Tech-Elite und Kampfsport: Kampfsport als Hobby

Khai Wu hat den Kampfnamen „The Shadow“. So nennt er sich, weil jemand nach einem Kampf mal auf ihn zukam und sagte, er sei schwer zu treffen, so als ob er ein Schatten wäre. Wus Trainingspartner Mark Zuckerberg schafft es manchmal trotzdem. Jedenfalls in dem Video von einer Trainingseinheit, das der Mitgründer und Vorstandschef des Internetkonzerns Meta vor einigen Monaten auf In­stagram veröffentlicht hat und in dem er sich mit Wu auf der Matte duelliert. „Nice“, sagt Wu darin wiederholt lobend. Zum Beispiel, als Zuckerberg ihn einmal am Oberschenkel packt und zu Boden wirft. Oder als der Multimilliardär auf dem Rücken liegt und in die Offensive geht, indem er sein Bein um Wus Hals schlingt. „Gute Arbeit, Mark“, sagt Wu am Ende zu seinem verschwitzten Partner.

Der Meta-Chef ist seit wenigen Jahren ein leidenschaftlicher Hobbykampfsportler. Er macht Jiu Jitsu, wobei er auch von Mixed Martial Arts oder MMA spricht, was Elemente verschiedener Kampfsportarten beinhalten kann. „Es ist der beste Sport“, sagte er unlängst in einem Podcast. Es habe etwas „Ursprüngliches“, und er sei schon bei seinem ersten Training so fasziniert gewesen, dass er sich gefragt habe, warum er das nicht schon sein ganzes Leben lang mache. Nach einer Stunde Kampfsport fühle er sich bereit, jegliches Problem in seiner Arbeit anzugehen.

Der 27 Jahre alte Wu sagt im Gespräch mit der F.A.Z., Zuckerberg sei „richtig gut“ und auch physisch „richtig stark“, jedenfalls stärker als der Durchschnitt. Und der Meta-Chef sei nicht der einzige Kampfsportfan aus der Technologieszene im kalifornischen Silicon Valley. Wu berichtet, sein Kampfsportstudio in der Region habe in den vergangenen Jahren einen Zustrom von Besuchern aus der Branche erlebt. Zuckerberg sagt, er habe mittlerweile viele seiner Freunde für den Sport begeistert und übe ihn auch gemeinsam mit ihnen aus. Es sei einfach toll, mit Freunden „herumzuringen“.

Wu beschreibt Jiu Jitsu als „Schach mit Körperteilen“. Der Sport erfordere „ständiges Lösen von Problemen“ und sei deshalb sehr komplex, darin liege gerade für die Tech-Klientel auch sein wesentlicher Reiz. Aber auch die Lust daran, sich im körperlichen Wettbewerb mit anderen Personen zu messen, spiele eine Rolle. „Es gibt diesen Dopaminschub, wenn man mit jemandem kämpft, ihn unterwerfen kann und er seine Niederlage eingestehen muss.“ Das sei eine andere Art des Wettbewerbs als etwa Golf oder Tennis, und in vielen Fällen ein „Ventil“. Jiu Jitsu sei auch ein vergleichsweise sicherer Kampfsport mit niedriger Verletzungsgefahr, etwa gemessen an Boxen.

„Die sehen oft nicht einschüchternd aus“

Rein äußerlich kann man die Hobbykampfsportler aus der Techindustrie offenbar unterschätzen. Wu hat beobachtet, viele von ihnen wirkten auf den ersten Blick harmloser, als sie es dann auf der Matte seien, es seien reichlich Brillenträger darunter. „Die sehen oft nicht einschüchternd aus, aber dann können sie einen in den Würgegriff nehmen.“ Dabei verließen sie sich in vielen Fällen nicht in erster Linie auf Athletik, sondern setzten mehr ihren Kopf ein. „Ihr Gehirn arbeitet schneller, und das gibt ihnen einen Startvorteil.“ Sie hätten ihren eigenen Kampfstil, der „sauber“ und „effizient“ sei. „Das ist brillantes Jiu Jitsu.“

Zuckerberg hat gesagt, ihm gefalle Kampfsport, weil er ihn sowohl physisch als auch intellektuell stark beanspruche und volle Aufmerksamkeit erfordere. „Wenn du nur eine Sekunde nicht aufpasst, liegst du am Boden.“ Zudem meint der 38 Jahre alte Meta-Chef, sein Hobby nütze ihm in seinem Unternehmen und gebe ihm Lektionen über „Flow“ und „Momentum“. Für ihn gehöre es zu den schwierigsten Dingen, zu erkennen, wann er etwas mit aller Kraft weiterverfolgen sollte und wann nicht. Deshalb sei es hilfreich, Intuition dafür zu entwickeln, wenn sich das Momentum drehe.

