevollautomaten kollidiert. Auch er schmollt. Zu viel Kalk. Bald wird er seinen Geist aufgeben. Schuld hat, man ahnt es, der Mensch.

Die Idee, dass Dinge das Leben einfacher machen sollen, ist offensichtlich verloren gegangen. Produkte sind selbst zu Pflegefällen geworden. Statt einfach ihre Pflicht zu tun, fressen sie Aufmerksamkeit. Neben dem Partner, den Kindern und den Eltern müssen immer mehr Dinge bei Laune gehalten werden. Statt Bedürfnisse zu befriedigen, melden sie selbst Bedürfnisse an.

Wenn größere Auswahl zu weniger Käufen führt

Dinge wollen heute digital gepflegt und konfiguriert werden. Immer weniger ist voreingestellt, immer mehr darf „customized“ werden. In der digitalen Welt mit ihren schier unendlichen Möglichkeiten wird aus der Wahlfreiheit eine zeitraubende Endlosschleife mit höchst zweifelhaftem oder gar keinem erkennbaren Mehrwert: erst vor und jetzt auch nach dem Kauf. So muss man sich selbst bei simplen Glühlampen entscheiden, in welchem Abstrahlwinkel und welcher Farbtemperatur sie die Stube erhellen sollen. Die Lämpchen wollen danach wissen, in welcher Farbe sie zu strahlen haben: Drei Farbkanäle Rot, Grün und Blau mit je 256 Abstufungen stehen zur Verfügung, macht 16,8 Millionen mögliche Kombinationen. Bis die richtige Abendstimmung gefunden ist, ist der „Tatort“ vorbei.

Unter den Stichworten „Choice Overload“, „Consumer Confusion“ oder schlicht Informationsüberlastung wird das Phänomen in der Wissenschaft untersucht. Erste Befunde sind bemerkenswert. In der berühmt gewordenen „Jam Study“ haben Psychologen gezeigt, dass eine größere Auswahl sogar zu weniger Käufen führt. In einem Supermarkt hatten sie zwei Stände mit Marmeladen aufgebaut, einen mit sechs Sorten, den anderen mit vierundzwanzig. Obwohl der größere Stand mehr Besucher anzog, kauften dort weniger Menschen.

Etliche Studien haben mittlerweile das Phänomen der Auswahlüberforderung belegt. Klar ist, dass nicht alle Menschen auf gleiche Weise reagieren. Klar ist aber auch, dass der Stress in Summe steigt.

Ein regelrechter Variantenrausch

Die Digitalisierung schafft so für Unternehmen eine neue Herausforderung. Eine, die so gar nicht in die bisherige Marschrichtung passt: Mehrwert kann heute bedeuten, den Kunden weniger zu bieten. Erste Versuche zeigen, dass es funktioniert: Nach Angaben von PwC hat der Konsumgüterkonzern Procter & Gamble die Zahl seiner Shampoo-Sorten reduziert und so den Umsatz um zehn Prozent gesteigert.

Je mehr Auswahl zur Verfügung steht, desto schwerer fällt die Entscheidung. In der digitalen Welt steigt die Zahl der Alternativen aber rasant. Die digitalisierte Produktion samt ­digitalem Verpackungsdruck macht heute auch Kleinserien profitabel möglich.

Nach dem Kauf sorgt die Digitalisierung dann für einen regelrechten Variantenrausch. Kein Rasenmäher, keine Zahnbürste, die nicht noch im Nachhinein via WLAN konfiguriert werden könnten. Mindestens muss sich der Käufer die Frage beantworten, ob er diese Individualisierung überhaupt will oder verzichtet. Schon das sorgt für Stress.

Schlecht gelaunte und überforderte Konsumenten aber sind schlecht für die Wirtschaft. Wird die Welt zu komplex, halten sie sich mit Käufen zurück. Oder sie besinnen sich auf das Alte, scheinbar Bewährte. Die Skepsis gegenüber Neuem wächst, auch das birgt Gefahren. Die Analogie zur Politik mag übertrieben sein, aber wenn das System immer mehr Enttäuschte und Rückwärtsgewandte produziert, kann das nicht gut sein: weder für die Gesellschaft noch für die Wirtschaft.

In der Wirtschaft immerhin gäbe es eine Lösung: Simplifikation. Ein Modus, auf das Nötigste reduziert. Einige Unternehmen bieten ihn schon. Man muss ihn nur finden. Irgendwo in den Tiefen des Menüs.