Trump-Methoden in Belgien: Mit Soldaten in den Drogenkrieg

Der belgische Verteidigungsminister Theo Francken brachte es auf eine griffige Formel. „Olivgrün macht mehr Eindruck als Blau“, sagte der Politiker der konservativen flämischen N-VA. Deshalb sollen künftig Polizisten an der Seite von Soldaten in den Brüsseler Problemvierteln patrouillieren, wo der Drogenkrieg gerade wieder eskaliert ist. Es gehe darum, die ganze Macht des Staats zu demonstrieren, sagte Francken, der sich diesen Plan mit Innenminister Bernard Quintin ausgedacht hat, einem rechtsliberalen Politiker aus dem wallonischen Landesteil.
Das lässt an Amerika denken, wo Präsident Donald Trump die Nationalgarde schon in Los Angeles und Washington eingesetzt hat und nun bewaffnete Soldaten auch nach Memphis schicken will – jedes Mal, um die angeblich grassierende Kriminalität einzudämmen. Ob er das überhaupt darf, ist umstritten und wird gerichtlich angefochten. Auch in Belgien sah es zunächst so aus, als würden rechtliche Bedenken vom Tisch gewischt. „Die Armee hat die Aufgabe, die Integrität des Staatsgebiets zu schützen“, sagte Quintin Anfang des Monats. Und darunter falle eben auch der Kampf gegen die Drogenkriminalität.
Aus der Regierungskoalition gab es zunächst keinen Widerspruch. Alle fünf Parteien waren einverstanden. Der Vorsitzende der flämischen Sozialdemokraten, Conner Rousseau, tönte gar, wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man die Armee längst auch in Antwerpen einsetzen können. Noch im Oktober sollten die Patrouillen in Brüssel beginnen.
„Es muss einen rechtlichen Rahmen geben“
Allerdings hat sich der Verteidigungsminister dann doch noch einmal hingesetzt und die rechtlichen Grundlagen überprüft. „Es muss einen rechtlichen Rahmen geben, der es (dem Militär) erlaubt, Personen zu durchsuchen, einen Ausweis zu verlangen oder, falls erforderlich, Personen in Handschellen zu legen“, ließ Francken anschließend wissen. Dafür müsse erst einmal das neue Strafrecht in Kraft treten – was erst am 8. April nächsten Jahres der Fall sein wird, zwei Jahre nachdem die Reform beschlossen worden war. Auf deren Grundlage soll auch das Militärgesetzbuch überholt werden. Dort müssten entsprechende Kompetenzen für den Einsatz im Innern geregelt werden. Die Regierung will dazu einen Vorschlag machen, der dann vom Parlament zu beschließen ist. Ob das in wenigen Monaten gelingt, bleibt abzuwarten.
Francken erinnerte daran, dass schwer bewaffnete Soldaten schon einmal in den Straßen der Hauptstadt unterwegs waren. Anfang 2015 wurde angesichts wachsender Terrorgefahr die Operation „Vigilant Guardian“ eingerichtet, nach den Anschlägen von 2016 wurde sie massiv aufgestockt. Fünf Jahre lang sah man immer wieder Gruppen von vier, fünf Soldaten mit Sturmgewehren an den Bahnhöfen, am Flughafen und im Zentrum der Stadt. An neuralgischen Punkten standen Militärfahrzeuge, auch vor der EU-Kommission. Allerdings hätte das Militär nur bei Gefahr im Verzug eingreifen dürfen. Personen kontrollieren, das durften die Soldaten nicht, was auf allerlei Kritik stieß. Das werde es unter seiner Verantwortung nicht noch einmal geben, stellte der Minister klar.
Die Bürgermeister der betroffenen Viertel sind über einen Einsatz der Armee wenig begeistert. „Das ist eine sehr schlechte Idee, denn das Militär ist dafür weder ausgebildet noch ausgerüstet“, sagt etwa der Bürgermeister von Anderlecht, Fabrice Cumps, ein Sozialdemokrat. „Wenn der Bund uns helfen will, was natürlich unerlässlich ist, muss er die Polizeikräfte verstärken und die Polizei sowohl auf lokaler als auch auf föderaler Ebene refinanzieren – insbesondere die Kriminalpolizei.“ Auch Vertreter der Polizeigewerkschaften äußern sich skeptisch. Das Militär könne nicht den Personalmangel bei der Polizei ausgleichen, so der Tenor. Außerdem gebe es keine Erfahrungen mit einer solchen Zusammenarbeit.
