Theaterdesaster in Berlin: Vor diesem Abend muss man warnen
Wie sieht eine Alarmglocke aus? Rot und rund? Oder doch wie eine große Kirchenglocke, die bei Feuer, Sturm oder sonstigen Gefahren geläutet wird? Dann hat die Bühnenbildnerin Elisabeth Weiß alles richtig gemacht. Diese Glocke hängt nämlich mittig über der Bühne des Deutschen Theaters und senkt sich später tief herab. Leider betätigt sie niemand, obwohl Unheil ausgebrochen ist: Claudia Bossard hat „Die Räuber“ von Friedrich Schiller inszeniert. Der Titel wurde um die Zeile „Der Ort der Geschichte ist Deutschland“ ergänzt, wie es Schiller angegeben hat. Ja, ein deutsches Drama aus Deutschland im Deutschen Theater!
Das scheint der 1985 in der Schweiz geborenen Regisseurin ungewöhnlich vorgekommen zu sein. Sie hat deutsche Literatur- und Theaterwissenschaft an der Universität Bern studiert. Dabei muss sie eine Allergie gegen die kleinen, gelben Reclam-Heftchen entwickelt haben, die bis dato nicht kuriert werden konnte. Nicht anders denn als vergebliche Bewältigung einer posttraumatischen, nein postdramatischen Belastungsstörung ist zu bezeichnen, was die Regisseurin mit ihnen und mit Friedrich Schillers jugendlich-überschwänglichem, 1782 uraufgeführten Schauspiel angestellt hat.
Als wäre der Verlag der Sponsor
Die Inszenierung dauert nur zwei Stunden, die freilich sehr lang werden, und ist auf vier Personen reduziert: Andri Schenardi und Janek Maudrich als die feindlichen Brüder Franz und Karl Moor, Moritz Kienemann als Räuber Spiegelberg und Mathilda Switala als Karls Geliebte Amalia. Ob das eine Entscheidung der Regie war oder ob sich das Deutsche Theater, dem es im ohnedies klammen Berlin weder künstlerisch noch finanziell gut geht, bloß so eine Sparbesetzung leisten kann? Und als Bühnenbild lediglich eine schlichte Spielfläche vor dem weißen Rundhorizont, dazu Stühle, ein paar Stapel Altpapier sowie die Glocke?
Als wäre der Verlag der Sponsor der Produktion, hängt hinten ein riesiges Transparent mit einer Reclam-Reklame. Dementsprechend stecken die vier Schauspieler in riesigen gelben Reclam-Heften aus Schaumstoff, in denen sie zu Beginn schreiend nach vorne stürzen, herumtoben, auf die Papierballen einschlagen (Kostüme: Andy Besuch). Bald sitzen sie dann in ihren ambitionierten Karnevalskostümen an der Rampe und lesen aus den handelsüblichen Heftchen vor: „Die Räuber. Von Friedrich Schiller.“ Da könnte man den Saal eigentlich schon verlassen, denn viel mehr wird nicht passieren.

Gezeigt wird im Folgenden eine Schrumpfversion von Theater, in der sich der Originaltext mit mancherlei englischem, affektiert eingestreuten Modejargon mischt. So sagt Karl etwa: „Das ist part of love. Erziehung.“ Die grobschlächtigen Kürzungen haben allerdings zur Folge, dass sich die Konflikte kaum vermitteln: Das Aufbegehren der Jugend gegen die Obrigkeit? Sozialkritik? Gott? Mensch? Freiheit? Alles bleibt leeres Geschwätz, wenn auch mit Inbrunst vorgetragen.
Claudia Bossard wurde für den Programmzettel interviewt und sagt, dass es heute nichts mehr zu räubern gibt, „weil die Welt komplett ausgebeutet, unterteilt, privatisiert und eingestampft ist“. Moment, hing Räubern nicht einmal durchaus mit Privateigentum, Ausbeutung, Armut zusammen?! Das Stück wird ohne den historischen Kontext zu einer reinen Privatfehde, in der zwei Brüder um die Gunst ihres Vaters kämpfen. Formal reiht Claudia Bossard dafür Monolog an Monolog an Monolog, bis man sich wie beim Vorsprechen in einer Schauspielschule fühlt.
Oh, es schillert in mir!
Alle werfen sich voller Emphase auf ihre Texte („Oh, es schillert in mir!“), aber man glaubt ihnen deren Durchdringung nicht, von der szenischen Übersetzung ganz zu schweigen. Außerdem wanzen sie sich wie drittklassige Alleinunterhalter beim Publikum an und lassen dafür ihren Schiller sausen. Amalia trippelt zwischendurch, verkleidet als Textmarker respektive „Santa Stabilo“, an die Rampe, schmeißt Reclam-Hefte ins Volk und berlinert dabei fürchterlich. Was haben ihr denn die armen Druckwerke getan? Franz, der als hässlich und langweilig bezeichnete Bruder, suhlt sich aufgedreht in Selbstekel und bringt Karl beim Vater in argen Misskredit („Summa summarum, dismissed, gecancelt, enterbt“).
Karl wiederum gefällt sich als sexy Tagedieb, rezitiert sich die Seele aus dem Leib und meckert wie ein triebgesteuerter Querdenker über das „schlappe Kastratenjahrhundert“. Spiegelberg fährt auf dem Rad im Kreis, hat einen Baseballschläger griffbereit und muht erst ausgiebig, ehe er das Wort „Mut“ über die völkischen Lippen bringt. Manchmal werden kurze Videoszenen eingeblendet, in denen die Figuren statt ihrer heutigen Alltagsklamotten eine Art Sturm-und-Drang-Garderobe tragen. Oft säuselt Musik, gern choralhaft anmaßend oder einfach Techno. Der Abend verfügt über nicht mehr als ein paar verstaubte Stilmittel der Postdramatik, die seine Gedankenblässe und Regietrübnis jedoch nicht kaschieren. Man sollte die zu erwartenden Schulklassen vor ihm warnen.
Source: faz.net