Die Begeisterung des Meta-Chefs für die Materie zeigt sich daran, dass er auf Instagram vielen Kampfsportlern folgt, Wu ist einer von ihnen. Dass die beiden nun zusammen trainieren, ergab sich Wu zufolge über seinen Schwager Dave Camarillo, einen bekannten Kampfsportler, der kürzlich auch als Stuntman am Actionfilm „John Wick: Kapitel 4“ mit Keanu Reeves mitgearbeitet hat. Zuckerbergs Team habe auf der Suche nach einem Trainer erst einmal Camarillo kontaktiert, der dann für den prominenten Klienten auch Wu mit ins Boot geholt habe. Nun trainiere der Meta-Chef mit beiden, je nachdem, welche Schwerpunkte eine Trainingseinheit haben solle.

„Kampf-IQ“ als wichtigste Waffe

Wu mutmaßt, Zuckerberg und seine Assistenten seien womöglich deshalb auf seinen Schwager und ihn gekommen, weil sie einen guten Namen in der Kampfsportszene und einen „sauberen Background“ hätten. Das sei in diesen Kreisen nicht selbstverständlich, es gebe nicht wenige Kampfsportler, die mit Straftaten aufgefallen seien. Wu beschreibt Zuckerberg als „sehr netten Kerl“, der den Kampfsport ernst nehme und nicht nur zur Show betreibe. Dabei gibt er zu, wegen Stillschweigevereinbarungen nur in begrenztem Umfang über seinen berühmten Kunden sprechen zu können. „Ich bin nicht daran gewöhnt, so viele Papiere zu unterschreiben“, berichtet er.

Wu ist nicht nur Trainer, sondern auch Profi-Kampfsportler. Er kämpft sowohl in den USA, wo er geboren ist, als auch in Taiwan, der Heimat seiner Eltern. Seine Bilanz liegt bei sieben Siegen und vier Niederlagen. Er sagt, er habe mit dem Kampfsport angefangen, weil er als Kind gemobbt worden sei. „Ich wollte mich verteidigen können, weil ich nach der Schule verdroschen oder gehänselt worden bin.“ Als Kind sei er viel zwischen Taiwan und den USA hin- und hergereist, und nirgendwo habe er richtig dazu gepasst, er habe sich als Außenseiter und Underdog gefühlt. Oft habe er an sich gezweifelt und gefragt, ob er das Zeug dazu habe, Kampfsportler zu sein oder, wie er es in Anspielung auf den berühmten Boxerfilm formuliert, „das Herz von Rocky Balboa“. Aber er hatte Erfolg. In seinem ersten Amateurkampf schlug er zu seiner eigenen Überraschung einen viel erfahreneren Widersacher in der ersten Runde durch technischen K.o., und das ebnete den Weg in die Profikarriere.

Obwohl er Kampfsportler ist, hält sich Wu nicht für sonderlich hartgesotten. Er sagt, er habe Angst vor Schmerzen, was auch ein Grund sei, warum er im Gegensatz zu vielen anderen Kampfsportlern keine Tätowierungen habe. „Ich fange schon zu weinen an, wenn ich eine Papierschnittwunde habe.“

Wu findet auch nicht, dass er eine natürliche Begabung habe, und er sagt, viele Menschen würden ihm vermutlich nicht ansehen, dass er Kampfsportler sei. „Ich habe nicht einmal Blumenkohlohren, so wie die meisten Kampfsportler.“ Stattdessen sieht er seinen „Kampf-IQ“ als maßgebliche Waffe, die ihm geholfen habe, viele Gegner zu schlagen. Er meint, in seinem Metier hänge davon oft Sieg oder Niederlage ab. „Kampfsport ist zu 80 bis 90 Prozent eine Sache des Kopfes.“

Als professioneller Kampfsportler muss man „ein bisschen verrückt“ sein, sagt Wu. Es sei viel Disziplin nötig. Man müsse nicht nur hart trainieren, sondern sich vor einem Kampf auch einer strikten Diät unterwerfen, „und dann sieht man die Leute um einen herum, die nach Las Vegas zum Feiern gehen und essen, was immer sie wollen“.

Er sagt, er habe diese Karriere gewählt, weil er „Lust auf den Kampf“ habe, nicht um berühmt zu werden. Sein Geld verdient er zum großen Teil mit Sponsoring, er hat Verträge mit Herstellern von Kampfsportausrüstung. Er kann sich vorstellen, noch um die fünf Jahre Profisportler zu sein, was danach kommt, weiß er noch nicht. Er meint, reichlich Optionen zu haben, und hält einiges für denkbar, auch eine Karriere in Hollywood. Vieles im Leben ergebe sich, ohne es zu planen: „Ich hätte auch nie gedacht, dass ich einmal Mark Zuckerberg trainieren würde.“