Trumps Stabschefin: Wenn Susie Wiles die Zunge locker sitzt

Ihre Mission war klar: Wiles, die 68 Jahre alte Frau aus Florida, die mit Unterbrechung seit 2016 in unterschiedlichen Rollen an der Seite Trumps wirkt, soll Chaos vom Präsidenten fernhalten. Sie gilt als effizient, resolut und äußerst schweigsam. Daher schlug ein Porträt über sie, das nun in der Zeitschrift „Vanity Fair“ erschien, in Washington ein wie eine kleine Bombe. Für die Langzeitbetrachtung hatte sie einem Reporter mehrere Interviews über einen längeren Zeitraum gegeben. Die Frau, die sonst im Hintergrund wirkt, sagte dabei auch Sachen über Trump und seinen engsten Zirkel, die nicht gerade schmeichelhaft sind.
Eine Auswahl: Trump selbst habe eine „Alkoholiker-Persönlichkeit“. Vizepräsident J.D. Vance, der vom „Never-Trumper“ gewandelte MAGA-Gefolgsmann, sei ein Jahrzehnt lang ein Verschwörungstheoretiker gewesen. Russel Vought, der mächtige Leiter der OMB-Haushaltsstelle im Weißen Haus, der nun dabei ist, den Behörden-Kahlschlag umzusetzen, wie er es in dem von ihm mitverfassten „Project 2025“ angekündigt hatte, sei ein „absoluter rechter Eiferer“. Und über den Oligarchen Elon Musk, den kurzzeitigen Präsidentenberater, der einen Beitrag teilte, nach dem Angestellte des öffentlichen Dienstes unter Hitler, Stalin und Mao Millionen getötet hätten, sagte sie mit Blick auf dessen Drogenkonsum: Da habe er wohl „mikrodosiert“.
Was das Verhältnis der Medien zu Mitarbeitern des Weißen Hauses anbelangt, ist unter Trump eigentlich nichts mehr so, wie es einst war. Der Präsident warf in seiner ersten Amtszeit Vertretern des angeblichen tiefen Staates vor, ihn durch gezielte Durchstechereien sabotieren zu wollen. Hintergrundinformationen, die der Präsident nicht bewusst lancieren will, sind daher nunmehr die Ausnahme. Wiles, die über ein belastbares Vertrauensverhältnis zu Trump verfügt, muss sich also sehr sicher gefühlt haben, derlei Dinge „on the record“ zu sagen.
Nun ist ihr Kommentar über den Präsidenten durchaus erklärungsbedürftig. Trump trinkt bekanntermaßen keinen Tropfen. Sein älterer Bruder Fred war Alkoholiker und starb im Alter von 42 Jahren an einem Herzinfarkt. Auch Wiles ist mit einem Alkoholiker in der Familie aufgewachsen – ihrem Vater, weshalb sie glaube, „ein wenig“ ein Experte auf dem Gebiet zu sein. Dann sagt sie: Auch wenn Psychologen ihr sicher widersprächen, denke sie, der Konsum führe bei funktionsfähigen Alkoholikern und Alkoholikern im Allgemeinen dazu, dass ihre Persönlichkeit verstärkt werde, wird sie in dem Artikel zitiert. Wie diese agiere Trump in dem Bewusstsein, dass sie durch nichts aufzuhalten seien – „nichts, null“. Was sie nicht sagt, aber voraussetzt: Trump benötigt keinen Rausch für eine Persönlichkeitsverstärkung.
So groß Wiles‘ Einfluss auf Trump ist – nicht immer gelingt es ihr, dem Präsidenten etwas auszureden. Als Trump am 20. Januar wieder ins Weiße Haus einzog, setzte er sogleich seine Unterschrift unter etliche Erlässe. Unter anderem begnadigte er bekanntlich fast alle Randalierer, die am 6. Januar 2021 das Kapitol gestürmt hatten. Wiles hebt hervor, dass sie ihn davon abhalten wollte. Sie habe ihm gesagt, dass sie es zwar unterstütze, Leute zu begnadigen, die keine Gewalttaten verübt hätten. Nicht aber die anderen. Trump jedoch habe darauf bestanden: Alle seien unfair behandelt worden. Das FBI sei korrupt und Teil des tiefen Staates. Grundsätzlich bilanziert Wiles, einige Male sei sie überstimmt worden. Wenn beide nicht einer Meinung seien, gewinne der Präsident.
