Tod von Jahia Sinwar: Ein kleines Zeitfenster zum Besten von zusammenführen Waffenstillstand
Nachdem der Tod von Jahia Sinwar durch DNA-Proben bestätigt war, trafen sich am Donnerstagabend in Tel Aviv vor dem nationalen
forensischen Institut spontan Menschen und feierten den Tod des Hamas-Anführers.
Auch vor einem Jahr sammelten sich hier täglich Menschen, Angehörige der seit dem
7. Oktober 2023 Vermissten, dazu viele Medienleute. Vor allem aber trafen hier Mitarbeitende der
Rettungsdienste ein, die Särge und Leichensäcke in das Institut brachten, um die
mehr als 1.200 Opfer des Massakers zu identifizieren, für das ebenjener Sinwar maßgeblich verantwortlich
war.
Mit der zufälligen
Tötung Jahia Sinwars müsste Israel sein 2023 formuliertes
Kriegsziel jetzt eigentlich erreicht haben. Der seit einem Jahr anhaltende Gazakrieg mit vermutlich mehr
als 40.000 getöteten Palästinenserinnen und Palästinensern müsste jetzt enden. Die seit Monaten ins Stocken geratenen Verhandlungen über eine Waffenruhe und
die Freilassung von noch etwa einhundert israelischen Geiseln in der Gefangenschaft der Hamas
müssten zu einem Abkommen führen. Sinwars Tod sei „der Anfang vom Ende“ des
Krieges im Gazastreifen, sagte am Donnerstagabend Ministerpräsident Benjamin
Netanjahu. Eine Aussage, die allerdings ebenso griffig wie vage ist und ausdrückt, wie
schwer berechenbar die Folgen von Sinwars Tod sind.
Jetzt läge es an Israel, Vorschläge zu machen, wie ein
Kompromiss für einen Waffenstillstand aussehen könnte, und Premier Netanjahu hat eine entsprechende
Strategie auch gleich am Donnerstagabend formuliert: Jene Terroristen, die noch Geiseln
festhalten, sollten Immunität für deren Freilassung erhalten. Israel und die Hamas verhandeln nicht direkt miteinander, neben den USA führen Katar und
Ägypten die Gespräche mit beiden Seiten. Ägypten, vor allem aber Katar, das
enge Beziehungen zur Hamas hat, müssten dann sicherstellen, dass solch ein Versprechen auf
Immunität für alle Seiten verbindlich ist. Israel müsse „jetzt schnell handeln und das Vakuum
ausnutzen, um eine schnelle Einigung zu erzielen“, zitiert die israelische
Zeitung Ha’aretz dazu einen namentlich nicht genannten israelischen Offiziellen.
„Dies sollte mit Hamas-Vertretern geschehen, die im Laufe des Tages in
irgendeiner Form Kontakt aufgenommen haben und sich im Vergleich zur harten
Linie von Sinwar flexibel zeigen.“
Israel bereitet einen Angriff auf iranische Ziele vor
Sowohl die
Hisbollah im Libanon als auch das iranische Regime hatten das Ende der Angriffe
auf Israel wiederholt an einen Waffenstillstand im Gazastreifen geknüpft. Mit dem Tod
Sinwars ist nun ein weiterer iranischer Proxy stark geschwächt und damit auch das Regime
in Teheran selbst indirekt getroffen worden. Israel dagegen hat seine
militärische Stärke sowohl defensiv als auch offensiv wiederholt bewiesen. Aus
dieser Position heraus könnten jetzt politisch
verantwortungsvolle Entscheidungen getroffen werden − mit Blick auf Gaza, aber
auch mit Blick auf den Libanon und den Iran.
