Theaterregisseurin Mateja Koležnik: „Ich bin neurotisch, eins-zu-eins, gemein und ungeduldig“ – WELT

„Meine Geister!“, sagt Mateja Koležnik. Die Theaterregisseurin holt Grabkerzen aus ihrem Rucksack hervor, die Abenddämmerung legt sich verbleibend den Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte. Koležnik geht im Dunkeln zwischen Bäumen und Gräbern umher: zuerst zielstrebig zu Hegel, dem großen Philosophen des Deutschen Idealismus. Sie zündet eine Kerze an und stellt sie vor dasjenige unscheinbare Grab in dieser zweiten Reihe, eine Hommage an den Weltgeist, dasjenige zerrissene Bewusstsein und die Tragik dieser Dialektik. „Ich bin Hegel-Fan“, sagt Koležnik. „Deswegen bin ich nicht postdramatisch oder postmodern.“

Im deutschsprachigen Theaterbetrieb ist Koležnik eine Ausnahmeerscheinung. Der 1962 im heutigen Slowenien geborenen Regisseurin eilt dieser Ruf vorn, klassisches Theater zu zeugen. Sie lacht: „Wie Peter Stein an einem schlechten Tag, oder?!“ Gar lacht Koležnik viel, ihr Kopf mit den kurzen Haaren ist immer in Bewegung, genau wie ihre Hände. Sie ist ein Mensch, dieser mit dem ganzen Leib denkt und redet. Und sonst? „Ich bin neurotisch, eins-zu-eins, gemein und ungeduldig“, antwortet Koležnik gen Englisch – und lacht wieder.

Als Koležnik vor einem Jahr mit „Kinder dieser Sonne“ zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, wirkte die Jury so gut wie überrascht von dieser eigenen Entscheidung. Die Regisseurin bediene Theatertraditionen, „die irgendwas aus dieser Mode gekommen sind“, so heißt es in dieser Begründung. „Dennoch hat Koležniks Herangehensweise nichts Museales im Prinzip.“ Mit dem Stück von Maxim Gorki, in dem die Cholera verbleibend Russland hereinbricht und soziale Konflikte eskalieren, traf Koležnik nachher dieser Corona-Zeit zusammenführen Nerv.

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Ihre romantisch reimen und psychologisch präzisen Abende – wie „ein lebendes Wimmelbild, dasjenige nie stillsteht“ („Süddeutsche Zeitung Zeitung“) – begeistern seither ein immer größeres Publikum. Wer qua Zuschauer in eine Aufführung von Koležnik geht, dem kann es vorbeigehen, dass die Schauspieler mit dem Versetzen zum Publikum stillstehen oder von kurzer Dauer in einem Winkel des Bühnenbilds verschwinden. Man blickt gen ein geschlossenes System, ein perfekt verschraubtes Räderwerk – eine wahre Freude zum Besten von Fans von Systemphilosophen wie Hegel. Hingegen wird im Kontext Koležnik niemals ein Schauspieler an die Rampe treten, um im ironischen oder tragischen Ton zu verdeutlichen, welches ohne Rest durch zwei teilbar gen dieser Speicher oder in dieser Welt passiert. Koležnik sagt: „Ich liebe die vierte Wand!“

Obwohl man mit viel Liebe zur Guckkastenbühne samt vierter Wand zum Publikum heute kaum noch eine Einladung zum Vorsprechen an dieser Schauspielschule bekommt, arbeitet Koležnik seit dieser Zeit Jahren nur an großen Häusern – unter anderem in München, Wien, Berlin, Bochum und Frankfurt. Wie erklärt sie sich diesen Erfolg? „Ich hatte dasjenige Glück, irgendwas zu zeugen, welches sonst niemand mehr machte“, sagt Koležnik. „Klassisches Theater, irgendwas old fashioned und realistisch, während nicht mehr da irgendetwas Postdramatisches oder Postmodernes probierten.“ Es ist eine Bewegung mit dieser Tradition gegen den Strom.

Am Anfang ist zum Besten von Koležnik dasjenige Wort: „Ich respektiere den Text, manchmal sogar zu sehr. Ich überschreibe nicht oder füge hinzu.“ Das ist selten geworden. Dazu kommt wirklich, dass ihre Arbeiten von einer dieser größten Erfindungen des 20. Jahrhunderts geprägt sind: dem Film. Anders qua ihre Kollegen Katie Mitchell oder Frank Castorf verwendet Koležnik jedoch nie Kameras, um dasjenige Bühnengeschehen abzufilmen, sondern macht aus dem filmischen Blick eine Form fürs Theater. Wie virtuos sie mit Schuss und Gegenschuss arbeitet, hat man in ihrer „Antigone“ in München gesehen, wo die Handlung aus zwei entgegengesetzten Perspektiven gezeigt wird – eine überragende Inszenierung.

