Thyssenkrupp und IG Metall: Konflikt eskaliert weiter
Der Streit zwischen der Gewerkschaft IG Metall und der Thyssenkrupp AG über eine Sanierung der Stahlsparte eskaliert weiter. Am Mittwoch verbreitete die IG Metall ein Flugblatt, in dem sie suggeriert, die Ziele zur Kapazitätsreduktion, die der Thyssenkrupp-Konzern unter seinem Vorstandschef Miguel López durchsetzen wolle, führten zu einer faktischen Minderung der Stahlproduktion auf 5 bis 6 Millionen Tonnen im Jahr.
„Stahl würde halbiert. Ein Horror“, heißt es in dem Schreiben. Und weiter: „Mehrere Standorte müssten dichtmachen.“ Klar sei: „Es kann jeden von uns treffen.“
Der Konzern reagierte umgehend: „Eine konzernseitige Planungsvorgabe zum Betriebspunkt gab und gibt es nicht“, hieß es von dort. In dem vom Stahlvorstand auf der letzten Aufsichtsratssitzung vorgelegten Businessplan sei vorgesehen, die Produktionskapazität von 11,5 auf 9,5 Millionen Tonnen im Jahr zu reduzieren. Zum jetzigen Zeitpunkt seien deshalb „alle Mutmaßungen über möglicherweise betroffene Aggregate und Standorte“ – unabhängig von den Verkaufsbemühungen der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) – „Spekulation“.
Ein technisches Argument
Die „Spekulation“ der IG Metall stützt sich indes auf folgendes Argument: Eine Einigung auf die 9,5 Millionen Tonnen Produktionskapazität war Anfang des Monats fehlgeschlagen. Die Produktion jedoch einfach um beispielsweise weitere 500.000 Tonnen zu senken funktioniere technisch nicht ohne Weiteres. „Denn Stahlwerke und Produktionslinien laufen nur ganz oder gar nicht“, heißt es in dem Schreiben. „Wenn López also weniger will, muss er hart zuschlagen.“ Der Konzern hingegen kontert: „So werden unnötigerweise Ängste und Befürchtungen bei unseren Mitarbeitenden geschürt.“
Am 29. August steht die nächste Aufsichtsratssitzung der Stahlsparte an. Ob und in welchem Ausmaß dann über die Pläne zur Kapazitätsreduktion gesprochen werden wird, ist aber zweifelhaft. Die Beschäftigtenvertreter allerdings gucken mit Sorge auf den Termin. „Dann geht es erneut ums Geld“, glauben sie. Tatsächlich hatte der Aufsichtsratsvorsitzende der Stahlsparte, der ehemalige SPD-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Anfang des Monats angekündigt, dass am 29. August ein Beschluss über eine Zwischenfinanzierung, die der Konzern an seine Tochtergesellschaft im Zuge ihrer Teil-Verselbstständigung geben wird, gefasst werden solle. Nun ist allerdings zu hören, dass die Gespräche über eine solche Zwischenvereinbarung zur Finanzierung noch laufen. Ob sie bis zur kommenden Woche zum Abschluss kommen, scheint offen.
Grundsätzlich sollen Wirtschaftsprüfer im Auftrag von Mutter- und Tochtergesellschaft ein unabhängiges Gutachten über den generellen Finanzierungsbedarf der Stahlsparte anfertigen. Ein solches IDW S6 Gutachten allerdings dauert üblicherweise drei bis sechs Monate. Viele Beteiligte erwarten, dass die wirklich wichtigen Entscheidungen zur Zukunft der Stahlsparte erst fallen, wenn die Ergebnisse des Gutachtens vorliegen.
Wegen der Ängste, die in der Belegschaft aufgrund der unklaren Zukunft herrschen, wollen die Betriebsräte laut Flugblatt an diesem Donnerstag mehrere mobile Beratungsbüros an einigen Werkstoren in Duisburg eröffnen.
Konflikt zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft
Nicht nur zwischen der IG Metall und der Konzernleitung ist die Situation angespannt. Der Ton von Vorstandschef López in Richtung Stahlvorstand war zuletzt ebenfalls immer rauer geworden. „Was wir jetzt brauchen, ist ein nüchterner, realistischer Blick in die Zukunft ohne Hoffnungswerte und ohne Schönfärberei“, hatte López nach der letzten Stahl-Aufsichtsratssitzung gefordert, die in vielen Punkten ohne Einigung zu Ende gegangen war. Der Vorstand von Steel Europe müsse endlich einen langfristig tragfähigen, soliden und finanzierbaren Businessplan für die Neuausrichtung des Stahlbereichs vorlegen, so verbreitete er seine Forderungen öffentlich in einem Statement.
Die IG Metall wertet das in ihrem Flugblatt als offenen Bruch der AG mit Stahlvorstandschef Bernhard Osburg. In dem Schreiben mutmaßen die Gewerkschafter, López vertraue dem Vorstand nicht mehr. „Wahrscheinlich will er ihn mit der Hilfe des Konzerns absetzen lassen. Ein Nachfolger dürfte López aus der Hand fressen“, heißt es weiter.
López strebt für das Stahlgeschäft ein 50:50-Gemeinschaftsunternehmen mit der Energieholding des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky an. Kretinskys Unternehmen ist schon jetzt mit 20 Prozent der Anteile bei der Stahlsparte eingestiegen. Über die weitere Zukunft kann er jetzt mitreden und hat an der letzten Aufsichtsratssitzung auch schon teilgenommen. Mit seinem Einstieg endete ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag der Mutter- an die Tochtergesellschaft, was der Grund dafür ist, dass nun über die künftige Finanzierung der Sparte so sehr gerungen wird.