Tauziehen um russisches Vermögen: Werden die EU-Mitgliedstaaten den Tabubruch begehen?

Auf dem anstehenden EU-Gipfel wird entschieden, ob die Mitgliedstaaten das eingefrorene russische Vermögen verwenden werden, um Kiew die Kriegsfähigkeit zu erhalten. Die Erwägung des Euroclear-Plans zeugt vom Ernst der Lage


Hier wird das Euroclear-Vermögen in Belgien verwaltet

Foto: Nicolas Tucat


Rechtfertigen extreme Umstände extreme Maßnahmen? Diese Frage liegt über dem letzten EU-Gipfel 2025, der sich mit dem Zugriff auf eingefrorene russische Vermögen in dreistelliger Milliardenhöhe beschäftigt. Eigentlich müssen diese im Brüsseler Wertpapier-Aufbewahrungshaus Euroclear bleiben, bis der Krieg in der Ukraine vorbei ist. Die EU-Kommission jedoch ist fest entschlossen, sie als Reparationsdarlehen nach Kiew umzuleiten, um den ukrainischen Haushalt vor dem Bankrott zu bewahren und das Land auch im nächsten Jahr kriegsfähig zu halten.

Die Zweifel an diesem Vorgehen sind erheblich. Euroclear und die EZB fürchten rechtliche und finanzielle Konsequenzen, die russische Zentralbank hat bereits Klage erhoben. Deren Vermögen, wiegelt die Kommission dagegen ab, werde nur so lange verliehen, bis Russland Entschädigungen an die Ukraine zahle. Was freilich Bart De Wever, den belgischen Premier, der sich seit Wochen gegen den Plan sträubt, bisher nicht überzeugt hat: In Moskau wird, so argumentiert er, dies als Konfiszierung gedeutet. Also sei mit einer entsprechenden Reaktion zu rechnen.

Inzwischen erhält Belgien Unterstützung aus Italien, Bulgarien und Malta

Die belgischen Vorbehalte – von manchen EU-Mitgliedern als mangelnde Solidarität gegenüber der Ukraine ausgelegt – zeigt, wie nah der Krieg in diesem Jahr an die EU-Staaten herangerückt ist. Vielen dürften noch die Worte von NATO-Generalsekretär Rutte in den Ohren liegen, der unlängst vor einer Konfrontation mit Russland in den Dimensionen des Ersten und Zweiten Weltkriegs warnte. Inzwischen erhält Belgien Unterstützung aus Italien, Bulgarien und Malta.

Diese Konstellation eröffnet den Blick auf die überaus missliche Lage, in der sich Europa Ende 2025 auf seiner geopolitischen Achterbahnfahrt befindet. Die Ukraine finanziell auf den Beinen zu halten, bedeutet, dies weitgehend ohne US-Hilfe tun zu müssen. Nur wie, wenn die Haushalte der EU-Staaten zunehmend ins Schlingern geraten. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat deutlich gemacht, auf die Euroclear-Vermögen zurückgreifen zu wollen, weil sie die europäischen Steuerzahler entlasten will. Doch auch eventuelle russische Rückzahlungs-Forderungen könnten schwere Folgen haben und ein ohnehin finanziell schwer angeschlagenes Land wie Belgien ruinieren.

Es geht mit diesen Entscheidung auch um den Erhalt der EU

Die Euroclear-Entscheidung auf dem Europäischen Rat bietet damit auch einen Vorgeschmack auf die Verteilungskämpfe, die bevorstehen, wenn der Haushaltsanteil für Rüstung und Verteidigung in den nächsten Jahren schrittweise an Intensität zunehmen wird. Ein Schritt, der unausweichlich scheint, nachdem man mit dieser Zusage beim NATO-Gipfel im Juni hoffte, die USA dauerhaft an sich gebunden zu haben. Doch statt der ersehnten Konsolidierung des Verhältnisses wird die EU seither weiter von Donald Trump und seiner Regierung vor sich her getrieben. Wer dachte, der Preis dieses Bündnisses beschränke sich auf einen finanziellen Aderlass, hat sich getäuscht.

Dass Washingtons Strategie offenbar auch ein Herauslösen von Ländern mit rechtspopulistischen Regierungen in Europa – derzeit Ungarn, Italien und Tschechien, demnächst vielleicht Frankreich, Österreich und wieder Polen – aus der EU vorsieht, das ist der Rahmen, innerhalb dessen Europa von nun an interne Konflikte lösen muss. Dass dabei selbst Tabu-Brüche wie der Euroclear- Plan in Erwägung gezogen werden, zeugt vom Ernst der Lage. Wesentlich verbessern werden sich deren Grundkoordinaten nicht. Womit deutlich wird, dass die EU in diesen Tagen nicht nur um ihren Umgang mit den eingefrorenen russischen Vermögen und die künftige Ukraine-Unterstützung ringt, sondern um ihren eigenen Erhalt.