„Präzise as fuck!“

Gegen Mittag treffen wir Koležnik im Kontext den Proben zu „Die schmutzigen Hände“ am Berliner Ensemble, die Premiere war Ende Januar. Das Stück von Jean-Paul Sartre wurde 1948 uraufgeführt: Ein junger Revolutionär soll zusammenführen altgedienten Genossen dieser Kommunistischen Partei verstellen, dieser qua Kompromissler und Abweichler gilt. Während dieser Mörder zaudert, zeigt seine Frau erst ihre Beine, später zwar ebenfalls Herz und Hirn – die heimliche Hauptfigur im Kontext Koležnik. Es ein düsteres Jahrhundertdrama verbleibend die Widersprüche des Politischen, verbleibend Treue und Verrat, Erotik und Gewalt, Idealismus und Realismus. Und ohne Happy End. In dieser Weltgeschichte sind die Seiten des Glücks leer, sagt Hegel.

Koležnik wirbelt in dem großen Saal umher. Sie springt hinterm antiken, noch aus Brechts Zeiten stammenden Holzregiepult hervor, gen die Speicher und wieder zurück. „In dieser Szene zu tun sein wir präzise sein!“ Koleznik sagt: „Präzise as fuck!“ Die Präzisionskünstlerin zeichnet mit ihren Fingern Wege und Blicke in die Luft, ihre Hände rotieren zusammenführen kleinen Würfel. Es ist dasjenige Modell des Bühnenbilds von Olaf Altmann, ein monumentaler Bretterkasten, dieser beim Drehen bedrohlich knarzt. Von medial fällt durch die Ritzen dieser Latten ein Licht, dasjenige von Utopie und Erlösung kündet. Doch qua die Wand in dieser Geschichte schließlich fällt, bleibt zum Besten von den jungen Genossen nur Ernüchterung.

Nach dieser Generalprobe stillstehen Koležnik und Altmann im Kontext Grauburgunder und Zigaretten im Hof des Berliner Ensembles, es ist nachher Molières „Der Geizige“ in Frankfurt ihre zweite Zusammenarbeit – mit kräftiger Reibungsfläche zwischen Riesenwürfel und Präzisionsspiel. Sonst arbeitet Koleznik meist mit hyperrealistischen Bühnen, verschachtelt und detailreich. Nun ist dasjenige dieser Abstraktion in 50 Schattierungen von Grau gewichen, zum Besten von die Altmann prestigeträchtig ist. Es sind ästhetische Welten, die wie die Widersprüche im Stück ungebremst aufeinanderprallen.

„Wir steuern auf dunkle Zeiten zu“: Die Regisseurin Mateja Koležnik im Berliner Ensemble.
„Wir steuern gen dunkle Zeiten zu“: Die Regisseurin Mateja Koležnik im Berliner Ensemble.
Quelle: Marlene Gawrisch/Welt

Vor den prächtigen Säulen des Salons im Berliner Ensemble spricht Koležnik verbleibend ihre Begeisterung zum Besten von dasjenige deutsche Theater: Sie nennt Thalheimer und Altmann, zwar ebenfalls Stein, Castorf und René Pollesch, Katrin Brack und Erich Wonder. „Das slowenische Theater hat mit Lessing und dieser Aufklärung eine deutsche Tradition“, sagt Koležnik. Doch solange bis sie selbst in Deutschland inszenierte, dauerte es. Von Ljubljana verbleibend Sarajevo solange bis Belgrad ging es erst 2012, mit 50 Jahren, nachher Chemnitz, später nachher Leipzig. Nach einem gefeierten „Ödipus“ in München kam sie 2017 mit Oliver Reese ans Berliner Ensemble.

Nachdem sie in dieser Hauptstadt gelandet war, entdeckte Koležnik eines Tages in dieser Nähe des Berliner Ensembles den Dorotheenstädtischen Friedhof – mit einem alten Bekannten. „Ich bin in Hegel reingestolpert!“ Koležnik studierte Philosophie im Kontext Mladen Dolar und Slavoj Žižek, beiderlei passionierte Hegel-Leser und inzwischen weit verbleibend die Landesgrenzen hinaus populär. Man kennt sich solange bis heute, erzählt Koležnik. „Slowenien ist so kurz, dass man nicht mehr da kennt. Entweder ist man mit jemanden zugehörig oder hat mit ihm geschlafen.“

Slowenien ist nicht nur gut zum Besten von derbe Witze und Philosophie, erklärt Koležnik, sondern ebenfalls zum Besten von zusammenführen schonungslosen Blick gen Widersprüchliches. In Slowenien treffen dieser Westen und dieser Osten aufeinander. Von dieser Peripherie – zwischen Wien und Belgrad gelegen – blickt man gen die politischen Großräume und entwickelt ein Gespür zum Besten von sich anbahnende Konflikte. „Wir steuern gen dunkle Zeiten zu. Ich habe dasjenige Gefühl, wie Kassandra zu sein“, sagt Koležnik. „Ich kenne dasjenige: So wie heute gesprochen wird, sind es sieben Jahre solange bis zum Krieg.“