Zwanzig Schießereien in fünf Wochen
Der Innenminister hält dagegen und verweist auf eine strukturelle Schwäche des belgischen Systems. Die lokale Polizei untersteht den Bürgermeistern. „Brüssel ist die einzige Stadt der Welt, in der es mehrere Polizeibezirke gibt“, sagte Quintin in einem Radiointerview, und die operierten völlig unabhängig voneinander. So habe der Bezirk am Südbahnhof vor vier Jahren entschieden, eine Sondereinsatztruppe gegen Drogenkriminalität abzuschaffen. Würde es die noch geben, müsste man nun vielleicht keine Soldaten einsetzen.
Unbestritten ist, dass die Polizei schon seit zwei Jahren die Kontrolle über Teile der Stadt verloren hat. Von Antwerpen aus griff der Krieg zwischen verfeindeten Rauschgiftbanden auf Brüssel über. Immer wieder kommt es zu Schießereien in den Problemvierteln, vor allem im Westen der Stadt, in Anderlecht und Molenbeek, aber auch im Brüsseler Zentrum, wo sich Rauschgiftbanden Terrain erobert haben. In diesem Jahr gab es schon mehr als sechzig Schießereien.
Zwanzig davon ereigneten sich in bloß fünf Wochen im Sommer, was zu zwei Toten und acht Verletzten führte. Über die Hintergründe ist wenig bekannt. In der Regel handelt es sich um Abrechnungen im Milieu und um Revierkämpfe. Ein lukrativer Verkaufspunkt kann bis zu 50.000 Euro Einkünfte pro Woche bringen. Das führt zu Feuergefechten um die einschlägigen Plätze, auch mit halbautomatischen Waffen. Nahe dem Südbahnhof mussten Ermittler ein Café schließen, in dem Rauschgift verkauft wurde, um einen Straßenzug zu befrieden.
Die Banden gehen hohe Risiken ein
Die Banden nehmen ein immer größeres Risiko in Kauf. Inzwischen werden die Kämpfe nicht mehr nur in der Dunkelheit, sondern am helllichten Tag ausgetragen. Damit wächst die Gefahr, dass Unbeteiligte in die Schusslinie geraten. Anfang August traf eine Kugel die Windschutzscheibe eines vorbeifahrenden Wagens, in dem eine Mutter mit ihrem neun Jahre alten Kind saß. Beide kamen mit dem Schrecken davon. Der Brüsseler Generalstaatsanwalt Julien Moinil macht keinen Hehl aus der Gefahr: „Jeder, der sich in Brüssel bewegt, kann von einer verirrten Kugel in seiner Windschutzscheibe oder auf dem Bürgersteig getroffen werden.“
Diese Eskalation hat die Politik auf den Plan gerufen, zumal sich die Kriminalität inzwischen auch auf Teile von Ixelles und Saint-Gilles ausgedehnt hat, beliebten Wohnvierteln mit gut betuchten Bewohnern in der Nähe des Europaviertels. Innenminister Quintin will mehr Überwachungskameras im öffentlichen Raum installieren. Die Kriminalpolizei ist verstärkt worden, und Moinil, seit Jahresanfang im Amt, hat den Kampf gegen die Banden verstärkt.
Allein in diesem Jahr wurden mehr als 1250 Personen wegen Rauschgifthandels festgenommen, doch finden die Banden schnell Nachschub – insbesondere in Milieus, wo Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung leben und nicht viel zu verlieren haben. Mit schnellen Erfolgen rechnet der 40 Jahre alte Generalstaatsanwalt eher nicht. „Man darf nicht glauben, dass zehn, zwanzig oder sogar dreißig Jahre Nachlässigkeit in sechs Monaten behoben werden können“, sagt er.
Source: faz.net