Temu, Shein & Co.: Billigshops aus China hinfallen wie Sündenbock aus

In der Vorweihnachtszeit schreiben viele Kinder ihren Wunschzettel an das Christkind. Auch wenn die meisten Einzelhändler wohl nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben, so sind deren Hoffnungen im Dezember wohl mindestens genauso groß wie jene der Jüngsten. Schließlich gelten die Wochen vor Weihnachten als die umsatzstärkste Zeit des Jahres.

Allerdings ist die Stimmung in der Branche derzeit miserabel. Laut einer Umfrage des Handelsverbands Deutschland (HDE) sind mehr als zwei Drittel der befragten Unternehmen enttäuscht vom bisherigen Weihnachtsgeschäft. Dementsprechend sind die Prognosen dürftig: Der Verband rechnet für November und Dezember im Vergleich zum Vorjahr mit einem mickrigen Wachstum von 1,5 Prozent. Das HDE-Konsumbarometer, das die Verbraucherstimmung der kommenden drei Monate abbildet, ist im Dezember auf dem niedrigsten Stand seit Jahresbeginn. Schon die Umsatzprognose für den ebenso wichtigen Black Friday fiel dieses Jahr sogar negativ aus.

Das Problem: Auf die wohl wichtigsten Gründe für die Misere haben die Handelsunternehmen keinen Einfluss. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der Krieg im Nahen Osten verunsichern viele Menschen. Als wäre das nicht genug, drückt die schon viel zu lange anhaltende Wirtschaftskrise in Deutschland die Konsumlaune in den Keller. Politisch und wirtschaftlich unsichere Zeiten sind Gift für den Einzelhandel.

Die Rahmenbedingungen für Unternehmen müssen sich bessern

Die beste Medizin gegen die Konsumflaute ist eine wachsende Volkswirtschaft. Es kommt in der aktuellen Situation vor allem darauf an, die Angebotsseite zu stärken, also die Produktionsbedingungen zu verbessern. Die Bundesregierung hat in diesem Jahr zwar einige sinnvolle Unterstützungen für die Wirtschaft auf den Weg gebracht, aber die bisherigen Bemühungen reichen noch lange nicht aus. Die im globalen Vergleich hohe Gesamtbelastung durch Steuern für Unternehmen sollte deutlich unter der Marke von 25 Prozent liegen – und das am besten vor 2028. Außerdem leidet das Land in vielen Bereichen unter Überregulierung. Wichtige Impulse für Entbürokratisierung und Digitalisierung hat die Koalition schon angestoßen. Die Regierung darf hier nicht lockerlassen und muss das Land von unnötigen Regeln befreien.

Es ist sinnvoll, dass die öffentlichen Ausgaben für Infrastruktur steigen. Doch vor allem in der Bildung sollte die Bundesregierung noch nachlegen. Auch der Einzelhandel sucht nach qualifizierten Fachkräften. Es ist ein Skandal, dass Berufschancen hierzulande immer noch so stark von der sozialen Herkunft abhängen. Deutschland bleibt auch deswegen ökonomisch unter seinen Möglichkeiten, weil das Potential von Kindern aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien und Menschen mit Migrationshintergrund nicht voll ausgeschöpft wird. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf könnte noch besser sein.

Was schon länger auf der Wunschliste von vielen Einzelhändlern steht: eine bessere Regulierung der Onlineplattformen mit chinesischem Ursprung wie Temu, Shein und Aliexpress. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass diese Onlineshops den fairen Wettbewerb untergraben. Wer mutmaßlich gegen die Produktstandards der EU verstößt, illegale Steuer- und Zolltricks anwendet und auf manipulative Werbung setzt, muss die volle Härte des Rechtsstaates spüren. Die EU sollte die geplanten Reformen so schnell wie möglich umsetzen.

Die berechtigte Kritik an Temu und Co. darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Ladensterben in deutschen Städten schon lange vor deren Markteintritt begonnen hat. Das strukturelle Machtungleichgewicht geht vor allem auf Marktführer Amazon zurück, dem das Bundeskartellamt hierzulande eine überragende marktübergreifende Bedeutung attestiert hat.

Zugleich zeigt der Erfolg von Unternehmen wie Breuninger oder NKD, dass Wachstum selbst im besonders herausfordernden stationären Modegeschäft möglich ist. Markterfolg hat eben nicht zuletzt auch viel mit gutem Management zu tun. Die Untergangsstimmung mancher Branchenvertreter ist daher nicht gerechtfertigt. Immerhin hat der Einzelhandel ohne Lebensmittel in den ersten zehn Monaten real um mehr als vier Prozent zugelegt. Einige deutsche Autohersteller wären froh über solche Zahlen. Wer zögert, sein Geschäftsmodell grundlegend zu hinterfragen und anzupassen, ist selbst schuld – und nicht die Regierung, Amazon oder Temu.