Dass nun just jene Frau, die sonst das Rampenlicht scheut und bei den berüchtigten Oval-Office-Events Trumps stets einen Platz sucht, den die Kameras nicht einfangen, „Vanity Fair“ – wörtlich: dem Jahrmarkt der Eitelkeit – diesen exklusiven Zugang gewährte, ist nicht frei von Ironie. Üblicherweise schickt sie ihren Stellvertreter Stephen Miller vor, wenn es darum geht, den Präsidenten öffentlich zu verteidigen, gleich, ob es um die Razzien der Immigrationspolizei ICE geht oder die Muskelspiele der Exekutive mit der Justiz.
Wiles sieht es als ihre wichtigste Aufgabe, die Funktionsfähigkeit der Regierung zu gewährleisten, was bei Trumps Kuriositätenkabinett um Pete Hegseth und Robert F. Kennedy Jr. nicht immer leicht ist. Wenn Trumps erste Amtszeit, in der am laufenden Band Führungspersonal ausgetauscht wurde, die Messlatte ist, muss man ihr zugestehen, dass es ihr recht gut gelingt.
Eine Ausnahme war freilich Musk, Trumps zeitweiliger Milliardärskumpel, der während seiner Zeit als DOGE-Frontmann gleichsam als freier Radikaler nicht zu bändigen war. Ihn nennt Wiles einen „Alleindarsteller“, der Ketamin konsumiere und tagsüber im Schlafsack im Executive Office herumgelegen habe. Die Zerschlagung der Entwicklungshilfeorganisation USAID habe durchaus zu Ärger unter anderem mit Außenminister Marco Rubio geführt.
Eine andere Ausnahme waren die „Epstein Files“. Wiles gesteht ein, die Sache unterschätzt zu haben. Die Sache? Das war die zeitweilige Entscheidung von Justizministerin Pam Bondi, die Ermittlungsakten, anders als versprochen, nicht zu veröffentlichen, was in der MAGA-Welt für Empörung sorgte. Sie habe der Angelegenheit zunächst wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Nun sagt die Stabschefin etwa, dass es nie eine Kundenliste gegeben habe (anders als Bondi bei Amtsantritt nahelegte) und dass eine solche sicher auch nicht auf dem Tisch der Justizministerin gelegen habe. Auch sagt sie, Trump tauche zwar in den Ermittlungsakten auf, habe aber nichts Schreckliches getan.
Andere in Trumps Orbit hätten durchaus sogleich verstanden, welche Folgen Bondis Entscheidung haben würde – Kash Patel, der FBI-Direktor, etwa. Leute wie er hätten eben Jahre in der Welt gelebt, in der Epstein und die Frage, welche Weiterungen der Fall habe, ein riesiges Thema gewesen sei. An dieser Stelle erwähnt sie auch Vance, der eben auch „ein Jahrzehnt lang ein Verschwörungstheoretiker gewesen“ sei. Soll heißen: Auch er habe geglaubt, die Veröffentlichung der Akten würde Dinge enthüllen, die Amerikas Establishment erschüttern würden.
Der Umgang mit den „Epstein Files“ führte einer seltenen Korrektur Trumps. Als sich im Repräsentantenhaus abzeichnete, dass einige Republikaner mit den Demokraten für die Herausgabe der Akten stimmen würden, drehte Trump bei. Der Kongress forderte sodann die Regierung auf, die Dokumente freizugeben – die Frist dafür läuft vor Weihnachten aus. Der Fall zeigt auch, dass Wiles nicht vertraut war mit der Stimmung an der MAGA-Basis.
Zuweilen kommt die Stabchefin in dem Artikel als geradezu unbekümmerte Person herüber. An einer Stelle sagt sie zu Trumps Venezuela-Strategie: Er wolle weiter (Drogen-)Boote in die Luft sprengen, bis Machthaber Nicolás Maduro klein beigäbe. Bislang hat die Trump-Regierung freilich geleugnet, dass es ihr um einen Regimewechsel in Caracas gehe.
Und dann ist da noch der Krieg in der Ukraine. Wiles‘ Einschätzung stammt aus dem August, rund um den Alaska-Gipfel zwischen Trump und Wladimir Putin. Einige Fachleute hätten Trump gesagt, wenn Putin den ganzen Donbass erhalte, wäre er glücklich. Doch Trump habe der Einschätzung nicht getraut. Der Präsident habe nicht geglaubt, dass Putin Frieden wolle. Sodann: „Donald Trump denkt, dass er das ganze Land will.“
Source: faz.net