„Toleranz wird uff dieser linken Seite gerne denn fehlende Moral interpretiert“

Im „Spiegel“-Interview wehrt sich Dieter Nuhr dagegen, als provokant oder „AfD-Künstler“ bezeichnet zu werden. Seine Kritik an den Grünen in den letzten Jahren begründete er mit deren „ideologischen Unbelehrbarkeit“. Ein „Schlüsselerlebnis“ habe ihn als Gründungsmitglied von der Partei entfernt.

Schon mit der Vorstellung seiner Person haderte der Interviewgast. Er gelte als einer der „provokantesten“ Kabarettisten Deutschlands, sagte Markus Feldenkirchen zur Eröffnung des „Spiegel“-Gesprächs mit Dieter Nuhr. Für seine Anhänger sei er „einer der letzten Aufrechten im vermeintlich links-grün-versifften öffentlich-rechtlichen Rundfunk, für viele Linke das personifizierte Böse“. Wortreich hielt der Kabarettist dagegen.

Eigentlich sei er ein „nachgiebiger Typ“, „sehr harmoniebedürftig“, ja, noch nicht einmal ein „Bühnen-Typ“. Unlängst hätte er einen Artikel über otrovertierte Menschen gelesen, die sich zwischen Introvertierten und Extrovertierten einordnen ließen. „Da fühle ich mich sehr zu Hause.“

Feldenkirchen attestierte Nuhr, sich gewandelt zu haben, immerhin habe dieser einst zu den Progressiven gehört. „Ich weiß schon nicht, was der Begriff ‚progressiv‘ bedeutet im Moment“, erwiderte der Moderator von „Nuhr im Ersten“. Für sein Verständnis träten heutige Progressive eher konservativ auf. „Ich war damals progressiv, weil ich für die Aneignung von Kultur eingetreten bin, weil wir internationalistisch waren. Wir sind gereist, wir haben uns was angeguckt, fanden es gut und haben es übernommen“, erinnerte er sich. „Und jetzt muss ich lernen, dass selbsternannte Progressive gegen Aneignung von Kultur sind und es als postkolonialistisch empfinden, wenn man Kulturen rein hält. Da hätten vor 30 Jahren die Nazis applaudiert.“

Während er in seinen satirischen Programmen hart mit den Grünen ins Gericht geht, blickte er im „Spiegel“-Gespräch wohlwollend auf die Anfänge zurück. Es habe damals „gute Gründe für die Gründung einer grünen Bewegung“ gegeben, erklärte Nuhr, der einst selbst zu den Gründungsmitgliedern der Partei gezählt hatte. Das Abwasser des Bayer-Konzerns, das den Rhein verschmutzte, nannte er etwa, oder die verdreckte Luft im Ruhrgebiet. In diesen Bereichen sei eine Menge bewegt und der Staat „zum Positiven“ verändert worden.

Sein heute kritischer Blick fuße hingegen auf der „ideologischen Unbelehrbarkeit“ der Grünen. Für ihn sei die Haltung zur grünen Gentechnik zum „Schlüsselerlebnis“ geworden. In der Vergangenheit habe er sich selbst dagegen ausgesprochen, mittlerweile sehe er nur noch „pseudoreligiöse Gründe“, die dagegen sprächen. Wegen dieser Einstellung habe er Widerstand geerntet und Veranstalter hätten ihn gemieden. „Schon damals war es so, dass Toleranz auf der linken Seite gerne als fehlende Moral interpretiert wurde. Und das hat mich wahnsinnig gestört.“

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Nachdem er zuletzt darüber gescherzt hatte, dass ihm durch den Rückzug von Robert Habeck und Annalena Baerbock nun „gute Pointenlieferanten“ fehlten, fragte Feldenkirchen den Komiker nach den Gag-Qualitäten anderer Politiker. Er fühle sich etwa vom CSU-Vorsitzenden Markus Söder „oft gut unterhalten“, erklärte Nuhr. Dieser sei ein „lustiger Vogel“. Auch Linke-Politikerin Heidi Reichinnek berge dank ihrer „Mischung aus großer Inspiration gepaart mit ökonomischer Ahnungslosigkeit“ viel Komik. Zudem habe AfD-Politiker Björn Höcke Potenzial mit seinem Anspruch, der „Führer“ zu sein. „Ich glaube, dem Führer hätte das nicht gefallen“, urteilte Nuhr lachend.

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Höckes Parteikollegin Alice Weidel weise dagegen „wenig Komikpotenzial“ auf. Generell vermeide er Witz über jene zu reißen, die wie die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion ohnehin als „Feindbild für alle“ dienten. Ähnlich verhalte es sich mit Donald Trump. Nuhr stellte später jedoch klar, dass er den US-Präsidenten für gefährlich halte. „Dass Trump Kritik an sich selbst für illegal hält, ist mit einer Demokratie nicht zu vereinbaren“, urteilte der Kabarettist.

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Kritik übte Nuhr auch an jenen, die stets versuchten, ihn als „AfD-Künstler“ darzustellen und in die politische Ecke der Partei zu drängen. Für ihn habe es nie zur Debatte gestanden, sich für die AfD auszusprechen. Dennoch hatte ihn der Kabarettist Volker Pispers vor einigen Jahren einmal als „kabarettistischen Arm der Pegida“ bezeichnet. „Das war eine perfide Verunglimpfung, die mich sehr geärgert hat“, blickte der ARD-Moderator nun bei Feldenkirchen zurück. Nie habe eine Nähe zu dem Verein bestanden.

Zu Jan Böhmermann, der im Frühjahr 2023 unter dem Titel „Nuhr im Zweiten“ eine komplette Sendung als Parodie auf das satirische Format der ARD inszeniert hatte, wollte sich Nuhr indes nicht äußern. „Ich rede nicht über Kollegen. Das unterscheidet mich von Böhmermann.“

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Dafür sprach Dieter Nuhr über den aktuellen Bundeskanzler, dem er ein „gewisses Geschick“ attestierte, in „Fettnäpfchen zu treten“. Dennoch stellte er sich schützend vor Friedrich Merz, der von einer „Meute“ verfolgt werde.

In der „Stadtbild“-Debatte sah der Komiker vor allem eine „Zuspitzung der Medien“. Und wie verhält es sich mit dessen herablassenden Äußerungen über das brasilianische Belém? „Ständig ist jemand beleidigt“, winkte er ab. „Die Frage ist, ob man daraus ein Thema macht – oder nicht.“

Source: welt.de