Treffen jener Industrieländer G 7: Ringen um ein 50-Milliarden-Paket z. Hd. Kiew

Die sieben führenden Industrienationen (G 7) wollen in den nächsten drei Wochen klären, wie sie die Erträge aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten nutzen können, um die finanzielle Unterstützung der Ukraine so schnell wie möglich auszuweiten. „Wir stehen geschlossen an der Seite der Ukraine“, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nach Abschluss der Gespräche am Samstag im italienischen Stresa am Lago Maggiore. Nachdem die EU kürzlich neue Ukraine-Hilfen für dieses Jahr beschlossen habe, wolle die G-7-Gruppe nun weitergehen.

Es geht um die Finanzierung der Ukraine in den kommenden zwei bis drei Jahren, meinte Lindners italienischer Amtskollege Giancarlo Giorgetti. „Das ist ein Ausdruck des Durchhaltevermögens, das wir gemeinsam haben“, betonte Lindner. Allerdings sei „noch viel Arbeit zu leisten, denn die Risiken für die Steuerzahler müssen minimiert werden“, wie der Bundesfinanzminister hinzufügte.

Während Giorgetti von „schwierigen“ Verhandlungen sprach, konstatierte das Abschlusskommuniqué „Fortschritte“. Bis zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs der G 7 Mitte Juni in Apulien sollen wichtige Details geklärt werden. Häufig war in Stresa von Hilfen in Höhe von 50 Milliarden Dollar oder umgerechnet 46 Milliarden Euro die Rede, die für das überfallene Land mobilisiert werden könnten. Doch Festlegungen fehlen noch, teilweise wurden die 50 Milliarden auch in Euro erwähnt.

Nicht ausgeschlossen ist auch ein höherer Betrag, wenn die G-7-Länder bereit sein sollten, ein noch größeres Risiko einzugehen, um einen längeren Hebel stemmen zu können. Der Plan besteht darin, die aktuellen und künftigen Erträge der eingefrorenen russischen Vermögen von rund 300 Milliarden Dollar für ein Kreditinstrument zu nutzen, das der Ukraine bald eine bedeutende Summe zur Verfügung stellt.

Zugriff nur auf Vermögenserträge

Die eingefrorenen russischen Gelder selbst dürften aus rechtlichen Gründen nicht herangezogen werden. Der Zugriff auf die eigentlichen Vermögen war ursprünglich eine Überlegung der Vereinigten Staaten, welche die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen dann aber zurückzog. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire begrüßte diesen Schritt ausdrücklich, denn damit respektierten die Vereinigten Staaten internationales Recht.

Der größte Teil der Erträge aus dem eingefrorenen russischen Vermögen fällt in Europa an. Es geht um etwa 3 Milliarden Euro im Jahr. Vielleicht ein Zehntel soll auf Nordamerika entfallen. Wenn nun ein Paket mit Hilfe künftiger Erträge geschnürt wird, ist eine zentrale Frage, was passiert, wenn später einkalkulierte Zuflüsse ausbleiben sollten. Wenn das Paket aus den gehebelten Erträgen als Kredit an Kiew weitergereicht werden sollte, entsteht zudem die Unsicherheit, ob alle Tilgungsraten und Zinszahlungen stets pünktlich fließen werden. Wer solche Risiken trägt, ist weiter ein umstrittener Punkt.

Letztlich geht es um die Verteilung der Lasten zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Die Belastung der Ukraine soll auf jeden Fall in Grenzen gehalten werden; ein Vertreter des amerikanischen Finanzministeriums meinte, die Unterstützung solle nicht die Schulden der Ukraine in die Höhe treiben.

Amerikas Finanzministerin Janet Yellen zeigte sich am Lago Maggiore zuversichtlich, dass es gelingen werde, sich zu den russischen Erträgen zu einigen. Der Gesamtansatz werde allgemein positiv gesehen, sagte sie „Bloomberg News“. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sprach von einer „positiven Annäherung“. Der von der EU eingeschlagene Weg, die Zinsen der russischen Vermögen für Ukrainehilfen abzuschöpfen, scheine eine interessante Richtung zu sein.

