„Totalverweigerer“: Wie ein Begriff aus dem Wehrdienst die Bürgergelddebatte vergiftet
Die Diskussion um Erwerbslose nimmt einen neuen Dreh: Totalverweigerer ist das Schlagwort gegen Arbeitslose. Dieser Begriff ist uns aus ganz anderen Zusammenhängen bekannt. Aus unheilvollen
Arbeitslosigkeit als individuelles Versagen und nicht mehr als soziales Problem
Foto: gettyimages, Jose Luis Raota
Neue Zeiten verleihen den Dingen und Kräfteverhältnissen neue Bedeutungen. Nachdem wir die Figur des faulen Arbeitslosen einst als Drückeberger, Sozialschmarotzer und Unterschichtler kannten, wird der Klassenkampf von oben heute mit einer anderen Wortwaffe geführt.
Der Feind heißt nun: Totalverweigerer. Gegen ihn ziehen die Merzes, Spahns und Linnemanns Woche für Woche ins Feld. Wer sich dem Dienst am Arbeitsmarkt entzieht, soll am besten gar keine Sozialleistungen mehr erhalten, finden nicht nur Rechte in AfD und Union, sondern auch Liberale und Sozialdemokraten. Denn wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.
So weit, so bekannt: Seit Mitte der 1970er Jahre ist die Figur des faulen Arbeitslosen Dauergast auf der medialen Bühne, wenn Tragödien über den Sozialstaat aufgeführt werden. Interessant und aufschlussreich über die Zeit, in der wir leben, ist aber der Umstand, dass diese Figur aktuell als Totalverweigerer wiederkehrt.
Weder Wehr- noch Zivildienst
Eigentlich stammt der Begriff des Verweigerers aus einer anderen Zeit und aus einem ganz anderen Bereich. Als Totalverweigerer wurden insbesondere in den 1980er Jahren jene Wehrpflichtigen bezeichnet, die sich dem Wehrdienst komplett entziehen wollten, also auch nicht bereit waren, stattdessen Zivildienst zu absolvieren.
Totalverweigerer zu sein, war damals einerseits eine selbstbewusste Selbstbezeichnung radikaler Kriegsdienstverweigerer gegen den „staatlichen Zwangsdienst“, andererseits eine abwertende Zuschreibung durch diejenigen, die am liebsten alle Söhne dieses Landes an den Waffen sehen wollten.
Die Journalistin Lea Fauth hat in einem lesenswerten Text bei Übermedien vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass es der damalige Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD war, der im Jahr 2023 als Erster an prominenter Stelle den Begriff Totalverweigerer auf Erwerbslose bezog.
Der moralische Angriff
Der neue Ausdruck setzte sich danach schnell durch und klingt inzwischen wie eine offizielle und quasi neutrale Bezeichnung, wenn Experten öffentlich genaue Zahlen angeblicher Totalverweigerer zu Protokoll geben und einschätzen, dass die Zahl der Totalverweigerer wahlweise überschätzt oder unterschätzt werde und höher oder niedriger liege als bislang gedacht.
Der Totalverweigerer erfüllt damit dieselbe Funktion wie die vor ihm gebräuchlichen Begriffe zur Stigmatisierung von Erwerbslosen: Er moralisiert das Problem der Arbeitslosigkeit. Es drückt aus, dass Totalverweigerer sich ihrer Mitwirkungspflichten entzögen. Die Schuld dafür liege bei den Arbeitslosen selbst. Sie erscheint nicht länger als soziales Problem, sondern als individuelles, resultierend aus persönlichem Fehlverhalten.
Sozialabbau mit Kampfbegriffen
Die Verknüpfung der Abwertung von Arbeitslosen mit einem Begriff aus dem Wortfeld des Militärs kommt nicht von ungefähr. Die Figur des Totalverweigerers ist Ausdruck einer Militarisierung des Sozialen ebenso wie einer Sozialisierung des Militärischen. Sozialpolitische Fragen werden militärischen Logiken unterworfen und umgekehrt das Militärische in sozialpolitischen Kategorien gedeutet, als Dienst an der Nation. Die Pflicht, notfalls für das Land zu sterben, spiegelt sich in der Pflicht, sich für den Standort Deutschland richtig reinzuhängen. Es geht um Leistungsfähigkeit – militärische wie ökonomische.
Zwar sind die Kosten, die im Bereich des Bürgergelds eingespart werden sollen, geschweige denn können, nur Peanuts im Vergleich zu jenen, die für Aufrüstung ausgegeben werden. Dennoch: Der Sozialstaat soll verschlankt werden, ideologisch gestützt durch die Markierung innerer Feinde.
Der Totalverweigerer ist der Sündenbock, eine Legitimationsfigur für den bereits angekündigten und drohenden Sozialabbau – ein Saboteur, der diszipliniert werden muss.