Technischer Fortschritt: Die Zukunft ist leider voll
Es
ist mal wieder so weit, denkt man gelangweilt, wenn an diesem Freitag ein neues iPhone
erscheint. Erst vergangene Woche hatte Apple das sechzehnte Modell des Smartphones
angekündigt – und damit auch das sechzehnte Werbeversprechen gegeben, die
Speerspitze des technischen Fortschritts in handschmeichelnder Form zu verkaufen.
Routiniert zählte das Unternehmen die dann doch eher marginalen Verbesserungen auf.
Eine bessere Kamera, ein leistungsfähigerer Chip, ein ausdauernderer Akku. Als
Paukenschlag, als wirklich ganz große Revolution präsentierte man: einen neuen
Knopf. Der soll beim Fotografieren das Zoomen erleichtern. Und während die
pockennarbige Einbuchtung auf der Seite des Handys vorgeführt wurde, begriff
wirklich jeder, dass die Zukunft bei Apple mittlerweile ausverkauft ist.
Fast
unvorstellbar ist es heute, dass noch vor wenigen Jahren Technikenthusiasten nächtelang
vor Fachgeschäften kampierten, um die Ersten zu sein, die ein neues Gerät in den Händen halten. Damals war es der Glaube an ein grundsätzliches
Versprechen der Moderne, der die Menschen ihre Zelte aufschlagen ließ: dass
Fortschritt konsumierbar sei. Inzwischen ist das abgegriffen wie eine alte
Smartphonehülle, und das nicht nur bei Apple: Wie es der Zufall will, kündigte
Sony nur einen Tag nach der Präsentation des iPhone 16 die neue Playstation 5
Pro an. Doch auch hier wenig Bahnbrechendes: Die jüngste Playstation kann
virtuelle Frisuren noch ein wenig detaillierter darstellen als ihr
Vorgängermodell, mehr eigentlich nicht.
Neu
an beiden Geräten ist vor allem der Preis: Sonys Spielkonsole kostet
mittlerweile 800 Euro, das iPhone 16 gibt es praktisch nicht mehr unter 1.000
Euro zu kaufen. Über diese Verteuerung herrscht große Empörung im Internet, was
nicht allzu aussagekräftig ist, weil dort immer große Empörung herrscht.
Dennoch will man ausnahmsweise einstimmen ins Geheul, denn lange schon hat man
das Gefühl, dass Alltagstechnologien nicht mehr besser, sondern nur noch kostspieliger
werden. Und langweiliger! Seien es Elektroautos, VR-Brillen oder Smartwatches: Aus
jeglichen technischen Geräten scheint der letzte Rest Weltgeist entwichen zu
sein.
Wo
aber ist er hin? Als sich die Leute zum letzten Mal für ein Smartphone die
Nächte um die Ohren schlugen – 2017 für das damals neu designte iPhone X –, sah
die Welt jedenfalls noch deutlich anders aus. Seither haben wir eine globale
Pandemie durchgemacht, zwei Kriege sind ausgebrochen, die das bisherige
geopolitische Gleichgewicht ins Wanken bringen, und überall in Europa vollzieht
sich ein strammer Rechtsruck.
Beinahe
wirkt es, als würden Phasen technischer und politischer Beschleunigung einander
ausschließen. Beispielsweise wurde das World Wide Web 1989 nur wenige Monate vor dem Fall der Berliner Mauer erfunden. Das nach dem Ende der Sowjetunion prophezeite
Ende der Geschichte war also zugleich der Startschuss eines bis dato nie
da gewesenen digitalen Fortschritts. Zu Beginn der Neunziger kommunizierte man
per Festnetz und Faxgerät, gegen Ende des Jahrzehnts waren sie durch Handys und
Computer ersetzt worden. Das atemberaubende Tempo dieser Dekade lässt sich auch
anhand von Videospielen erzählen: Die erste Playstation, 1994 erschienen, war
nur zu rudimentärer 3D-Grafik in der Lage, die uns heute lachhaft erscheint.
Die Playstation 2 hingegen konnte sechs Jahre später bereits annähernd
fotorealistische Bilder generieren. Eines ihrer Spiele, Metal Gear Solid 2,
sollte unter anderem in einem bombardierten New York spielen. Als diese Fiktion
mit den Terroranschlägen des 11. September von der Wirklichkeit vorweggenommen
wurde, sahen sich die Entwickler jedoch gezwungen, die Szenerie zu ändern. Zu lebensecht
mutete das Spiel an, um einen zweiten virtuellen Angriff auf New York zuzulassen.
9/11 markierte somit die
Fortsetzung der Geschichte – zugleich aber auch das Ende des technologischen
Endspurts im Informationszeitalter. Das mag auf den ersten Blick kontraintuitiv
erscheinen, verbindet man mit den Nullerjahren doch den lebensweltlich bahnbrechenden
Umbruch in die Smartphone-Ära. Doch schaut man genauer hin, ging es bei diesem „Apple-Fortschritt“
der 2000er weniger um neue Erfindungen als um die Neuinszenierung bestehender
Technologien. Der iPod war nicht der erste portable MP3-Player, das iPhone war
nicht das erste Smartphone und das iPad nicht das erste Tablet. Alle drei Geräte
sind Erfindungen der – richtig – Neunziger. Daher rührt vielleicht auch der
massenhafte Eindruck, dass die Nullerjahre das eigentliche digitale
Zukunftsjahrzehnt waren: Hier kam die Zukunft überall an, in nahezu allen
Händen, in fast jedem Leben, und setzte alles in
Bewegung.