Internationale Besteuerung an totem Punkt

Was internationale Handelsfragen angeht, traten indes Meinungsverschiedenheiten unter den Verhandlungsführern in Stresa auf. Einig ist man sich in der Verurteilung Chinas wegen seiner Subventionen für einheimische Unternehmen und seiner Überproduktion von Waren, welche die G-7-Länder als Billigimporte überfluten. Doch wie soll man darauf antworten?

Es sei „unbestreitbar“, dass es unter den G-7-Ländern unterschiedliche Ansichten über den Umgang mit China gebe, sagte Giorgetti auf der Abschluss-Pressekonferenz. Die Vereinigten Staaten haben hohe Importzölle für eine Palette chinesischer Waren von Elektroautos über Computerchips bis zu Medizinprodukten verhängt. „Es ist klar, dass die von den USA eingenommenen Positionen Nebenwirkungen auf unsere Märkte haben“, meinte Giorgetti.

Bundesfinanzminister Lindner warf in die Diskussion, dass sich Europa nicht vor Importen schützen dürfe, deren Konkurrenzfähigkeit auf höherer Produktivität chinesischer Hersteller beruhe. So beließ man es in Stresa bei der Ankündigung, einen Meinungsaustausch zu führen – auch wegen des Risikos von Vergeltungsmaßnahmen durch China. Dies war ein Einwand, der vor allem Lindner wichtig war.

Sein französischer Amtskollege Le Maire machte dagegen klar, dass er eine entschlossene Reaktion auf Chinas Importe befürworte; wenn dies Anreize setze, dass europäische Unternehmen in Europa investieren anstatt außerhalb, dann sei das aus französischer Sicht umso besser, verlautete aus Verhandlungskreisen.

Bei den Plänen der internationalen Besteuerung sei die Staatengemeinschaft dagegen in wichtigen Fragen „fast an einem toten Punkt“ angelangt, berichtete Giorgetti, obwohl sein Amtskollege Le Maire zu Beginn des Treffens die Bedeutung der Pläne unterstrichen hatte.

Bei der Idee einer global gerechteren Besteuerung großer Konzerne, etwa amerikanischer Digitalunternehmen, hätten zuletzt die Länder Indien und China Widerstand geleistet, sagte Giorgetti. Eine für Ende Juni gesetzte Frist könne wahrscheinlich nicht eingehalten werden, sagte er. Die zweite Säule der Pläne, die sich auf eine internationale Mindeststeuer für Unternehmen bezieht, werde daher von immer mehr Ländern akzeptiert; das begrüße die G 7, wie es in der Abschlusserklärung hieß.

Weiche konjunkturelle Landung

Ansonsten betonten die Finanzminister und die Notenbänker, dass sich die Weltwirtschaft angesichts zahlreicher Krisenherde widerstandsfähiger als erwartet gezeigt habe. Von einer weichen Landung war die Rede. Im Abschlussdokument zum G-7-Finanzministertreffen werden als größte Risiken eskalierende geopolitische Konflikte und schwankungsanfälligen Energiepreise genannt. Der russische Angriff auf die Ukraine als auch der Nahost-Konflikt könnten die weltweiten Handelsströme weiter stören.

Die Staats- und Regierungschefs der G-7-Staaten forderten zudem Israel auf, Korrespondenzbankverbindungen zwischen israelischen und palästinensischen Banken aufrechtzuerhalten, um lebenswichtige Transaktionen, Handel und Dienstleistungen weiter zu ermöglichen. Der Palästinensischen Autonomiebehörde sollten zurückgehaltene Einnahmen aus der Zollabfertigung überlassen werden, fordert die G 7.

Amerikas Finanzministerin Yellen hatte davor gewarnt, dass eine ausbleibende Verlängerung einer demnächst auslaufenden Ausnahmegenehmigung für Banken die palästinensischen Gebiete im Gazastreifen von einer wichtige Lebensader abschneiden würde. Auch Maßnahmen, die sich negativ auf den Handel ausgewirkt haben, sollten gelockert oder aufgehoben werden, „um eine weitere Verschärfung der wirtschaftlichen Situation im Westjordanland zu vermeiden“.