Tatsächlich aber bereitet sich Israel seit dem
iranischen Vergeltungsangriff für die Tötung von Hisbollah-Anführer Hassan
Nasrallah vor zwei Wochen auf einen Gegenschlag auf iranische Ziele vor. Erst diese Woche
telefonierten dazu US-Präsident Joe Biden und Netanjahu. Bidens Regierung
versucht, Israel von einem Angriff in einem Schweregrad abzuhalten, der die Lage so weit
eskalieren kann, dass die USA in einen
Regionalkrieg direkt mit hineingezogen würden. „Für meine israelischen Freunde ist dies zweifellos ein Tag der
Erleichterung und der Erinnerung“, ließ Biden nach dem Tod Sinwars in einer Erklärung
mitteilen. Nun gehe es darum, zusammen
mit Netanjahu „den Weg für die Heimkehr der Geiseln zu ihren Familien zu erörtern und diesen Krieg, der so viel Leid über
unschuldige Menschen gebracht hat, ein für alle Mal zu beenden.“
Joe Biden hat gute Gründe für seine Worte, denn die US-Regierung steht unter Zeitdruck. Je näher die
Präsidentschaftswahl im November rückt, desto stärker können sich die
Entwicklungen im Nahen Osten auf die Wahlergebnisse auswirken. Ein
Waffenstillstand kann Kamala Harris zusätzliche Stimmen aus dem progressiven
Lager einbringen. Ein Regionalkrieg, in dem sich die USA im schlimmsten Fall
direkt einmischen müssen, wäre das denkbar schlechteste Ende für die Ära von
Joe Biden. Sein Erbe hängt auch davon ab,
ob Netanjahu sich auf Verhandlungen einlässt − oder weiterhin die Konfrontation wählt.
Die Hisbollah will die Angriffe auf Israel ausweiten
Die harte Wirklichkeit steht der Diplomatie zumindest vorerst im Weg. Noch befinden sich Truppen der
israelischen Armee im Südlibanon – ohne Perspektive für einen Abzug und die sichere Rückkehr der mehr
als 60.000 Evakuierten aus Israels Norden. Noch gibt es keine neue
Ordnungsmacht im Gazastreifen, die die Verwaltung von der Hamas und den Wiederaufbau übernehmen
könnte. Noch sterben Menschen. Fünf israelische Soldaten starben am Donnerstag
im Libanon. Libanesische Behörden meldeten derweil 45 Tote durch israelische
Angriffe. Im Gazastreifen wurden laut des von der Hamas geführten
Gesundheitsministeriums 19 Menschen durch israelische Angriffe getötet.
Mit dem Tod Sinwars bietet sich daher zwar ein
Momentum, die Eskalationsspirale zu durchbrechen. Das Zeitfenster dafür
ist aber sehr klein. Zudem ist der Gazakrieg eben längst zum
Mehrfrontenkrieg ausgewachsen. Die Hisbollah erklärte gleich am Donnerstagabend, als
Reaktion auf den Tod des Hamas-Anführers die Angriffe auf Israel ausweiten zu
wollen. Bereits in den vergangenen Tagen ließ sich ein Strategiewechsel der vom
Iran finanzierten Terrormiliz erkennen. Wiederholt schoss sie einzelne Raketen
und Drohnen bis Tel Aviv und bis ins Zentrum Israels. Punktuelle Angriffe, um
ein konstantes Gefühl von Unsicherheit zu schaffen.
In Tel Aviv waren am Donnerstagabend deshalb
nicht nur feiernde Menschen zu sehen, es ließen sich auch die Folgen der anhaltenden
Unsicherheit beobachten. Viele Restaurants und Bars blieben leer. Gäste fragten
nach Tischen in der zweiten Reihe ‒ weg von der Straße und den Fenstern.
Sondereinheiten der Polizei patrouillierten in den Straßen. Nach dem von zwei
Hamas-Terroristen aus dem besetzten Westjordanland verübten Terroranschlag im
Stadtteil Jaffa vor zwei Wochen – dem schwersten seit dem Ende der zweiten Intifada – ist die Sorge groß vor Vergeltungsangriffen für den Tod Sinwars. Wie der Hamas-Funktionär Chalil al-Haja am Freitag erklärte,
werde der Tod Sinwars die Terrororganisation „nur stärken,
und die Geiseln werden erst zurückkehren, wenn Israel den Gazastreifen
verlässt“.
Nachdem der Tod von Jahia Sinwar durch DNA-Proben bestätigt war, trafen sich am Donnerstagabend in Tel Aviv vor dem nationalen
forensischen Institut spontan Menschen und feierten den Tod des Hamas-Anführers.
Auch vor einem Jahr sammelten sich hier täglich Menschen, Angehörige der seit dem
7. Oktober 2023 Vermissten, dazu viele Medienleute. Vor allem aber trafen hier Mitarbeitende der
Rettungsdienste ein, die Särge und Leichensäcke in das Institut brachten, um die
mehr als 1.200 Opfer des Massakers zu identifizieren, für das ebenjener Sinwar maßgeblich verantwortlich
war.