Telefonat Scholz-Putin: Selenskyj kritisiert Scholz zu Gunsten von Gespräch mit russischem Präsidenten

Nach dem ersten Telefonat zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin seit fast zwei Jahren hat die Ukraine Kritik an dem Gespräch geübt. Die ukrainische Regierung warf Scholz vor, Putin in die Hände zu spielen. Scholz schrieb auf X, er habe Putin aufgefordert, seine Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen und Friedensverhandlungen mit Kiew aufzunehmen. 

Nach russischen Angaben pochte Putin in dem Telefonat jedoch darauf, dass ein mögliches Abkommen die „neuen territorialen Realitäten“ widerspiegeln müsse. „Mögliche Vereinbarungen sollten die Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation berücksichtigen, von den neuen territorialen Realitäten ausgehen und vor allem die eigentlichen Ursachen des Konflikts angehen“, schrieb die russische Führung. Russland bleibe aber offen für Gespräche, sagte Regierungssprecher Dmitri Peskow. Scholz hatte auf eigene Initiative angerufen. Beide hatten zuletzt am 2. Dezember 2022 miteinander telefoniert.

Selenskyj sieht „Büchse der Pandora“ geöffnet

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Scholz vor, mit dem Telefonat die „Büchse der Pandora“ geöffnet zu haben: „Das ist genau das, was Putin seit Langem will: Es ist extrem wichtig für ihn, seine Isolation zu schwächen“, sagte er in einer Videobotschaft. Putin habe dies jahrzehntelang so gemacht. „Das hat es Russland erlaubt, nichts an seiner Politik zu ändern, im Grunde nichts zu tun, und das führte gerade zu diesem Krieg.“ 

Zugleich bekräftigte Selenskyj, dass der Krieg nicht wie zwischen 2014 und 2022 mit Waffenstillstandsabkommen eingefroren werden dürfe. „Wir wissen, was zu tun ist und warnen: Es wird kein ‚Minsk 3‘ geben, wir brauchen einen realen Frieden.“ Damit bezog er sich auf die 2014 und 2015 von Deutschland und Frankreich vermittelten Friedensvereinbarungen für die Ostukraine, die nach der belarussischen Hauptstadt Minsk benannt wurden.

Er bestätigte, dass Scholz ihn vorab über das Telefonat informiert habe. Das Außenministerium in Kiew erklärte, nötig im Umgang mit Putin seien „konkrete und starke Aktionen, die ihn zum Frieden zwingen, und nicht Überzeugungsarbeit und Appeasement-Versuche, die er als Zeichen der Schwäche sieht und zu seinem Vorteil nutzt“. Die Ukraine müsse nach den Worten von Präsident Selenskyj selbst alles ihr Mögliche unternehmen, um den Krieg mit Russland im kommenden Jahr auf diplomatische Weise zu beenden. Russlands Präsident sei nicht an einer Einigung interessiert, sagte Selenskyj. Die Lage im Osten der Ukraine sei schwierig, Russland komme voran.

Scholz fordert Bereitschaft Russlands zu Verhandlungen

Scholz schrieb auf X, er habe Putin aufgerufen, „den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden. „Russland muss Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Ukraine zeigen – mit dem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens.“ Nach Angaben eines Regierungssprechers habe Scholz in dem Gespräch „die unverbrüchliche Entschlossenheit Deutschlands, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression so lange wie nötig zu unterstützen“ betont. Scholz und Putin hätten vereinbart, in Kontakt zu bleiben.

Zu den Vorbedingungen Putins für Verhandlungen gehört unter anderem, dass die Ukraine vier ihrer südlichen und östlichen Regionen aufgibt, die Russland annektiert hatte, ohne diese jedoch vollständig zu kontrollieren. Die Ukraine lehnt dies entschieden ab. Zudem wehrt sich Russland seit Langem gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine.

Selenskyj hofft auf Trumps Unterstützung

Der Süddeutschen Zeitung sagte Scholz zudem, er habe in dem Telefonat keine Hinweise darauf erhalten, dass der künftige US-Präsident Donald Trump gemeinsam mit Putin versuchen könnte, ein Friedensabkommen über den Kopf der Ukraine hinweg zu schließen. Hintergrund sind Befürchtungen, dass Trump die milliardenschweren US-Militärhilfen für Kiew kürzen und sich mit Putin auf einen Frieden zum Nachteil der Ukraine einigen könnte. Für ihn gelte der Grundsatz, dass „nichts über die Ukraine ohne die Ukraine entschieden“ werden dürfe, sagte Scholz demnach.

Gleichzeitig sagte Selenskyj in einem Interview mit der öffentlich-rechtlichen ukrainischen Medienanstalt Suspilne, mit Trump als US-Präsident könne der Krieg früher beendet werden: „Es ist sicher, dass der Krieg mit der Politik des Teams, das jetzt das Weiße Haus führen wird, früher enden wird.“ Das sei „ihr Ansatz, ihr Versprechen an ihre Bürger.“ Selenskyj sagte weiter, er habe bei seinem Telefonat mit Trump nach dessen Wahlsieg einen „konstruktiven Austausch“ gehabt. „Ich habe nichts gehört, was gegen unsere Position ging.“