Theater | „Sabotage“ von Yael Ronen an welcher Schaubühne: Dardroben wird man ja wohl noch lachen die Erlaubnis haben

Die Dramatikerin Yael Ronen ist eine Meisterin ihres Fachs. Nun spießt sie in „Sabotage“ an der Schaubühne in Berlin deutsche Diskurse um Nahost auf. Das ist sehr komisch, aber am Ende drängt sich ein Verdacht auf


Geht ein Neurotiker zur Therapie: Jona Lubnik (Dimitrij Schaad) und Pia (Eva Meckbach)

Foto: Ivan Kravtsov


Es beginnt mit einem Holocaust-Witz. Dimitrij Schaad steht auf der Bühne und wendet sich ans Publikum. Doch halt, das ist falsch: Hier spricht nicht Schaad, sondern die Figur Jona Lubnik, die er in Sabotage, dem neuen Stück von Yael Ronen an der Schaubühne in Berlin, verkörpert. Das ist wichtig, denn: Wir sind hier im Theater, auch wenn die Realität mit aller Macht gegen die Türen hämmert.

Er erzählt also diesen Witz – „Und keine Panik, ich bin Jude, ich darf Holocaust-Witze machen!“ –, in dem ein Rabbi sagt: „Immerhin waren wir nicht die Täter.“ Bedeutungsvolle Pause. Die klar macht, was hier der Bezug zur Realität ist: Dass „die Juden“ angeblich „Täter“ geworden sind, davon handelt dieser Abend.

Yael Ronen, die 1976 in Jerusalem geborene Autorin und Regisseurin dieses Stücks, ist eine Meisterin ihres Fachs. Immer wieder schafft sie es, die düsteren Ecken der Gesellschaft mit dem schummrigen Licht des Lachens auszuleuchten. Wer, wenn nicht sie, könnte also das neurotische Verhältnis Deutschlands zum Nahostkonflikt in eine Komödie verwandeln?

Dimitrij Schaad ist ein grandioser Entertainer

Im Zentrum steht Jona Lubnik: Ein total neurotischer jüdischer Dokumentarfilmer, der in einer Schaffenskrise steckt. Seit zwei Jahren quälen ihn Selbstzweifel und gesundheitliche Probleme: Eine Steißbeinfistel – die genauen Umstände dieser verwachsenen Haare am Hintern breitet er detailliert aus – habe ihn „für jede Art von zivilem Ungehorsam untauglich“ gemacht. Er sei daher „buchstäblich und im metaphorischen Sinne ausschließlich damit beschäftigt, meinen eigenen Arsch zu retten“.

Das ist alles in seinen psychoanalytischen Andeutungen so durchsichtig wie komisch, zumal Dimitrij Schaad ein grandioser Entertainer ist. Dass „existenzielle Verzweiflung über den Zustand der Welt“ für seine Figur „eher eine Indoor-Aktivität“ ist, darf man getrost als Kommentar auf dieses Setting verstehen: Im wohlig geheizten Theater lacht sich’s gut über den Krieg.

Womit wir wieder bei der Realität wären. Klar, Figurenrede ist nicht Autorenrede. Aber man darf ruhig annehmen, dass das Thema auch die Autorin umtreibt. Wie kann, wie darf, wie soll man sich als jüdischer Künstler in Deutschland zum Vorgehen Israels in Gaza verhalten?

„Sabotage“: Seine Frau will den Film verhindern

Lubnik plant den Befreiungsschlag: Er will einen Film drehen. Und zwar über Jeschajahu Leibowitz. Der Wissenschaftler, Philosoph und tief religiöse Gelehrte war überzeugter Zionist – und warnte schon unmittelbar nach dem Sieg von 1967 davor, dass die Besatzung Israel korrumpieren würde. „Wie jeder gute Prophet hatte er absolut recht und war dabei absolut unausstehlich“, erklärt Lubnik seiner Frau Gloria (Carolin Haupt).

Mit strenger Frisur und weißer, akkurater Kleidung ist sie der Kontrast zu ihrem zerknitterten Mann. Sofort läuten bei ihr alle Alarmglocken: „Und du willst DAS sagen. Heute. In Deutschland.“ Gloria ist kurz davor, die Leitung der Berliner Charité zu übernehmen, und hat fortan nur ein Ziel: zu verhindern, dass ihr Mann diesen „antisemitischen Film“ dreht, der ihre Karriere zerstören könnte. Dafür spannt sie auch Jonas Therapeutin Pia (Eva Meckbach) ein, die wiederum ein alles andere als therapeutisches Interesse an Gloria entwickelt hat.

Und dann ist da noch Pias Bruder Lukas (Konrad Singer), der als Metapher für die deutsche Gesellschaft einen Schlaganfall bekommt. Fortan – Neurologin Gloria erklärt es ihm höchstpersönlich, um so an Pia heranzukommen – hat er einen blinden Fleck: einen kaputten Teil des Gesichtsfelds, der vom Gehirn mit einer Halluzination gefüllt wird: Ein mit dem Smartphone filmender Jesus verfolgt ihn nun auf Schritt und Tritt.

„Sabotage“ von Yael Ronen ist handwerklich gut gearbeitet

Also: Alle sabotieren in einem fort sich und die anderen. Das ist handwerklich gut gearbeitet, die Dialoge laufen wie am Schnürchen, die Pointen lösen einen Lacher nach dem nächsten aus und die Charaktere sind bis in die Namen gekonnt überzeichnet: Die herrliche Gloria und ihr Mann, dessen Name schon „Taube“ bedeutet; die Fromme, Pflichtgetreue, die als Therapeutin eine Art libidinös aufgeladenen Priesterinnenersatz bildet, mit dem Evangelisten-Bruder, der von Jesus verfolgt und sogar bekehrt wird.

Das Publikum nimmt all das dankend an. Schon der erste Lacher scheint etwas zu lösen: Endlich dürfen wir lachen. Über diese anstrengenden Diskussionen über Nahost, über die zerbrochenen Freundschaften, die eigenen Gewissenskämpfe.

Doch letztlich wirkt das alles doch etwas glatt. Als verberge sich der Text hinter dem Klamauk. Man darf, wie gesagt, der Autorin nicht die Aussagen ihrer Figuren zuschreiben. Aber der Kritik sollte man sie trotz der humoristischen Rüstung unterziehen. Dass Israel in Gaza einen Genozid begeht, dass Leibowitz’ Wort von den „Judeo-Nazis“ wahr geworden sein soll, das steht hier nicht mehr zur Debatte. Gleichzeitig kommt der explodierende Antisemitismus infolge des 7. Oktobers höchstens andeutungsweise vor, das Massaker selbst gar nicht mehr.

So kommt der Verdacht auf, dass hier vor allem humoristische Komplizenschaft entsteht: Die Juden als Nazis – darüber wird man ja wohl noch lachen dürfen!