„The Economist“ übrig Merkels Bilanz – 16 Jahre „Durchwurschteln ohne Reformen“

5861 Tage war Angela Merkel deutsche Bundeskanzlerin. Am 26. November erscheint ihr Buch „Freiheit“. Noch vor der Veröffentlichung fällt das Magazin „Economist“ aus London ein hartes Urteil über Angela Merkels Kanzlerschaft – diese habe Deutschland und die EU in einen stetigen Abstieg getrieben.

Ende November, mitten im Weihnachtsgeschäft, erscheint das neue Buch von Kanzlerin a.D. Angela Merkel (CDU). „Freiheit. Erinnerungen 1954 – 2021“ heißt es und das Werk wird bereits mit Spannung erwartet. Was wird die Frau zu sagen haben, die 16 Jahre lang Deutschland regierte und immerhin 14-mal vom Magazin „Forbes“ zur „mächtigsten Frau der Welt“ gewählt wurde?

Der in London erscheinende „The Economist“ wagt nun bereits eine erste Prognose. Das Magazin rechnet in seiner Kolumne „Charlemagne“ demnach mit einem „eher defensiven Ton“ der Memoiren. Statt der eher üblichen „Ehrenrunde“ im medialen Rund seien allenfalls einige der „obligatorischer Sticheleien“ gegen einstige politische Gegner zu erwarten. Dabei gäbe es, so „The Economist“ weiter, doch erheblichen Klärungsbedarf.

Denn jeder Monat, der vergehe, würde daran erinnern, „wie ihre (Merkels, die Redaktion) Regierungszeit Deutschland in den Sumpf getrieben hat“, befindet die internationale Wochenzeitung. Denn nicht nur Deutschland, nein oft sogar die gesamte Europäische Union, hätte scheinbar nach jeder großen Merkel-Entscheidung schlechter dagestanden als zuvor, heißt es dort weiter.

Den düsteren Merkel-Sound für Deutschland und Europa gebe ein Akkord mit drei Tönen an. Merkel habe ein Deutschland hinterlassen, dass sich ohne Hilfe der USA nicht selbst verteidigen, ohne den Export nach China nicht wachsen und ohne russisches Gas seine Wirtschaft nicht am Leben halten könne.

Der „Economist“ urteilt zudem mit wirtschaftlich geschultem Blick: „16 Jahre des Durchwurschtelns ohne Reformen haben Deutschland einmal mehr zum wirtschaftlich kranken Mann Europas gemacht.“ Die Diagnose des „kranken Mannes Europas“ erhielt Deutschland übrigens vor 25 Jahren schon einmal. Die Diagnose stellte damals: „The Economist“.

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Was genau schieflief? Das fragt sich nicht nur das britische Wirtschaftsleitmedium, und es liefert die Antwort gleich hinterher: Wladimir Putin. Deutschland sei auf den Angriffskrieg der Russen gegen die Ukraine 2022 unvorbereitet gewesen, auch weil Angela Merkel und Putin regelmäßig Kontakt hielten. Statt spätestens nach der Krim-Invasion 2014 auf Abstand zu gehen, gingen vor allem die Gas-Geschäfte weiter.

Die Schuldenbremse steht, aber in Deutschland brechen Brücken ein

Auf EU-Ebene vergibt der „Economist“ denn auch das wenig schmeichelhafte Prädikat „Merkeln“ an die Ex-Kanzlerin. Durch unzählige EU-Gipfel habe sich Merkel quasi „durchgemerkelt“ und so damit immer wieder Entscheidung bis zum letzten Moment aufgeschoben, sei die Krise auch noch so dringlich gewesen.

Dem europäischen Staatenbund habe dieses Aufschieben und Warten im übertragenen Sinne drei Fallstricke vor die Füße geworfen. Einerseits, so ist sich der „Economist“ sicher, habe Merkel durch ihre Deckung für Ungarns Regierungschef Viktor Orbán antidemokratischen Bestrebungen in der EU einen Vorschub geleistet. Weiterhin trete die europäische Wirtschaft insgesamt auf der Stelle, nicht zuletzt ein Report Mario Draghis sei dessen Zeuge. Und drittens: Die Migrationspolitik anno 2015 sei zwar „lobenswert“ gewesen, habe aber in Deutschland und anderswo zu einem Erstarken der extremen Rechten geführt.

Zu guter Letzt erwähnt die Londoner Zeitung noch die deutsche Geldpolitik. Außenpolitisch beinhaltete diese große Sparansagen an die europäischen Nachbarn. Innerpolitisch hingegen sei die Schuldenbremse etabliert worden. Statt durch Investitionen mittels Kredite aus Zeiten der Null-Zins-Politik „fit für das 21. Jahrhundert“ zu werden, stürzten in Deutschland mittlerweile im buchstäblichen Sinne Brücken ein und das Bahnsystem verkomme immer mehr.

„Diejenigen, die sich fragen, wie Europa in die gegenwärtige Misere geraten ist, werden zu Recht auf die Amtszeit von Frau Merkel schauen“, schließt der „Economist“ seine Analyse denn auch mit einem bitteren Fazit ab.

jag

Source: welt.de