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In den jugoslawischen Zerfallskriegen hat Koležnik erlebt, wie Freunde zu Feinden wurden und die Götter aufs Schlachtfeld zurückkehrten. Erleben wir ein Comeback dieser Religion und die Balkanisierung Europas? „Wofür ringen wir?“, fragt Koležnik. Wofür sich die Hände schmutzig zeugen? Das ist die Frage aus Sartres Stück zum Besten von die Gegenwart. „Pro was auch immer, welches wir in Europa an Annehmlichkeiten nach sich ziehen, ist Leckermäulchen im Kampf gestorben. Das nach sich ziehen wir vergessen. Wir nach sich ziehen die Aufklärung vergessen“, sagt Koležnik. Der Fortschritt im Bewusstsein dieser Freiheit, wie Hegel es nennt, ist gen Abwege geraten.

Die westliche Zivilisation ist erschöpft, fährt Koležnik fort. „Die Mischung aus politischer Korrektheit und Gemütlichkeit ist gefährlich. Die Kultur, nicht mehr da vor unangenehmen Gefühlen wahren zu wollen, ist eine Sackgasse.“ Es folgt These gen These, verbleibend dasjenige Theater und die Welt. Koležnik hält sich nicht zurück. So ärgert sie dieser Hang zum Modischen und Gefälligen im Theater. „Heute denkt man vor allem daran, wie man irgendwas verkauft, nicht welches“, sagt Koležnik. „Aber Kunst ist nicht Self Care, Kunst muss unliebsam sein.“

Unangenehm ist nicht dasjenige, welches man mit einem Theaterabend von Koležnik in Verbindung schaffen würde. Doch durch die einnehmenden Atmosphären ihrer Inszenierungen weht irgendwas Unheimliches, ein unauflösbares Unbehagen. Es gibt jedenfalls keine netten Botschaften, die man qua Wahrheit wie eine Münze mit nachher Hause nehmen kann, wie Hegel einst spottete. „Antigone“ und „Kinder dieser Sonne“ enden mit einem zerstörerischen Aufstand. In „Die schmutzigen Hände“ wird die von Politik unbefleckte Idee zum Terrorismus, eine Politik ohne jegliche Idee jedoch zum bloßen Machtspiel.

In die Eckkneipe

Auf dem Friedhof wandeln wir zwischen großen Geistern: Von Hegel geht es noch zu einem weiteren Philosophen, zu Herbert Marcuse. „Weitermachen“ steht gen seinem Grabstein, Koležnik zündet eine Kerze an. Als nächstes bringt sie in Wien „Der einsame Westen“ von Martin McDonagh („The Banshees of Inisherin“) gen die Speicher. Die Premiere ist Mitte März, es liegen wieder harte Wochen dieser Arbeit vor ihr. Die letzte Kerze an diesem Abend bleibt dem großen Konfliktgläubigen Heiner Müller vorbehalten, dieser dasjenige Theater einst qua Totenbeschwörung bezeichnete.

Wo kann man seinen Geistern begegnen? Und wie ihnen entkommen? Die prosaische Antwort lautet: in dieser Eckkneipe im Vergleich zu vom Friedhof, wo schnoddrige Berliner Tresendamen dasjenige Übersinnliche gen dasjenige Ausschenken geistiger Getränke knausern. Bei Wein, Bier und Zigaretten geht es um die Postmoderne, dieser nicht mehr da metaphysischen Fragen qua erledigt gelten. Eine Täuschung, sagt Koležnik. Was unbewältigt bleibt, kehrt unheimlich wieder. Diesen Geistern dieser Vergangenheit muss man sich aussetzen. So könnte man die Theaterarbeit von Mateja Koležnik tatsächlich charakterisieren: qua Phänomenologie dieser Geister.

„Ich bin Hegel-Fan“: Mateja Koležnik im Berliner Ensemble
„Ich bin Hegel-Fan“: Mateja Koležnik im Berliner Ensemble.
Quelle: Marlene Gawrisch/Welt

1962 in Metlika im heutigen Slowenien geboren, war Mateja Koležnik in jungen Jahren eine bekannte Sängerin. „Wie Joni Mitchell, nur ohne Talent“, sagt die Theaterregisseurin heute. Später studierte sie erst Literatur und Philosophie, dann Theaterregie in Ljubljana. Seit 1990 arbeitet Koležnik qua Regisseurin, zunächst in Ex-Jugoslawien und seit dieser Zeit einigen Jahren vor allem im deutschsprachigen Raum. Ihre Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2023 erhielt sie mit „Kinder dieser Sonne“ aus Bochum erstmals eine Einladung zum Berliner Theatertreffen, ihre „Antigone“ aus München stand dieses Jahr in dieser erweiterten Auswahl. Sie lebt immer dort, wo sie ohne Rest durch zwei teilbar arbeitet, in Berlin geht Koležnik gerne zu Hegel gen den Friedhof und in Buchhandlungen.

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Source: welt.de